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Behinderte Schüler in DeutschlandAussortiert und abgesondert

Conny ist halbseitig gelähmt und geht auf eine Sonderschule. Laut UN-Konvention müssen Kinder wie Conny in normale Schulen integriert werden - doch die Bundesländer schert das nicht.

Endstation Sonderschule: In Deutschland werden zu viele Kinder mit Behinderungen auf sogenannte Förderschulen abgeschoben. Bild: photocase/madochab

Letztes Jahr, in der ersten Klasse, ging Conny* noch zu Fuß zur Schule. Es dauerte ein bisschen länger als bei den anderen Kindern, das rechte Bein und die rechte Hand wollen nicht, wie sie es will. Auch im Unterricht ging es nicht immer ganz so schnell. Beim Ausschneiden von Buchstaben zum Beispiel. Und auch beim Rechnen, da hielt das Mädchen mit den blonden, schulterlangen Haaren nicht ganz mit. Aber in Deutsch und Englisch war Conny ganz gut. Es gefiel ihr an der Schule, dort hatte sie ihre Freunde.

KULTUSMINISTER TAGEN

Elterninitiativen, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und die Grünen kritisieren Pläne, für Sonderschüler einen eigenen Abschluss zu schaffen und die Jugendlichen so aus den Schulabbrecherstatistiken verschwinden zu lassen (taz berichtete). Darüber wollen die Kultusminister der Länder in Stralsund beraten, deren Konferenz an diesem Freitag endet.

Die bildungspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Priska Hinz, bezeichnete das Vorhaben als "echten Skandal". Anstatt statistischer Tricks sollten die Kultusminister Vorschläge vorlegen, wie Deutschland zu einem inklusiven Schulsystem kommen könne, wie es die UN-Behindertenkonvention fordert. Laut einem von den Grünen in Auftrag gegebenen Gutachten des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie könnten bis 2020 alle Sonderschulen aufgelöst werden. Dies würde jährlich zwischen 1,8 und 4,3 Milliarden Euro kosten.

Die Freunde sind immer noch dort. Nur Conny nicht mehr. Heute wird die Achtjährige jeden Morgen von einem weißen Kleinbus abgeholt. Der bringt sie an eine Schule, die zehn Kilometer außerhalb ihrer baden-württembergischen Gemeinde liegt. Es ist eine Schule für Körperbehinderte. Eine Sonderschule.

Conny ist von Geburt an halbseitig gelähmt. Sie war ein Frühchen. Connys Mutter Sonja Klein* wollte nie, dass ihre Tochter auf eine Sonderschule kommt. Und im ersten Schuljahr wurde ihr auch immer wieder gesagt, mit zusätzlichen Förderstunden wäre alles kein Problem. Nur: Ein Unterstützungslehrer kam nie, sosehr die Mutter auch drängelte.

Plötzlich sagten alle, auf der Sonderschule sei das Kind richtig aufgehoben, berichtet die Mutter. Als auch noch das Klassenzimmer ein Stockwerk nach oben verlegt wird, verzweifelt sie. Treppensteigen ist für Conny besonders schwer. In der Hoffnung, dass es ihrem Kind auf der Sonderschule bessergeht, knickt die Mutter schließlich ein. Das Problem ist nur: Sonja Klein findet inzwischen, es geht Conny dort nicht besser. Nicht nur, dass die Freunde fehlen. Nicht nur, dass sie jeden Tag vom Ort weggekarrt wird. "Sie lernt so gut wie nichts mehr dazu."

Eigentlich dürfte es nicht allzu schwer sein, ein Mädchen wie Conny in eine normale Schule zu integrieren. Die Gemeinden geben Milliarden aus, um Schulen zu sanieren, Multimedia-Equipment anzuschaffen und Turnhallen zu bauen. Da soll kein Geld da sein für Förderstunden? Kein Geld für Kinder wie Conny?

Dabei hat sich Deutschland mit Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem zu schaffen. Zum Jahreswechsel ist sie auch hierzulande in Kraft getreten. Inklusiv, das heißt: Alle werden gemeinsam unterrichtet. Sozialverbände und Behindertenorganisationen sehen das Übereinkommen als Meilenstein und glauben, dass Eltern auf Grundlage der UN-Konvention klagen können, wenn die Behörden ihre Kinder in eine Sonderschule abschieben wollen. Die Regelschule soll auch für Kinder mit Behinderungen die Regel werden - und nicht wie bisher die Ausnahme.

In Deutschland werden heute nur 15 Prozent der Schüler mit sogenanntem sonderpädagogischen Förderbedarf in die normalen Schulen integriert. 85 Prozent werden in Schulen gesteckt, in denen sie unter sich bleiben - so wie die achtjährige Conny. In den anderen Ländern der Europäischen Union ist das Verhältnis umgekehrt.

Mehr als 400.000 Kinder und Jugendliche werden in Deutschland ausgesondert, das ist knapp jeder 20. Schüler. In Italien und Norwegen kommt noch nicht einmal jeder 200. Schüler auf eine Sonderschule. Und es sind nicht nur die Schwerstbehinderten, die Downsyndrom-Kinder, die Querschnittsgelähmten und Autisten oder Gehörlosen, die auf deutschen Sonderschulen landen, sondern auch die Hyperaktiven, die Rechenschwachen, die Aggressiven. Oder einfach nur die Armen und die Ausländerkinder.

Ausländische Kinder landen mehr als doppelt so oft auf Lernbehindertenschulen wie deutsche Kinder - oft nur, weil sie schlecht Deutsch können. Auf diesen Schulen versammelt sich die Hälfte aller Sonderschüler. Offiziell heißen sie nicht mehr "Lernbehindertenschulen". Und auch das Wort "Sonderschulen" vermeiden die Behörden meist. Sie reden von "Förderschulen mit Förderschwerpunkt Lernen". Doch der Name ändert nichts: Im internationalen Vergleich bleibt es ein Sonderweg. Einer, der gnadenlos gescheitert ist. Doch kann die UN-Konvention ihn tatsächlich beenden?

Drei Jahre Zeit wollten sich die Kultusminister nehmen, um auf die neue Rechtslage zu reagieren. Doch der baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau (CDU) sieht die Forderungen aus der Konvention schon jetzt erfüllt. Sein Ministerium teilt mit: "Baden-Württemberg erfüllt mit den Angeboten und Möglichkeiten seines Schulsystems, wie alle anderen deutschen Länder auch, die Forderung der UN nach einer gleichwertigen Bildungsteilhabe für Menschen mit Behinderungen." Sein bayerischer Amtskollege Ludwig Spaenle (CSU) ließ vor wenigen Tagen wissen, dass er sich gegen eine Aufgabe der Förderschulen zugunsten einer Integration in normale Schulen wehren werde. "Wenn es sein muss, lasse ich mich dafür auch verklagen", sagte Spaenle.

Karin Evers-Meyer ärgern solche Aussagen. Evers-Meyer ist Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. Im Ausland, erzählt sie, werde ihr immer wieder vorgehalten, dass Deutschland Weltmeister im Aussortieren sei. "Ich würde dann gerne sagen, das stimmt nicht", sagt Evers-Meyer. "Aber die Tatsachen sind so deprimierend, wie sie sind." In diesen Wochen ist die SPD-Politikerin von Kiel bis München unterwegs, um zu diskutieren, wie die UN-Vorgaben umgesetzt werden können. Denn im Gegensatz zu Bayern und Baden-Württemberg findet sie nicht, dass Deutschland ihnen schon nachkommt. "Die Zahlen sind beschämend", sagt sie.

Evers-Meyer hat einen Preis für inklusive Schulen ins Leben gerufen, benannt nach Jakob Muth, einem Pionier der Behindertenpädagogik. Und dann ist da eben die UN-Konvention. Durch sie wird sich etwas bewegen, hofft Evers-Meyer. Und wenn es durch die Klagen passiert, die der bayerische Kultusminister schon auf sich zurollen sieht. Diese Klagen werden kommen, sagt Evers-Meyer. Die ersten Eltern bereiteten sich darauf vor.

Rolf Werning hat weniger Hoffnung auf eine grundlegende Wende. Er war selbst Sonderschullehrer, heute ist er Pädagogikprofessor in Hannover. "Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland" heißt die Bibel der Bildungsforschung, die gerade in neuer Ausgabe erschienen ist. Werning hat darin das Kapitel über Sonderschulen geschrieben. Es endet mit dem Wort: Stagnation. Dabei ist das Urteil von Werning und vielen anderen Wissenschaftlern eindeutig: Behinderte Kinder lernen an den Sonderschulen nicht mehr als an normalen Schulen, sondern weniger. Nicht einmal 20 Prozent schaffen einen Hauptschulabschluss. Zusätzlich bekommen sie noch ein soziales Stigma verpasst: dumm, dümmer, Sonderschüler. Nicht die Sonderpädagogik an sich sei gescheitert, sagt Werning.

Das Prinzip Sonderschule aber sei es eindeutig. Oft entscheidet das Prinzip Zufall, wer auf einer Sonderschule landet. Migrantenkinder haben in Baden-Württemberg ein mehr als dreimal so hohes Risiko, auf eine Lernbehindertenschule geschickt zu werden wie in Bremen oder Berlin. In Sachsen-Anhalt ist der Anteil der Schüler auf allen Sonderschulen mehr als zweieinhalbmal so hoch wie in Schleswig-Holstein - eines der wenigen Länder, die sich offen zum Ziel einer inklusiven Schule bekennen. In den nächsten zehn Jahren soll dort die Integrationsquote so hoch sein wie im Rest Europas, also bei 85 Prozent.

Doch öffentliches Lob erhalten andere Länder. Sachsen etwa, das bei der jüngsten Pisa-Vergleichsstudie gerade als großer Sieger gefeiert wurde. Von Weltspitze war die Rede, von einem Triumph auf ganzer Linie. Doch zu welchem Preis?

"Wenn Kinder in den Schulen Probleme machen, wird in vielen Fällen sofort das Thema Förderschule ins Gespräch gebracht", sagt Astrid Grüttner vom sächsischen Landeselternrat. Grüttner hat selbst leidvolle Erfahrungen gemacht. Ihre Tochter hat ADS, das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, und kann sich nur schlecht konzentrieren. Die Grundschule wollte das Kind schon in der ersten Klasse auf eine Sonderschule abschieben. Die Mutter wehrte sich - mit Erfolg. Heute besucht das Mädchen das Gymnasium, bei Klassenarbeiten darf sie sich mehr Zeit nehmen als die anderen Jugendlichen.

Immer wieder hört Grüttner von Fällen, in denen ADS-Kinder, aber auch Kinder mit Rechenschwäche auf Sonderschulen verfrachtet werden sollen. Grüttners Erfahrung: Während sich die Bildungsbürger unter den Eltern oft erfolgreich wehren, landen die Kinder in einkommensschwachen Familien schneller auf der Sonderschule. Und noch etwas hat sie beobachtet: Wenn das Kind einmal abgeschoben ist, ist der Weg zurück extrem schwierig. "Da laufen die Eltern gegen Wände."

Dabei geht es auch anders. Oft sind es einzelne Schulleiter, Lehrerkollegien und Eltern, die sich auf den Weg zu einer inklusiven Schule machen. So wie das Werner-von-Siemens-Gymnasium in Bad Harzburg. In der Klasse 7a lernen die Schüler zusammen mit drei Jugendlichen mit Downsyndrom und einem schwer mehrfach behinderten Mädchen. 20 Stunden in der Woche kommen Förderlehrerinnen in die Klasse, die Amelie, Astrid, Marvin und André auch mal in einem Extraraum unterrichten. Aber Fächer wie Sport, Musik und Biologie haben alle gemeinsam, Deutsch zum großen Teil, Mathe und Englisch immerhin in einzelnen Stunden.

Die Klassenlehrerin Ina Samel orientiert sich im Unterricht an der Regel: Die Themen sind dieselben für alle, die zu erreichenden Ziele sind aber unterschiedlich. Das sei nicht immer leicht, sagt Samel. Klassische Kartenarbeit im Erdkundeunterricht etwa sei den vieren zu abstrakt. Und in Chemie müssten sich die Lehrkräfte immer überlegen, wie sie unsichtbare Vorgänge visualisieren können - indem sie Gase einfärben. Das alles verlangt Zeit, Vorbereitung, Engagement. Es ist nicht der leichteste Weg - aber genau den wollten die Bad Harzburger nicht mehr weitergehen.

*Name geändert

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6 Kommentare

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  • CM
    Cordula Müller

    Liebe Leute, die Ihr da immer noch Werbung für die Sonderschulen macht:

    Wie wäre es denn , wenn Ihr-SIe mal die Förderschüler selber fragt,wo sie gefördert werden wollen??Nicht die,die ihren Abschluss schöngefärbt bekommen und vielleicht noch das Glück haben, beim Nachbarfliesenleger als Aushilfe zu arbeiten ,sondern die, die ,die in den letzten Jahren ihrer Schullaufbahn feststellen, daß ihr Abschluss sowieso das Papier nicht wert ist, worauf dieser steht. Klar, gibt es die schüleraufbauenden Lehrer in den Sonderschulen, aber nur!!! weil die Rahmenbedingungen es nicht!!! zulassen, daß ein Klassenlehrer einer Regelschule sich noch die Zeit nehmen könnte,neben dem Unterricht noch Sozial und Psychoanalysen zu betreiben.Und die Zahlen, daß ein Sonderschüler in einer Regelschule eher mehr lernt, als in einer Förderschule ,sind belegt und nicht!! aus dem Hut gezaubert.Und daß Lehrer einer Regelschule nicht wissen, wie sie z.B. mit einem Krampf oder Anfall umgehen müssen-dazu kann ich nur sagen. Auch in den Förderschulen weiss so mancher Sonderpädagoge NICHT!!!!!, wie er ein Kind zum Beispiel bei Bedarf wickeln müsste, das machen nämlich die SChulbegleiter, auch das Füttern von Kindern ist Aufgabe des Integrationshelfers, und die MEISTEN SONDERPÄDAGOGEN können sich übrigens während ihrer Studienzeit am Thema Integration Inklusion vorbeimogeln, OHNE!!!! jemals einen GU kennenzulernen!! Das wurde uns AUSDRÜCKLICH noch einmal von der Fachschaft Integration Inklusion UNI YX bestätigt.Hier kämpft eine Gruppe Studenten dafür, daß andere Studierende sich überhaupt mit anderer Form des Unterrichts beschäftigen.

    Und denkt , denken Sie daran, wir als Eltern von besonderen Kindern haben nie zu keiner Zeit ein Wahlrecht, wo unsere Kinder gefördert werden sollen, Eltern von Regelschülern haben immer Option auf eine andere Schule ,die ihnen besser gefällt, und oft ist es nur die zu hohe Anmeldezahl, die nicht zur Wunschschule führt.

    Selbst Probeunterricht nach anderer Empfehlung kann ein Regelschüler leisten, ein Sonderschüler kann dies nur mit einer einstweiligen Verfügung einklagen.

    Elterninitiative Bornheim Gemeinsamer Unterricht

  • TK
    Torsten Klaes

    Die Schulen müssen viel besser auf Kinder mit körperlichen Einschränkungen oder chronische Erkrankungen eingestellt werden. Dazu bedarf es an jeder Schule medizinisch oder pflegerisch ausgebildete Leute. Die Lehrer sind damit überfordert die Insulintherapie bei einem Kind zu überwachen, zu kontrollieren, wie häufig ein Kind heute morgen schon sein Asthma-Spray benutzt hat oder einen Krampf im Bein eines Kindes auszumassieren, das an einer Lähmung leidet. Diese Beispielkinder gehören aber definitiv auf eine Regelschule nur heute sind sie dort allein auf sich gestellt, mit liebevollen, engagierten Eltern an ihrer Seite - so läuft das heute. Die anderen Kinder müssen auf die Sonderschule - was für eine Verschwendung!

  • EL
    Eva Laubrock

    Als Lehrerin an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung (früher allgemein verständlicher "Körperbehindertenschule") lese ich die momentane Artikelflut zum Thema Aussonderung vs. Inklusion mit sehr gemischten Gefühlen.

     

    Beide Versionen - also die Artikel, in denen pauschalisierte Aussagen über "die Förderschüler" und "die Förderschulen" gemacht werden genauso wie diejenigen, in denen anhand eines individuellen Fallbeispiels das Förderschulwesen allgemein ad absurdum geführt werden soll - vermittlen meiner Meinung nach ein falsch-negatives Bild und helfen damit nicht im Geringsten weiter.

     

    Hier herrscht zunächst einmal dringender Bedarf, das zugegebenermaßen sehr komplexe deutsche Förderschulwesen mit seinen sieben Förderschulformen (in NRW) einmal differenzierter darzustellen. Erschwert wird dies durch unterschiedliche Begrifflichkeiten in den einzelnen Bundesländern - aber die müssten dann eben auch aufgedeckt werden, damit klar ist, worüber überhaupt geurteilt wird.

    Förderschule ist nämlich nicht gleich Förderschule und die SchülerInnen, die diese Schulen besuchen, stellen eine extrem heterogene Gruppe dar, für die meiner Ansicht nach nicht pauschal die EINE Lösung "Inklusion" gefordert werden kann.

     

    Ich bestreite nicht, dass durch ein anders gestaltetes Schulsystem mit mehr gut ausgebildeten Lehrkräften und kleineren Klassen, in denen eine individuellere Förderung möglich ist, einem weitaus größeren Anteil der Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf als bisher auch im Regelschulbereich Fördermöglichkeiten bereit gestellt werden könnten.

    Ob dadurch jedoch das Potential der einzelnen SchülerInnen wirklich besser ausgeschöpft werden kann, hängt - wie jetzt auch schon - in erster Linie nicht von der Bezeichnung der Schulform ab, sondern vom Engagement, dem pädagogisch-didaktischen know-how und den Einstellungen der Lehrpersonen. Gleiches gilt ja im Übrigen genauso für die individuelle Förderung der "RegelschülerInnen" - und dieses Problem wird durch die Installation der "inklusiven Schule" auch nicht gelöst.

     

    Auch die "Zuweisung" von Kindern mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf zu den einzelnen Schulformen wird natürlich erheblich durch Einstellungen und Einschätzungen der beurteilenden KollegInnen bestimmt - und von denen des zuständigen Schulamtes.

     

    Selbst wenn es gelingt, ein "inklusionsbejahendes" Schulsystem erfolgreich zu installieren, wird es jedoch immer auch eine nicht geringe Anzahl an SchülerInnen geben, die aufgrund ihrer physischen und/oder psychischen Konstitution und dem damit verbundenen sehr speziellen individuellen Förderbedarf im Rahmen eines "inklusiven Sytems" NICHT oder nur in permanenter Einzelbegleitung durch eine pädagogische Fachkraft angemessen gefördert werden können - so zumindest meine Überzeugung.

    Was passiert dann mit diesen Kindern?

     

    Ich würde mir eine sehr viel differenziertere Diskussion über dieses spannende und spannungsgeladene Thema freuen - im Sinne ALLER SchülerInnen mit sonderpädagogischen Förderbedarf und (nicht zuletzt) auch im Sinne der FörderschulkollegInnen, die ihren Beruf verantwortungsbewusst und mit viel Engagement ausüben, und deren Arbeit durch die pauschalen Urteile über die Aussonderungstaktiken des Förderschulsystems herabgewürdigt wird.

  • CM
    Cordula Müller

    Langsam reichen doch diese Botschaften von Kindern und Eltern, die GEGEN ihren AUSDRÜCKLICHEN Willen in die Sonderschulen gedrängt werden mit Argumenten, die LÄNGST der Vergangenheit angehören sollten.Ich selber bekam von unserem Bürgermeister zur Frage der Barrierefreiheit eine sehr idiotische Antwort. Schüler seien nämlich keine Besucher, und so müsste auch NICHT jeder Raum barrierefrei zu erreichen sein. Das hat sich nicht unser Bürgermeister ausgedacht, sondern ein Ministerium in NRW: Es liest sich dann so:

    Sehr geehrte Frau Müller,

     

    vielen Dank für Ihre Mitteilung.

     

    Bei allen Schulneubauten und wesentlichen Umbauten stellt sich die Frage, ob alle Gebäudeteile barrierefrei zu gestalten sind. Angesichts der finanziellen Rahmenbedingungen und der Vorgaben für die Stadt Bornheim geht es zunächst grundsätzlich um die (rein rechtliche) Frage, ob Gebäude ganz oder teilweise barrierefrei herzustellen sind. Dies ist aufgrund der Rechtslage in Nordrhein-Westfalen zu verneinen.

     

    Gemäß § 7 Behindertengleichstellungsgesetz Nordrhein-Westfalen (BGG NRW) sind bauliche Anlagen der Träger öffentlicher Belange bei Änderungen entsprechend bauordnungsrechtlicher Vorschriften barrierefrei zu gestalten. Nach 55 Abs. 1 Bauordnung Nordrhein-Westfalen (BauO NRW) müssen bauliche Anlagen, die öffentlich zugänglich sind, in den dem allgemeinen Besucherverkehr dienenden Teilen von Menschen mit Behinderun-gen, alten Menschen und Personen mit Kleinkindern barrierefrei erreicht und ohne fremde Hilfe zweckentsprechend genutzt werden können.

     

    Das Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (MBV NRW) hat in diversen Dienstbesprechungen mit den Bauaufsichtsbehörden des Regierungsbezirks Köln umfassend zur Frage der Umsetzung der Barrierefreiheit, auch vor dem Hintergrund des BGG NRW, Stellung genommen.

     

    Daraus ergibt sich folgende Rechtsauffassung des Ministeriums:

     

    Die betroffenen baulichen Anlagen müssen nicht insgesamt, sondern nur in den dem allgemeinen Besucherverkehr dienenden Teilen barrierefrei erreicht und ohne fremde Hilfe zweckentsprechend genutzt werden können. Dies bedeutet zum Beispiel für Schulen, die nicht unter § 55 Abs. 3 BauO NRW fallen, dass Schülerinnen und Schüler nicht als Besucher, sondern als Benutzer der baulichen Anlage anzusehen sind, so dass nicht sämtliche Klassenräume die Anforderungen des § 55 Abs. 1 BauO NRW erfüllen müssen. Dem allgemeinen Besucherverkehr einer Schule dienen daher zum Beispiel die Räume, die auch für Feste, Konferenzen, Versammlungen und sonstige Veranstaltungen genutzt werden sollen. Wenn Klassenräume grundsätzlich auch für Pflegschaftsversammlungen, besondere Aktionen im Rahmen von Schulfesten oder Besuche von Partnerschaftsschulen o. ä. zur Verfügung stehen sollen, ist dies in den Bauvorlagen und in der Betriebsbeschreibung kenntlich zu machen. In diesem Fall sind die Anforderungen nach § 55 BauO NRW auch auf diese Teile der Schule auszudehnen.

     

    Dennoch sehe ich es als wichtige und ständige Aufgabe an, das Umfeld für Menschen mit Behinderungen möglichst barrierefrei zu gestalten. Dabei ist die genannte Konvention der UN sicherlich hilfreich.

     

    Mit freundlichen Grüßen

    xy

    Bürgermeister

    Somit kann wieder jeder argumentieren, daß ja nicht alle Räume zu erreichen sein müssen...

    Elterninitiative Bornheim Gemeinsamer Unterricht

    www.thpcolo.de

  • MG
    Manfred Göbel

    Hört doch bitte auf, so pauschal - belegt mit Einzelbeispielen - auf die Förderschulen einzuprügeln: Schaut euch doch mal an, wie dort gearbeitet wird, wie dort an vielen Schulen Möglichkeiten zur Inklusion ständig entwickelt und überprüft werden (... sicher : nicht an allen ...)und wie in ganz vielen Fällen Kinder, die an den herrschenden Bedingungen der Regelschule kaputtgegangen sind, wieder aufgebaut werden (Ja, sowas gibts, und nicht zu selten!) Es gilt doch meist, dass eine Inklusion meist am Widerstand einer Regelschule scheitert, die unter dem ständig wachsenden Leistungs-, Kontroll- und Formierungsdruck immer seltener auf Schülerindividuen eingehen kann und will. Mit formalen Regelungen ("alle Kinder gehen ab nächsten Sommer in eine Schule") ist vielleicht endlich der Herr Redakteur zufrieden: Endlich werden Behinderte nicht mehr institutionell ausgesondert. Jetzt werden sie intern fertiggemacht - de fakto ändert sich nämlich für die meisten Betroffenen wenig bis garnichts.

  • GB
    Gisela Bröker

    Danke, danke, danke für diesen großartigen Artikel. Wegen solcher Glanzstücke lese ich die taz.