Wahlen in Israel: Zipi oder Bibi

Am Dienstag wird in Israel gewählt. Der in der Palästinenserfrage als Hardliner geltende Likud-Chef Benjamin Netanjahu gilt als Favorit für das Amt des Premiers.

Bibi, der professionelle Opportunist, ist innerhalb des Likud auf einmal nach links gerückt. Bild: dpa

BEIT SCHEMESCH/TEL AVIV taz "Bibi? Der hat mich enttäuscht", schüttelt der 46-jährige Schimon den Kopf. Es ist früher Morgen in Beit Schemesch, und Schimon sitzt mit einer Zeitung in der Morgensonne. Bei den Wahlen 1996, als Benjamin Netanjahu zum ersten Mal für den Posten des Ministerpräsidenten antrat, hat Schimon für den Likud-Chef gestimmt, den alle nur "Bibi" nennen. Als Premierminister sei Bibi "ganz okay" gewesen, meint Schimon. Die Enttäuschung kam, als Netanjahu als Finanzminister "die schwachen Sozialschichten zusätzlich schwächte". Das war in den Jahren 2003 bis 2005 in der Regierung von Ariel Scharon.

21. Oktober 1949: Benjamin Netanjahu wird in Tel Aviv geboren. Nach dem Militärdienst in einer Eliteeinheit studiert er in den USA Architektur, Management und Politische Wissenschaften und arbeitet als Marketingchef eines Möbelunternehmens, bis ihn Mosche Arens, der spätere Verteidigungsminister, in die israelische Botschaft nach Washington holt. Später arbeitet er als Botschafter bei den Vereinten Nationen.

29. Mai 1996: Der Likud, deren Vorsitzender Netanjahu seit 1993 ist, gewinnt die Parlamentswahlen, er wird Ministerpräsident. Drei Jahre später spricht ihm die Knesset das Misstrauen aus, bei den Neuwahlen wird er nicht wiedergewählt. Netanjahu ist in eine ganze Reihe von Skandalen und Korruptionsaffären verwickelt.

7. August 2005: Netanjahu tritt aus Protest gegen die Zustimmung des israelischen Kabinetts zur ersten Phase des Abzugs israelischer Siedler aus dem Gazastreifen vom Amt des Finanzministers zurück.

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WAHLPROGNOSEN

Nach den letzten Umfragen vom Wochenende ist am Dienstag ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Benjamin Netanjahu (Likud) und Zipi Livni (Kadima) zu erwarten. Beiden folgt in geringem Abstand der rechtsnationale Avigdor Lieberman (Israel Beteinu). Erst an vierter Stelle käme Ehud Barak (Arbeitspartei). Die auflagenstärkste Tageszeitung, Yediot Achronot, verteilt die Sitze in der Knesset (120 insgesamt) entsprechend der letzten Wählerbefragung so: Netanjahu 25, Livni 23, Lieberman 19 und Barak 16. Formal könnte auch Lieberman vom Präsidenten mit der Bildung einer Regierung beauftragt werden, was allerdings einer Überraschung in der Größenordnung des Wahlsiegs der Hamas bei den Palästinensern vor drei Jahren gleichkäme. Liebermans Partei ist in der heutigen Knesset nur mit elf Sitzen vertreten.

Die verbleibenden Sitze teilen sich acht Parteien, angeführt von der orientalisch-religiösen Schas, den Ultraorthodoxen und dem linken Bündnis Meretz, das mit fünf Knesset-Sitzen rechnen kann. Die beiden arabischen Listen, die antizionistische Chadasch und die Nationalreligiösen, schwanken zwischen zwei und vier Mandaten. (sk)

Beit Schemesch ist eine Stadt, in der sehr viele sozial Schwache und kinderreiche Familien der Religiösen leben. An das Fiasko am Tempelberg in der Jerusalemer Altstadt, bei dem über 60 Menschen starben, nachdem Netanjahu den umstrittenen Klagemauertunnel öffnen ließ, erinnert sich hier keiner mehr. Genauso wenig spielt eine Rolle, dass Netanjahu den missglückten Mordanschlag auf Khaled Mashal, damals Chef der Hamas in Jordanien, in Auftrag gegeben hat, was kurzfristig zu einer Krise der politischen Beziehungen führte.

"Seit seiner Zeit kommen weniger Kunden", schimpft Sima, eine hellblond gefärbte Endvierzigerin. Wie Schimon verzeiht auch sie dem Exfinanzminister in erster Linie seine Haushaltsreformen nicht. Energisch putzt sie die Fensterscheiben ihres kleinen Geschäfts für Damenartikel und Kosmetika. "Bibi hat die Wirtschaft der Reichen gerettet. Die Leute hier haben kein Geld mehr." Dem Unmut der sozial schwachen Wählerschicht zum Trotz liegt Netanjahu bei sämtlichen Umfragen noch immer knapp vorn.

Sima und Schimon aus Beit Schemesch gehören zu den rund 900.000 Wahlberechtigten, die weniger als eine Woche vor dem israelischen Urnengang noch immer unentschlossen sind. Ehud Barak sei "ein Lügner", sagt Schimon über den Chef der Arbeitspartei. Zipi Livni wiederum, die für die Kadima antritt, sei als Frau zu schwach und deshalb als Regierungschefin in Israel nicht geeignet, findet Sima. "Die Araber brauchen ein männliches Gegenbild, das ihnen Angst einflößt." Sicherheit ist das, was letztendlich zählt.

Dann also doch lieber Netanjahu? Er ist zweifellos der kompromissloseste der drei Kandidaten für das höchste Regierungsamt. Ein Hardliner, der verspricht, an allen Fronten energisch durchzugreifen. Kaum zwei Stunden nachdem die erste Grad-Rakete seit dem Krieg in Aschkelon einschlagen ist, fliegt Bibi in der Stadt ein. "Wir hatten davor gewarnt, die Operation im Gazastreifen verfrüht abzubrechen", verkündet Netanjahu lächelnd in die Mikrofone, während ihn eine zustimmende Menge umringt, immer abgeschirmt von seinen Bodyguards. "Jetzt stellt sich raus, dass wir recht hatten."

Netanjahu nutzt die Gunst der Stunde und rechnet mit der Kadima und der Regierungskoalition ab. Der Abzug aus dem Gazastreifen habe "weder Frieden noch Hoffnung gebracht, sondern viele Raketen, einen Regen, gar ein Gewitter von Kassams". Netanjahu verteilt Zensuren, er lobt Verteidigungsminister Barak vor allem für die Vorbereitung der Armee auf die Operation. Warum nur habe er sie dann gleich wieder abgebrochen? Noch nicht einmal das Mindestziel, den Schmuggel zu dämpfen, sei erreicht worden.

Die Raketen der Hamas sichern Netanjahus Worten Zustimmung. Aber auch den markigen Sprüchen des Rechtsnationalen Avigdor Lieberman. Denn wer sich einen richtig starken Mann wünscht, dem könnte Netanjahu vielleicht noch zu schwach sein. Lieberman, Chef der Israel Beitenu ("Israel ist unser Heim"), den manche einen "israelischen Jörg Haider" schimpfen, nagt rechts an Netanjahus Likud. Den Palästinensern bietet Lieberman "Frieden für Frieden" anstelle eines eigenen Staates, und Araber mit israelischer Staatsbürgerschaft würde er am liebsten umsiedeln. Aktuelle Umfragen geben ihm zwanzig Mandate. Damit könnte er sogar auf Platz zwei kommen.

Dass Netanjahu einen Stimmeneinbruch wegen Lieberman fürchten muss, ist Symptom für den Rechtsruck im Land. Nie war auch der Likud rechtsnationaler als heute. Nach der Abspaltung der Kadima im Jahr 2005, wenige Monate nach dem einseitigen Abzug aus dem Gazastreifen, der für Netanjahu schon vorher Grund war, sich freiwillig aus der Regierung Ariel Scharons zu verabschieden, blieb nur noch der harte Kern des Likud zurück. Der wieder frei gewordene Stuhl an der Parteispitze kam ihm gerade recht. Noch im Dezember desselben Jahres nahm er die Parteifreunde erneut unter seine Fittiche.

"Bibi", so kommentierte die Meretz-Politikerin Jael Dayan, "repräsentiert jetzt den linken Flügel des Likud." Tatsächlich ist Netanjahu heute ein anderer als vor zehn Jahren. Er weiß sich anzupassen. Wenige Monate nach dem Mordanschlag auf Jitzhak Rabin standen die Zeichen in Israel noch auf Versöhnung. Der Osloer Friedensprozess lief auf Hochtouren und brachte schließlich auch einen seiner größten Kritiker dazu, bei der Sache mitzuspielen.

Mit ganzen 30.000 Stimmen Vorsprung hatte Netanjahu sich 1996 gegen Schimon Peres durchgesetzt, um dann, sehr zum Unmut der jüdischen Siedler, wenig später im US-amerikanischen Wye Plantation mit dem damaligen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat zusammenzukommen. Wie ein Schoßhündchen führte Ex-US-Präsident Bill Clinton den konservativen Politiker an den Tisch zur Unterzeichnung des Abkommens, mit dem er sich immerhin zum Abzug aus 13 Prozent des seit 1967 besetzten Landes verpflichtete. Netanjahu ist die Meinung des Weißen Hauses wichtig. Zwar erblickte er vor fast sechzig Jahren das Licht der Welt in Israel, doch den größten Teil seiner Kindheit verbrachte er in den USA, wo er sich noch heute heimisch fühlt.

Der Likud brach damals mit dem bis dahin strikten Festhalten an der Idee von einem Großisrael und verpflichtete sich zum schrittweisen Abzug und zu einer Zweistaatenlösung. Anzunehmen ist, dass Netanjahu heute einem Abkommen à la Wye Plantation vermutlich nicht noch einmal zustimmen würde. Unter seiner Führung dürfte Israel in nächster Zeit weder Truppen noch Siedler zurückbeordern, denn "jeder weitere Abzug wird nicht den Frieden bringen, sondern neuen Terror".

Netanjahu spricht in diesen letzten Tagen des Wahlkampfs auf der Herzlia-Konferenz, auf der Politiker und Wissenschaftler einmal jährlich die Topthemen der nationalen Agenda diskutieren. Überall dort, wo Israel abgezogen ist, im Südlibanon und im Gazastreifen, "zieht der Iran ein", sagt Netanjahu. Er habe nicht vor, sich ein zweites "Hamastan" im Westjordanland zum Nachbarn zu machen. Was ihm stattdessen vorschwebt, ist ein "Wirtschaftsfrieden". Wachstum im Westjordanland auch durch den Abbau von Straßensperren, "ohne dass unsere Sicherheit gefährdet wird". Und im Gazastreifen? "Letztlich werden wir keine Wahl haben, als die Hamas-Führung zu stürzen", sagt er, als sei dies eine der leichtesten Übungen.

"Bibi wird einen Streit mit den USA herbeiführen", warnt Konkurrentin Zipi Livni. Dieser jedoch beschwichtigt, spricht von der Offenheit im Weißen Haus für "neue Ideen" und freut sich auf die Zusammenarbeit mit "Secretary of State Hillery Clinton". Dass auch die Palästinenser inzwischen verstanden hätten, "was gut für sie ist", könne man schließlich aus der Reaktion des Westjordanlandes auf den Gazakrieg erkennen. "Nichts ist passiert." Womit er nicht ganz Unrecht hat. Noch spielt die Regierung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas mit. Jeder Ansatz eines Protestes gegen Israel wurde mit harter Polizeigewalt umgehend erstickt.

Doch selbst wenn sich Washington und Jerusalem in der Palästinenserfrage arrangieren, was schon unwahrscheinlich ist, so dürften die unterschiedlichen Ansätze von Netanjahu und US-Präsident Barak Obama, spätestens wenn die Sprache auf den Iran kommt, für Komplikationen sorgen. Wobei "mein Eindruck ist, dass Obama die Gefahr für Israel, die Region und die ganze Menschheit verstanden hat", sagt Netanjahu, dessen Selbstbewusstsein durch nichts zu trüben zu sein scheint.

Der Politiker ist auf der Herzlia-Konferenz in seinem Element, souverän und sicher der beste Redner der drei Kandidaten für das Amt des Premiers. Ein Schauspieler und Charmeur. Wenn er zu seiner Brille greift oder einem Bekannten zuzwinkert, dann bekommt man den Eindruck, er hätte sich die kleinen dramatischen Einlagen zuvor auf seinem Notizblock notiert, so perfekt kommt jede Geste daher.

"Die Kombination von Terror und Atomwaffen ist eine neue Ebene", warnt er im Hinblick auf den Iran und zieht die Augenbrauen zusammen. Nie zuvor sei eine extreme religiöse Regierung im Besitz von Massenvernichtungswaffen gewesen. "Und wir [Israel] sind die Ersten, auf die er [Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad] zielt." Ob Netanjahu auch ohne die Zustimmung Obamas einen Präventivschlag gegen Iran wagen würde? Als professioneller Opportunist wird er es allen recht zu machen versuchen, die wichtig für seine Karriere sind. Zumindest so lange, wie die Geheimdienste noch keinen Großalarm schlagen. Die Zeit läuft, sagt er. "Meine größte Mission als Regierungschef wird sein, die iranische Bedrohung abzuwenden."

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