Schulfach Ethik oder Religion: Berlins Kulturkampf
Was, bitte schön, ist "Zwangsethik"? Eine Initiative kämpft in Berlin für die Einführung des Wahlpflichtfachs Religion - mit lustigen Plakaten und seltsamen Argumenten.
Wer in diesen Tagen Berlin besucht, könnte glauben, ein Kulturkampf präge das Bild der Hauptstadt. Auf Plakatwänden wird für Wahlfreiheit geworben. Kirchliche Einrichtungen sammeln Unterschriften. Sogar Bananen werden verteilt, auf denen steht, "Glaube ist eben nicht Banane". Was ist hier los? Soll die Religion oder wenigstens eine religiöse Gemeinschaft verboten werden? Nein, es wird ein Abwehrkampf geführt, und zwar gegen "ein staatliches Fach Zwangsethik".
Was, bitte schön, ist "Zwangsethik"? Bisher nahm man an, gewisse ethische Prinzipien seien allgemein verbindlich. Denn sicher gälte es allerorten als verwerflich, verspeiste die Frau den Mann nach dem Zeugungsakt. Andere Fragen etwa der Sexualmoral aber sind höchst strittig. Dennoch, so weiß man seit Beginn der Aufklärung, kann man verbindliche ethische Grundsätze ausbilden. Auf denen fußen die Menschenrechte. Insofern scheint es vernünftig, gerade die allgemeinen ethischen Normen in der Schule zu vermitteln, und noch vernünftiger, wenn im Schulfach Ethik auch die kulturellen Wurzeln der Moralvorstellungen untersucht werden. In Berlin ist Ethik im Schuljahr 2006/07 in allen siebten Klassen als Pflichtfach eingeführt worden, der Religionsunterricht wurde dagegen zum Freiwilligenfach. Dementsprechend leer sind die Religionsstunden.
Seit einigen Monaten geht daher die Initiative Pro Reli e. V. gegen den Ethikunterricht vor und behelligt die Berliner. Sie ist auch der Verursacher der Kulturkampfanmutung. Sollte die Initiative bis zum 21. Januar 170.000 gültige Unterschriften gesammelt haben, dürfen die Hauptstädter in einem Volksbegehren darüber abstimmen, ob der Religionsunterricht wieder als Wahlpflichtfach neben dem obligatorischen Ethikunterricht eingeführt werden soll. Nach Angaben der Initiative hatte man Ende Dezember bereits 135.000 Unterschriften beisammen.
Pro Reli e. V. wird von Lutheranern und Katholiken getragen, jüdische und islamische Organisationen sind beteiligt. Die Kampagne, die der Verein auffährt, gibt sich zahm, manchmal gar niedlich, und immer wieder wird erklärt, dass man die ethischen Überzeugungen Nichtgläubiger respektiere und das Fach Ethik nicht abschaffen wolle. Die Ansichten seiner Schäfchen allerdings, beziehungsweise die deren Kinder, will man selbst prägen. Dies sei, so betonen die Petetisten ernsthaft, ein Beitrag zum Kampf gegen religiösen Fundamentalismus - im Religionsunterricht erführen die Schüler "im interreligiösen Dialog mit den anderen Weltanschauungen ganz konkret, dass das Ausleben der eigenen Grundüberzeugung den Respekt und die Toleranz gegenüber dem Andersdenkenden nur vertiefen kann".
Leistet nicht genau das der Ethikunterricht? Ja. Kann man einen interreligiösen Dialog, den der Imam oder die evangelische Lehrerin vermittelt, für wertneutral halten? Nein. Die eigene Religion wird dort, bestenfalls, als Primus inter Pares behandelt. Und genau dieses will die jeweilige Religionsgemeinschaft auch sein, darum schließen sich in diesem Kampf selbst ärgste Konkurrenten zusammen.
Hier zeigt sich die Rückseite der zunächst so niedlichen Kampagne. Der Kampf ist ein Kampf gegen die Gleichbehandlung, gegen das Prinzip, das die hiesigen Rechtsauffassungen prägt und auch die Moralvorstellungen prägen sollte. Es ist der Kampf der Spirituellen gegen die Gleichmacher, heißen sie Darwinisten, Kantianer, Humanisten oder Sozialisten. Diese aber, und das verraten die Farben, mit denen Pro Reli e. V. für seine Sache wirbt, sind, wie anno dazumal, allesamt die "Roten". Eines der Plakate zeigt einen Malkasten, in dem es nur rote Farben gibt. "Besser, wenn man wählen kann", lautet der Slogan.
Nicht sonderlich subtil spielt das auf realsozialistische Regimes an. Und auf die Berliner Regierungskoalition von SPD und PDS. Doch ist nicht der Bolschewismus allein der Feind, sondern gleich der ganze liberale Staat an sich. Er ist der säkulare Regelgeber, der die ethischen Fragen vergesellschaftet, auf die Grundlage des Rechts und der Debatte darum gestellt hat. Und somit den Interpretatoren der Kirche entrissen. Insofern tobt tatsächlich ein Kulturkampf. Der allerdings ist schon sehr alt.
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