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taz-GebrauchsanweisungSo vertreiben Sie die Heuschrecken

Nach drei Jahren auf dem deutschen Medienmarkt hat David Montgomery kapituliert und verkauft "Berliner Zeitung" und "Hamburger Morgenpost". Die taz zeigt, wie man Heuschrecken los wird.

Heuschrecken raus! Die taz zeigt Ihnen, wie mans macht. Bild: dpa

1. Glauben Sie dem Finanzinvestor kein Wort, wenn er von traumhaften Renditen spricht!

Man kann eine Lehre aus dem Fall Mecom ziehen: Dem gesunden Menschenverstand darf weiter vertraut werden. Denn auch wenn Wirtschaftsexperten die Kritik am kaufmännischen Modell der börsennotierten britischen Mediengruppe Mecom einst als naiv bezeichnet hatten: Nun ist es doch gescheitert. 2005 war die Mecom mit Hilfe von Finanzinvestoren in den deutschen Zeitungsmarkt eingestiegen. Sie hatte sich dafür einen Haufen Geld geliehen, mit dem Versprechen, hohe Renditen herauszuholen, und dafür sollten ihre Medien - Berliner Zeitung, Berliner Kurier, Hamburger Morgenpost, tip und "Netzeitung" - sparen. Am Ende war alles zu sehr auf Kante genäht und der Aktienkurs auf unter 1 Penny gerutscht. 600 Millionen Euro Schulden lasten auf dem Konzern. Um sie zu reduzieren, hat die Mecom nun ihre deutschen Beteiligungen mit Verlust verkauft. Die Traumrenditen - für die Belegschaft immer ein Albtraum - sind für die Anleger ein Wunschtraum geblieben.

2. Wappnen Sie sich mit einem schlagkräftigen Redaktionsstatut!

Sie müssen sich schließlich nicht alles gefallen lassen, sonst kündigt Ihnen der Chefredakteur am Ende persönlich noch die Zeitungsabos in Ihrer Abteilung. Das Statut regelt die Rechte der Redaktion auf Information und Mitbestimmung und legt gewisse publizistische Grundsätze fest, die selbst eine Heuschrecke nur schwer unterschreiten kann. Zum Statut gehört auch immer ein entsprechender Ausschuss, der die Interessen der Redaktion gegenüber Chefredaktion und Geschäftsführung vertritt und neben den Betriebsräten für interne Information und Widerstand sorgt. Das ist vor allem dann hilfreich, wenn, wie im Fall der Berliner Zeitung, Geschäftsführung und Chefredaktion in einer Person zusammengefasst sind (siehe 8.).

3. Bewahren Sie Ruhe, wenn der vom Investor eingesetzte Vasall verkündet, keinen Stein auf dem anderen zu belassen.

So ein international agierender Konzern wie die Mecom braucht in jedem Land einen Heinz vor Ort, der die Drecksarbeit macht. In Deutschland hieß der Heinz Josef, und er tat sich vor allem mit Ankündigungen hervor. Josef Depenbrock, der Chef des deutschen Mecom-Geschäfts, kündigte etwa das Outsourcing einzelner Zeitungsseiten und die Streichung von 150 Stellen an, davon 30 bei der Berliner Zeitung. Der Verkauf an DuMont verhindert nun die komplette Verwirklichung. Und doch zeigten bereits die Ankündigungen Wirkung. Knapp 20 Redakteure gingen während der Mecom-Zeit freiwillig.

4. Treffen Sie sich mit Ihren Kollegen zu regelmäßigen Bastelstunden!

Wenn Sie die Öffentlichkeit gewinnen wollen, sollten Sie Ihre Botschaft auf eine einfache Formel bringen. Bedienen Sie im Streit mit Finanzinvestoren die beliebte Assoziation "Finanzinvestor = Heuschrecke!". Heuschrecken haben den Ruf von Schädlingen, die alles abgrasen und dann weiterziehen, das lässt wenig Raum für Sympathie. Malen Sie Schilder, auf denen durchgestrichene Heuschrecken zu sehen sind! Eine Zeitung schrieb zwar einmal, das Vorgehen der Mecom ähnele eher dem einer Mehlmotte ("Das Tierchen nistet sich tief ein und ruiniert dann langsam, aber stetig die Grundsubstanz"). Aber wer weiß schon, wie eine Mehlmotte aussieht?

5. Lassen Sie sich nicht befördern!

So ein Heinz kann nicht alles allein machen, zumal wenn er - wie Depenbrock - nicht nur Chefredakteur der Berliner Zeitung ist, sondern auch noch Geschäftsführer, Personalchef, Herausgeber des Kreuzfahrtmagazins Azur, Träger von Karnevalsorden, Eigner mehrerer Motorräder und begehrter Interviewpartner. Es kommt also vor, dass er sich Stellvertreter sucht. In dieser Situation könnten Sie Karriere zwar machen. Doch das sollten Sie sich genau überlegen. Als Stellvertreter-Heinz müssen Sie dessen Politik mittragen. Die Suche nach einem stellvertretenden Chefredakteur der Berliner Zeitung gestaltete sich wohl auch deshalb sehr schwierig.

6. Pfeifen Sie aufs Betriebsgeheimnis!

Interner Protest ist zwar löblich, aber nicht mal die halbe Miete. Heuschrecken fürchten nichts so sehr wie Protest und Ärger in aller Öffentlichkeit, der die Anleger unruhig macht. Wenn der Chef droht, Ihre Seite zu streichen oder Ihre Stelle outzusourcen, muss die Welt davon erfahren. Rücken Sie Erklärungen in eigener Sache ins Blatt. Oder wenn das nicht geht, vertrauen Sie auf die Kollegen in den Medienredaktionen: Selbst für die Details bei kleinen Berliner Zeitungen interessierten sich so auch bald die großen englischen Blätter. Und das bekam dem Mecom-Aktienkurs an der Londoner Börse gar nicht gut. Außerdem fanden die deutschen Zeitungen und ihre Verleger den bösen Briten Montgomery plötzlich alle bäh und sagten das öffentlich.

7. Vertrauen Sie Ihren Lesern!

Sie sollten nicht unterschätzen, wie sehr manche Ihrer Leser an genau der einen Zeitung hängen, die sie lesen. Einige von ihnen taten sich, als ihnen der Sparkurs der Mecom zu bunt wurde und sie um die Qualität ihrer Berliner Zeitung fürchteten, zusammen und beratschlagten, ob ein kollektiver Konsumprotest sinnvoll sein könnte, um das Schlimmste zu verhindern. Sicher ist: Wenn weniger Leute eine Zeitung kaufen, hat die Verlagsführung verloren. Der Haken: alle anderen Beteiligten auch. Möglicher Kompromiss: das Verfassen von Protestbriefen (zum Beispiel geharnischt).

8. Engagieren Sie sich auch dann für kleinere Tochterfirmen, wenn deren Produkte Ihnen wurscht sind!

Solidarität im eigenen Laden tut bei Heuschrecken-Befall bitter not, auch über sonst bestehende Grenzen hinweg. Da müssen dann schon mal Qualitätszeitung, Boulevardblatt und Stadtmagazin an einem Strick ziehen. Weil sich alle für die Rettung der auf der Abschussliste stehenden Mitarbeiter beim tip starkmachten, musste die Geschäftsführung einen neuen Tarifvertrag für das Stadtmagazin schließen. Und den Oberen wurde schnell klar, dass ihre geplanten Sparmaßnahmen bei Berliner Zeitung und Kurier auf noch mehr Widerstand stoßen würden.

9. Trauen Sie sich, Ihren Chefredakteur zu verklagen!

Gängige Methoden einer Zeitungsredaktion, ihrer Chefredaktion die Meinung zu geigen: ihr mal die Meinung geigen. Oder subversives Stöhnen in der Redaktionskonferenz. Nach wie vor unüblich ist es, den Chefredakteur vor Gericht zu bringen. Die Redaktion der Berliner Zeitung hat das trotzdem getan, was die Besonderheit ihrer Situation unterstreicht: Weil sie in Depenbrock keinen Interessenvertreter im Verlag hatte, da er auch noch Geschäftsführer war, klagte sie gegen seine Doppelfunktion - auch mit dem Argument, sie schade der Unabhängigkeit einer Zeitung. Die Redaktion verlor vor Gericht (was zu 2. zurückführt). Nun hat sie dennoch gewonnen. Denn sie hat es gemacht wie die Mehlmotte: Sie hat sich in den Nerven ihrer Eigner und Chefs eingenistet und langsam, aber stetig die Grundsubstanz ruiniert. Von Montgomery lernen heißt Montgomery loswerden.

10. Hoch die internationale Solidarität!

Ein umtriebiger Medienunternehmer wie Montgomery ist in ganz Europa aktiv - und hat überall die gleichen Probleme: Betriebsräte und Redaktionen, die gegen Spardiktate protestieren, gab und gibt es von Norwegen bis zu den Niederlanden. Pfeifen Sie auf Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede und informieren Sie sich über Ihre Rechte als Arbeitnehmer auf europäischer Ebene!

11. Suchen Sie per Anzeige in der taz einen großen anständigen deutschen Zeitungsverlag, der von einem Patriarchen alten Schlags geführt wird!

"Verleger gesucht", hieß es Anfang Juli 2008 in einer bezahlten Anzeige von Berliner-Zeitungs-RedakteurInnen auf der taz-Medienseite - Anforderungsprofil für den Neueigentümer: "Ein/e seriöse/r VerlegerIn, die/der eine Zeitung nicht nur macht, um sofort Geld zu verdienen. Sondern die/der zuerst eine Zeitung macht und dann damit Geld verdienen will." Erstens bekommen Sie viel Applaus für die originelle Idee - und Josef Depenbrock noch mehr Ärger, weil er solche Aktionen nicht verhindern kann und natürlich auch der Londoner Guardian wieder drüber berichtet. Und zweitens geht die Geschichte in diesem Fall sogar gut aus: Mit dem Zeitungshaus M. DuMont Schauberg aus Köln und seinem Senior Alfred Neven DuMont bekommen Montgomerys ehemalige Blätter einen "echten Verleger". Auch wenn auch der auf "Synergieeffekte" mit seinen anderen Blättern setzen wird und die Pressekonzentration durch die Übernahme zunimmt.

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4 Kommentare

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  • SB
    S. Beuting

    Informativer Gehalt und gute Unterhaltung müssen sich nicht ausschließen.

     

    Ich habe den Artikel wirklich genossen. Großes Lob.

     

    Grüße,

    S.B.

  • S
    Sonntag

    Danke! Wunderbar, und sehr wohltuend diese Auflistung, die ein wunderbares Mittel gegen den selbstlähmenden Pessimismus ist, der einen derzeit befallen kann. Wenn möglich: Mehr davon!

  • SS
    Sabrina Schmidt

    Sehr schöne Gebrauchsanweisung.. Liest sich wirklich gut! Dass sich andere Medienhäuser von der Arbeit der Taz ne gehörige Portion abgucken können war mit schon immer klar, ihr Konzept ist einfach dem eines unabhängigen, freien Journalismus wirklich würdig! Klar geht es auch ums Geld verdienen, aber die Zeitung an sich ist es um die es eben primär gehen sollte. Das brinen sie in ihrer Gebrauchsanweisung schön auf den Punkt.

  • CA
    Christoph Assheuer

    Nicht zur Veröffentlichung als Leserbrief, nur als Empfehlung an die Redaktion:

    Die Berliner Zeitung war vor dem Einstieg von David eine Zeitung, deren Kommentarspalten wirklich lesbar waren, auch der Rest war so schlecht nicht.

    Eine andere Heuschrecke verdient nun umso mehr Eure Aufmerksamkeit: Nämlich die Käufer der größten, ehemals landeigenen GSW(ca.70.000 Wohnungen) die ein paar Meter weiter von der TAZ mit ihrer Verwaltungszentrale residiert(und die Rudi-Dutschke Str. in Nachfolge der Kochstr. als Addresse vermeidet, sie haben den Nebenausgang Charlottenstr. dafür genommen).

    Die GSW ist eine der schlechtesten Vermieter, die man sich vorstellen kann. Als Mieter einer GSW-Wohnung zum Beispiel konnte ich feststellen, dass diese Vermieter 30 Jahre nicht

    bemerkt hatten, dass eine dicke Birke aus der Mauer ihres Besitzes bzw. Mietshauses wuchs und immer mehr die Bausubstanz bedrohte (wir haben uns dann erfolgreich dagegen gewehrt, die 900 Euro für die Abholz-aktion zu zahlen).

    Die GSW renoviert auch grundsätzlich ihre Häuser kaum, z.B. durchlässige Fenster oder alte Bleileitungen.

    Jedenfalls gäbe eine Recherche u.a. bei alten Mietern (z.B. hier in der Köpenicker Str.189 und 191 etc), aber besonders bei dem Heuschreckenverein doch bestimmt einiges her.

    Vorher-nachher. Und wies um die neuen Eigentümer eigentlich finanziell steht, und wie die alte Verwaltung ausgedünnt wurde.

    Ich hatte den Namen der Heuschrecke vergessen, Kobra, nein, Zyklop, nein - Cerberus wars

     

    mit freundlichen Grüßen C.A.

    aus Archiv:

    "Im Dezember 2003 beschloss der Senat auf einer Klausursitzung, einen neuen Anlauf zum Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft GSW zu unternehmen - am Dienstag erhielt das Konsortium um die US-Investmentgesellschaft Cerberus den Zuschlag. Zwar zahlt das Konsortium nur 405 Millionen Euro, doch übernimmt es auch die Schulden der GSW von 1,7 Milliarden Euro. Bezogen auf den Gesamtpreis von 2,1 Milliarden Euro zahlt das Konsortium um die US-Investmentgesellschaft Cerberus für jede GSW-Wohnung einen Preis von rund 32 300 Euro. Was für eine durchschnittlich etwa 65 Quadratmeter große Wohnung nicht nach einem hohen Betrag aussieht, gilt in der Branche durchaus als marktgerecht. Schließlich befinden sich viele der GSW-Wohnungen in Hochhaussiedlungen wie an der Heerstraße in Spandau oder an der Thermometersiedlung in Lichterfelde-Süd. Da müssen Abschläge in Kauf genommen werden."