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EU-Kommission misstraut MedienÜberall lauern Spione

Der ideale Journalist wühlt nicht im Dreck und berichtet positiv aus Brüssel - so hat es die EU-Kommission gern.

Blöde Journalisten: Die Medienmeute berichtet zu kritisch - meint zumindest die EU-Kommission. Bild: dpa

Der Sprecher von Medienkommissarin Viviane Reding guckte mal wieder äußerst ungehalten von seiner Kanzel auf das Podium hinunter in den Pressesaal. "Nur 24 Prozent aller Europäer kennen die europaweit geltende Notrufnummer 112", sagte er streng.

Sollte heißen: Statt ständig nach Skandalen zu buddeln, solltet ihr Brüsseler Journalisten mal ein paar nützliche Informationen an eure Leser weitergeben. Die human story lieferte der Sprecher gratis dazu: "Letztes Jahr konnte ein vierjähriger Junge in Polen seiner Mutter das Leben retten, weil er die Notrufnummer kannte."

Doch keiner der Kollegen beim "Mittagsbriefing", bei dem die EU-Kommission jeden Tag um zwölf ihre Pressemitteilungen vorliest, interessierte sich für die Notrufnummer 112. Ob es stimme, dass die Kommission am 19. Dezember in einem internen Brief vor steigender Spionagegefahr gewarnt und dabei ausdrücklich die Journalisten als Risikogruppe benannt habe, wollte ein deutscher Kollege wissen.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte aus dem Brief, der an alle für Personalfragen zuständigen leitenden Beamten gerichtet gewesen sein soll, zitiert: "Eine Anzahl von Ländern, Informationsbeschaffern, Lobbyisten, Journalisten und anderen Außenstehenden versucht weiterhin, sensible und geheime Informationen zu erhalten", hieß es darin.

Seufzend ging eine Sprecherin zum Mikrofon und bestätigte die Existenz eines solchen Briefes. Es habe mehrere Fälle von Spionage gegeben, darunter einen Praktikanten, einen aus einer nationalen Verwaltung entsandten Beamten und einen Sachverständigen. Die Warnung richte sich also nicht speziell gegen Journalisten. "Das kann auch die junge Praktikantin sein, mit den blonden Haaren und den langen Beinen", sagte die Sprecherin, die selbst dunkelhaarig und eher klein ist.

Niemand hat etwas dagegen, dass sich die EU-Kommission gegen Spionage schützen will. Wenn über die Zulässigkeit einer Fusion oder einer staatlichen Beihilfe entschieden wird, sind das börsenrelevante Informationen, die einem Insider große finanzielle Vorteile verschaffen könnten. Auch Handelsstrategien oder Vertragsentwürfe sollten nicht vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangen.

Doch das grundlegende Misstrauen gegenüber den 1200 in Brüssel akkreditierten Korrespondenten geht über ein solch gesundes Maß an Vorsicht weit hinaus.

Aus der Perspektive von José Manuel Barrosos Behörde ist die Presse kein nützliches Korrektiv der Politik, das kritische Fragen stellt und eine Kontrollfunktion wahrnimmt. Ihre Aufgabe sollte es vielmehr sein, positive Botschaften über Europa im Allgemeinen und über die EU-Kommission im Besonderen in alle Welt zu schicken.

Es gibt doch so viel Gutes zu berichten: Telefonieren ist billiger geworden, das Internet soll bald sicherer werden und die Krise wäre ohne Euro und Binnenmarkt auch viel schlimmer ausgefallen. Doch was machen die blöden Journalisten? Lassen wirklich wichtige Themen wie die Notrufnummer 112 links liegen und spionieren in den Papierkörben herum.

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