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die wahrheitDie güldene Hängematte

Streit über Berliner-Hartz-IV-Praxis: Faschistenlotto oder sozialer Segen?

Jeden Tag melden sich Dutzende zum Lotto an und träumen den Traum vom großen Glück. Bild: ap

Janina K. strahlt, was die Parodontose hergibt, während sie mit nikotingelben Fingern ihren Bescheid von der Arbeitsagentur umklammert. Der Traum eines jeden Prekariatsmitglieds ist für sie wahr geworden: Sie hat im ALG-II-Lotto gewonnen. "Ich check's noch gar net, so geil. Jetzt gehn mir diese ätzenden Sozialfahnder endlich nicht mehr aufn Zeiger!", sprudelt es aus der 17-jährigen Schulabbrecherin heraus. "Mensch, der Jürgen, der wird ausflippen!"

So wie Janina freuen sich derzeit etwas mehr als 1.000 arbeitslose Berliner über den Gewinn einer lebenslangen Hartz-IV-Sofortrente auf Sozialhilfeniveau. Diese ist der neueste Coup des sparfüchsigen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin, der Anfang 2008 erst mit einem Hartz-IV-Speiseplan für Empörung gesorgt hatte.

Um den chronisch klammen Haushalt Berlins zu entlasten, wurde nun eine Sonderregelung erlassen. Die Antragsteller bei den Arbeitsagenturen stehen seit Dezember 2008 vor der Wahl: entweder normaler Behördenweg mit satten Bearbeitungszeiten, totalem Intimsphären-Striptease und anschließender, nie enden wollender Gängelei - oder Teilnahme an der großen ALG-II-Lotterie mit der Aussicht auf die Hartz-Rente, ohne Fragen, ohne Wartezeit, bis zum Lebensende. Ein Traum für viele Langzeitarbeitslose.

Allerdings, so auch die Kritik der Sozialverbände und Kirchen, bestehe das Risiko, komplett leer auszugehen. Gehört man nicht zu den Gewinnern, erlischt der Anspruch auf Arbeitslosengeld II für mindestens zwei Jahre. Hubert Kranzberger von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen ist empört: "So etwas darf in Deutschland nicht möglich sein, nicht einmal in Berlin!" Seine Kritik bezieht sich vor allem auf die Verlierer der Lotterie. Sie bleiben völlig sich selbst überlassen, ohne Geld und ohne Versicherung. Ein untragbarer Umstand, wie der Betreiber des Hartz-IV-Internetportals "Haengemattenfuehrer.de", Rocco Weber, findet: "Die Loser lässt man einfach auf der Straße verrotten, ohne Geld und ohne Wohnzuschuss. Das kümmert die doch einen Dreck, wovon die leben sollen!" Trotz seiner drastischen Worte ist Weber keineswegs gegen die Sofortrente als solche - vielmehr fordert er sie für alle. "Da haben die Politfritzen einmal 'ne gute Idee und dann machen sie so'n Faschistenlotto draus!", echauffiert er sich weiter. Senator Sarrazin weist die Kritik hingegen von sich: "Es handelt sich um eine freie Entscheidung. Wir zwingen ja niemanden." Er gibt sich sichtlich zufrieden mit den ersten Erfolgen der Lotterie und verweist auch auf die Ersparnisse für den Bund. Und in der Tat: Das Einsparpotenzial ist enorm. Auf 1.000 Gewinner jeden Monat kommen mehr als 20-mal so viele Verlierer, die kein Geld mehr kosten und wie von Zauberhand aus der Statistik verschwinden.

Der 55-jährige Claus W. ist so einer, der aus der Statistik verschwand - und damit wie vom Erdboden. "Vor ein paar Wochen habe ich noch geschmunzelt über den Vorschlag, dass Arbeitslose Ratten fangen sollen, jetzt ist es bei mir fast so weit", erzählt der ehemalige Schweißer. "Immer wenn ich abends hungrig durch die U-Bahnhöfe streife und eine Ratte sehe, muss ich daran denken", sagt er resigniert. Die zwei Jahre, bis er wieder einen ALG-II-Antrag stellen darf, will er irgendwie herumkriegen; sich zur Not sogar einen Job suchen. Er schwört: Von diesem "miesen Abzockerlotto" will er nichts mehr wissen. "Die schwärmten immer nur von der Sofortrente und den Vorteilen der Lotterie. Dass ich damit so übel auf die Schnauze fallen kann, davon war nie die Rede!"

Nicht nur die Aussagen von Verlierern wie Claus W. legen die Vermutung nahe, dass sich viele Antragssteller für die Lotterie entscheiden, ohne das Risiko zu kennen. Auch ein anonym im Internet veröffentlichtes Dokument untermauert die Vorwürfe. Die Angestellten der Arbeitsagenturen seien demnach in internen Schreiben angehalten worden, den Arbeitslosen das Lotto "schmackhaft" zu machen und eine Teilnahme zu empfehlen. Auch der Arbeitsvermittler Ulf Döring, der seinen richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will, bestätigt diese Praxis. "Die haben uns sogar mit Kantinengutscheinen geködert", erzählt er. Für jeden sogenannten "Lotto-Loser" habe es ein kostenloses Mittagessen gegeben. Ulf schämt sich nun, dass er die Existenz von Menschen einfach für eine Portion Gulasch mit Nudeln aufs Spiel gesetzt hat, und erkennt, dass sein Verhalten verwerflich gewesen ist. Dennoch versucht er sich zu rechtfertigen: "Sie wissen ja nicht, wie die uns gedroht haben: Entweder ihr spielt mit oder ihr gehört auch bald zu denen!"

Die Schar der Arbeitslosen scheint indes weiter euphorisiert von der Aussicht auf "Null Arbeitsstress bis Ultimo". Jeden Tag melden sich Dutzende zum Lotto an und träumen den Traum vom großen Glück. So wie ihn auch die kleine Janina geträumt hat. Sie will von ihrem sozialen Geldsegen nun als Erstes eine Flasche Goldkrone kaufen - zum Anstoßen mit Jürgen.

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13 Kommentare

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  • J
    Joergl

    Ich für mein Befinden finde, daß der Artikel nix mehr mit Satire zu tun hat. Ich empfinde das Geschriebene schlicht und ergreifend als geschmacklos.

     

    Joergl.

  • D
    Dejay

    Mir erschließt sich nicht ganz der tiefere Sinn dieses Artikels. Leider macht der Autor seine wohl gut gemeinte Absicht, den ständigen Sozialabbau anzuprangern, damit zunichte das ihm als didaktischer Lösungsweg nur die gleichzeitige Darstellung aller Hartz IV Empfänger als Idioten einfällt. Thema verfehlt und damit das Klassenziel nicht erreicht kann ich da nur sagen.

  • W
    webmax

    Sehr gut gemacht und vielleicht irgendwann Realität.

    Hilft, neue Wege zu denken und vor Abstrusität zu warnen Man stelle sich das als Preis im Dschungelcamp vor: Wer alle rausgekippt und platt gemacht hat, kriegt die Rente!

  • W
    Webmax

    Sehr gut gemacht und vielleicht irgendwann Realität.

    Hilft, neue Wege zu denken und vor Abstrusität zu warnen Man stelle sich das als Preis im Dschungelcamp vor: Wer alle rausgekippt und platt gemacht hat, kriegt die Rente!

  • O
    Ottokar

    @Elmar:

    Sie halten die beiden "HartzIV-Figuren" für objektiv beschrieben? Woher haben sie die Informationen, das so Hartz IV Bezieher aussehen und sich verhalten? Aus der Bild-Zeitung?

    Ihre Aussage bestätigt leider meine Meinung über diesen Artikel.

    Die Tatsachen - die auch sie nicht war haben wollen - sehen leider anderst aus, was auch die BA ganz offiziell bestätigt. Hartz IV ist nicht mit der ehem. Sozialhilfe gleich zu setzen. Hartz IV kann jeden treffen - und hat es schon lange: Professoren, Ingenieure, Arbeiter, Angestellte, Rechtsanwälte, Ärzte, Selbstständige, Unternehmer.

    Das sich darunter auch solche wie in diesem Artikel karikierten Personen befinden, liegt in der Natur von Hartz IV. Diese bilden aber keinesfalls den Hauptanteil sondern tatsächlich eine Randgruppe.

    Wenn sie sich nur etwas genauer mit den Tatsachen beschäftigt hätten, statt auf der populistischen Vorurteilswelle mitzuschwimmen, hätten sie das erkennen können - falls sie Interesse an der Wahrheit haben.

  • KV
    keynes vs freeman

    korrekte satire! zeigt sich daran, daß man kurz denkt ob es so einen "vorstoß" wirklich gibt.(erinnern wir uns an die 132€ sind genug posse, für ein kind reichen 70€ ) es zeigt leider wie weit wir im sozialen bereich gesunken sind. nicht die satiriker sollten kritisiert werden, nein jene die sehr gut leben von überdurchschnittlichen gehältern und dann lauthals weiteren sozialabbau fordern teilweise bis ins abstruse. ich meine hier die rürup komission,den hier genannten sarazin,studie an uni chemnitz-thießen, bosbach(arbeitslose jeden morgen um 7 melden) usw. diese typen sollte man 6 monate zwingen von 132€ zu leben. dann nochmal fragen. und für sowas wird auch noch geld ausgegeben.

  • A
    Abramida

    ... na, ob der überhaupt veröffntlicht wird - bei meiner kritischen Haltung?

  • SE
    Sister Est

    Ich kann Ottokar hier nur beipflichten!

     

    Die meisten Hartz-IVer sind übrigens nicht so dämlich, dass sie sich - wie in Ihrer sogenannten Satire beschrieben - auf derart lebensbedrohliche Entscheidungen einlassen würden. Dazu haben sie selbst oder Leute in deren Umfeld schon zu oft unter teilweise massiven Restriktionen leiden müssen.

    Über derartige Darstellungen freuen sich vor allem Leute, die ihre Scheuklappen pflegen möchten.

     

    Grüße von Sister Est

  • E
    Elmar

    @ Ottokar:

     

    Ich kann Ihre Empörung ja verstehen, allein der Adressat scheint mir der falsche; vieles von dem, was sich heute in unserem Sozialsystem abspielt hätte vor Jahren noch Ihren fragenden Blick auf den Kalender (1. April) hervorgerufen.

    Dessen eingedenk fällt es mir schwer, nach Lektüre dieses Beitrags erst "Scheiß-Witz" zu denken und nicht "Oh, Mann, nicht auch das noch...!"!

    Die beiden HartzIV-Figuren sind meiner Meinung nach auch eher objektiv beschrieben als beleidigend vorverurteilt worden! Mir geht der Text jedenfalls nicht im Ansatz so nahe, wie ein Vorsprache-Termin bei der Arge meines Vertrauens !

    Das man auf politischer Seite sich für keinen noch so menschenverachtenden Dreck zu schade ist muss wohl irgendwer zu spüren bekommen; so finden dann auch - noch nur gedanklich - Ratten Eingang in die menschliche Nahrungskette, so man HartzIV-Empfänger überhaupt noch dazu zählt!

    Der Part, in dem Arge-Mitarbeiter mit Drohungen gefügig gemacht werden scheint mir auch nicht ganz aus der Luft gegriffen; ich weiss, daß diese Agenturen angewiesen sind, Ausschüttungs-minimierend zu arbeiten; da wird sich mancher von denen schon gedacht haben : "In dieser Warteschlange möchte ich niemals stehen! Lieber bin ich also scheiße aber dafür satt!"

     

    Ich hoffe nur, daß zumindest diese Satire von heute nicht zur Blaupause für die Sparmaßnahmen von morgen wird! Hier ist alles möglich...!

  • J
    Jengre

    Huch, auf Satire reingefallen. Gut gemacht - oder einfach zu nahe an der Realität, leider. Bringt keinen auf dumme Gedanken!

  • J
    Jengre

    Was lernt uns das? Den politisch Verantwortlichen kommt es nicht darauf an, Menschen in Arbeit zu vermitteln, sondern sie wollen nur Kosten einsparen: auch um den Preis, daß einige wenige vielleicht unberechtigt dauerhaft Kosten verursachen und eine Vielzahl anderer im Elend umkommt. Damit werden die Entscheidungsträger keiner ihrer beiden Aufgaben gerecht (Arbeitsvermittlung und Fürsorge für Bedürftige).

    Daß die Vermittler selbst so leicht unter Druck zu setzten sind "ihr gehört auch bald zu denen" und mit Kantinengutscheinen zu locken sind, beweist deren eigene prekäre Lage und leider damit wohl auch ihre geringe Qualifikation. Ich bin Personalberater, selbst einmal arbeitslos gewesen und spreche daher doppelt aus Erfahrung: Weder die Mitarbeiter der Arbeitsagenturen noch deren IT-Systeme gewährleisten effiziente Vermittlung. Würde man dies beides ändern und (noch wichtiger) Unternehmen zwingen, jede freie Stelle der Arbeitsagenzur zu melden, wären wir einen gewaltigen Schritt weiter und hätten zudem mehr Kosten gespart als die unerträglich bauernschlauen und korrumpierten Semikriminellen an den Schalthebeln.

  • O
    Ottokar

    Haben wir schon den 1. April???

    Ich halte diesen Artikel für äußert geschmacklos.

    Das hat nichts mit Satire zutun, sich über eine Volksgruppe lustig zu machen und diese zu verunglimpfen. Diese verbale und geistige Entgleisung lässt allenfalls einen sehr unreifen Geist erkennen.

  • K
    Konrad

    Dürfte man denn an dieser Lotterie auch als garantiert nicht Hartz-IV-Verdächtiger Arbeitnehmer mit normalem Einkommen teilnehmen und auf die "Rente" hoffen? Wenn der Anspruch auf die "Rente" nicht mittels der üblichen Methoden überprüft wird, sollte es doch gehen ...