Volkstribun vs. „Schoßhund des Imperiums“

Nach heftigem Streit der Regierungschefs legen Mexiko und Venezuela ihre diplomatischen Beziehungen auf Eis

MEXIKO-STADT taz ■ Eine Woche nach dem Scheitern der Verhandlungen zur Gesamtamerikanischen Freihandelszone (FTAA) innerhalb der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) eskaliert der Streit zwischen den lateinamerikanischen Vorreitern beider Seiten. Die Präsidenten Mexikos und Venezuelas, Vicente Fox und Hugo Chávez, legten am Montag ihre bilateralen Beziehungen auf Eis. Die venezolanische Regierung rief ihren Botschafter aus Mexiko-Stadt ab, und kurz darauf reagierten auch die Mexikaner mit dem Abruf ihres höchsten diplomatischen Vertreters aus Caracas.

Im Anschluss an den OAS-Gipfel vor zehn Tagen hatte der entschiedene FTAA-Gegner Chávez seinen mexikanischen Kollegen als „Schoßhund des Imperiums“ bezeichnet, da sich Fox für die von Washington vorangetriebenen Freihandelspläne stark gemacht hatte. Etwas diplomatischer hatte vorher Argentiniens Regierungschef Néstor Kirchner Fox vorgeworfen, er beuge sich „vor den Starken“.

Der diplomatische Streit offenbart den tiefen Riss, der sich aufgrund der Debatte um die FTAA durch den lateinamerikanischen Kontinent zieht. Unter der faktischen Führung Mexikos und Chiles unterstützen die Regierungen von 29 Staaten das Vorhaben, mit den USA und Kanada eine Freihandelszone von Alaska bis Feuerland aufzubauen. Dagegen agieren immer selbstbewusster die Länder des Wirtschaftsbündnisses Mercosur – Argentinien, Brasilien, Uruguay, Paraguay – sowie Venezuela.

Der Streit zwischen Fox und Chávez hat sich in den letzten Tagen weiter zugespitzt. Der mexikanische Präsident forderte von seinem venezolanischen Kollegen eine Entschuldigung für die „Beleidigungen“, Chávez hingegen legte nach. „Legen Sie sich nicht mit mir an“, warnte er Fox.

Auch in Mexiko selbst stößt die zustimmende Haltung des Präsidenten zum Freihandel mit den nördlichen Partnern auf scharfe Kritik. Gewerkschaften und große Bauernverbände fordern schon lange Nachverhandlungen des Nafta-Vertrags, durch den das Land seit zwölf Jahren liberalisierten Handel mit den USA und Kanada betreibt. Angesichts des „peinlichen Auftritts“ in Argentinien wollte die oppositionelle Parlamentsmehrheit dem konservativen Regierungschef sogar zunächst die nötige Zustimmung verweigern, um in dieser Woche zum Treffen der Asien-Pazifik-Staaten nach Südkorea zu reisen.

Chávez fühlt sich indes im Höhenflug. Am Sonntag zeigte er in seinem Fernsehprogramm „Aló Presidente“ Videoaufzeichnungen der Debatten des OAS-Gipfels hinter verschlossenen Türen. Unter anderem zeigen sie den US-Präsidenten George W. Bush, wie er vergeblich versucht, seine Kollegen von der FTAA zu überzeugen. „Die Gesichter sagen mehr als Worte“, sagte Chávez. WOLF-DIETER VOGEL