Berlin hilft Migrantinnen: Senat entdeckt die Zwangsehe

Die Zahl der Zwangsheiraten steigt deutlich an - weil mehr Fälle bekannt werden, sagt der Senat. Er führt dies auf seine verbesserte Aufklärungsarbeit seit der Ermordung Hatun Sürücüs zurück.

Steigende Zahlen als gutes Zeichen: 378 versuchte oder zustande gekommene Zwangsverheiratungen sind 2007 in Berlin registriert worden, sagte Frauensenator Harald Wolf (Linkspartei) am Montag. 2002 seien es noch 220 Fälle gewesen. "Das ist ein Erfolg", so Wolf, "durch bessere Öffentlichkeitsarbeit zu dem Thema werden mehr Fälle bekannt." Er und Integrationssenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei) gaben anlässlich des vierten Todestages von Hatun Sürücü am Samstag einen Überblick über das, was das Land tut, um Migrantinnen vor erzwungenen Eheschließungen und Gewalt zu schützen. Im vergangenen Jahr zählte die Senatsverwaltung außerdem zwei sogenannte Ehrenmorde, einen mehr als im Vorjahr (siehe Kasten).

Hatun Sürücü war am 7. Februar 2005 in Tempelhof auf offener Straße erschossen worden. Die 23-jährige Berlinerin kurdischer Herkunft hatte zuvor ihren Vetter, mit dem sie in der Türkei zwangsverheiratet worden war, verlassen. In Berlin holte sie ihren Schulabschluss nach, absolvierte eine Lehre und bezog eine eigene Wohnung - sie entschied sich für ein Leben, das mit den Vorstellungen ihrer Familie unvereinbar war. Von den drei Brüdern Hatuns wurde der jüngste verurteilt. Ayhan, 1986 geboren, gestand die Tat und sitzt eine neunjährige Haft ab. Prozessbeobachter kritisierten den Freispruch der anderen Brüder. Der Fall löste eine bundesweite Diskussion über Ehrenmorde aus.

Diese Debatte habe für eine stärkere Sensibilisierung der Öffentlichkeit gesorgt, ist sich Senatorin Knake-Werner sicher. Der Senat könne heute auf ein dichtes Netz von Angeboten für bedrohte Frauen in Berlin verweisen, die den Frauen in den bekannt gewordenen Fällen von Zwangsverheiratungen Hilfen anbieten: 6 Frauenhäuser, 40 Zufluchtswohnungen zur anonymen Unterbringung, die Kriseneinrichtung Papatya des türkisch-deutschen Frauenvereins und den Mädchennotdienst des Vereins Wildwasser.

Letzterer bietet mit seiner interkulturellen Wohngemeinschaft DonyA Mädchen zwischen 12 und 18 Jahren stationäre Unterbringung und therapeutische Begleitung. "Wir sehen eine familiäre Krise als Chance, ins Gespräch zu kommen, und dazu sind die meisten Eltern auch bereit", so Irina Leichsenring von Wildwasser. Oftmals seien Eltern völlig hilflos, wenn die Tochter schulischer Probleme oder "falsche Freunde" habe. "Die Heirat mit einem Mann aus dem eigenen Kulturkreis erscheint vielen dann als einziger Ausweg."

Deshalb müssten Zwangsheiraten und häusliche Gewalt möglichst früh, also in den Schulen, thematisiert werden, betonte Franz Schulz, grüner Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg. Mit der Entwicklung von spezifischen Unterrichtsmaterialien könne man LehrerInnen besser auf die Problematik vorbereiten. Schulz berichtete, dass Zwangsheiraten nicht nur in muslimischen Gemeinschaften vorkämen. "Wir hatten in unserem Bezirk auch einige Fälle mit Familien aus dem katholischen Süden Italiens."

"Der Schlüssel zur Bekämpfung innerfamiliärer Gewalt sind die Migranten-Communities selbst", sagte Senatorin Knake-Werner. Darum solle das Thema häusliche Gewalt künftig in die Fortbildung Berliner Imame und Seelsorger integriert werden. Dass es vier Jahre nach Hatun Sürücüs Ermordung jedoch weiterhin Probleme beim Schutz junger Migrantinnen vor Gewalt gibt, wollten die Senats- und Bezirksvertreter nicht bestreiten. Anstrengungen im Bundesrat, Ehrenmord als Straftatbestand zu etablieren, hätten keine Früchte getragen, so Knake-Werner. Und wenn eine bedrohte Frau ihren Namen ändern wolle, müsse sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen.

Mit einer Hiobsbotschaft wartete Irina Leichsenring vom Mädchennotdienst auf: "Der Mietvertrag für unsere Krisenwohnung mit zehn Mädchen läuft im Mai aus; unsere Suche nach neuen Räumen war erfolglos." Man benötige dringend eine Wohnung mit mindestens zehn Zimmern, Umzugshilfe und neue Möbel.

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