Debatte Regionale Ökonomie: Ohne Turbo fährt man besser

Die Finanzkrise zwingt zu einer ökologischen und sozialen Erneuerung der Wirtschaft. Ein wichtiger Schritt dabei wäre, die regionale Kreislaufwirtschaft zu fördern.

Für die Hatz nach immer höherer Rendite für immer größere Vermögen wurden immer mehr zeitliche, regulative und geografische Hemmnisse beseitigt und ökonomische Brachen wie Bildung und Gesundheit zur Jagd freigegeben. Diese Ökonomisierung bedroht nun aber nicht nur die ökologischen und sozialen Grundlagen der Gesellschaft, sondern paradoxerweise auch die Ökonomie selbst: Ohne jegliche feststehenden, vom weltweit vernetzten Marktgeschehen unverrückbaren Stützpfeiler und Träger ist sie kein stabiles Gebäude mehr. Sie ist nur noch ein durch massiven Wachstumsdruck aufrechterhaltenes wackliges Gebilde.

Die einzige Stabilität, die der Ökonomie bleibt, besteht lediglich in allseitigem Vertrauen in ihr Überleben. Schon der vergleichsweise kleine Stich, den die US-Immobilienkrise der Wirtschaft zugefügt hat, führte dazu, dass nicht nur die Finanzwelt, sondern auch die Realwirtschaft in der Folge in sich zusammenfiel.

Was bei schwankenden Aktienvermögen augenscheinlich ist, gilt aber ebenso für scheinbar solide Vermögen wie Immobilien, sobald sich die Vermietungsperspektive verschlechtert: Das ökonomische Vermögen speist sich aus nichts anderem als den zu erwartenden Erträgen. In einer ungehemmten und ungepufferten Ökonomie blähen sich zukünftige Erwartungen gegenseitig auf und schwächen sich ab - und damit auch die Vermögen als deren Gegenwert. Die Physik spricht hier von einer Rückkopplung, die Systeme in unvorhersehbare und unkontrollierbare Zustände versetzen kann.

Um die Wirtschaft nachhaltig zu erneuern, muss man sie nicht nur ökologisch verträglich machen - denn das wäre sie ja schon in dem Moment, in dem sie vollständig zusammenbricht. Die Wirtschaft muss sozial ausgewogen sein, innerhalb der Staaten als auch zwischen ihnen. Und drittens muss sie einen verlässlichen Wohlstand sichern und anpassungsfähig bleiben. Vielleicht werden wir der Finanzkrise noch einmal dankbar sein, wenn sie uns im ursprünglichen Sinne von "krisis" eine solche Wende beschert haben sollte. Es ist ja nicht so, dass vor der Krise alles zum Besten bestellt gewesen wäre: Trotz steigender Ölpreise belastete die boomende Weltwirtschaft die Natur mit einem enormen Ressourcenverbrauch, Unternehmen und Gesellschaft wurden unter einem starken Kosten-, Lohn- und Wettbewerbsdruck ausgequetscht. "Der Turbo ist raus", sagte kürzlich Detthold Aden, Chef der Bremer Hafenbetriebe, im Weser-Kurier. Wir haben wieder alle Chancen, zukünftig ohne Turbo zu fahren. Das wird uns und die Umwelt schonen und etwas langsamer sein, aber nicht zwangsläufig Einbußen beim Komfort bedeuten.

Schließlich ist die Finanzkrise weder Krieg noch Naturkatastrophe. Unsere Wirtschaft, also die Unternehmen samt ihren Netzen und Strukturen und unsere materielle und geistige Infrastruktur, sind ja größtenteils noch vorhanden. Sowohl der vorhergehende Boom wie auch die plötzliche Finanzkrise lassen die Vermutung zu, dass nicht die Wirtschaft selbst das Problem ist, sondern ihre Steuerung, die gewinngetriebene Ökonomie. Denn diese "(fasst) nur die Individualitäten und den Reichtum, nicht aber die Kraft, welche den Reichtum hervorbringt und beschützt, ins Auge". Dies schrieb Friedrich List im Jahre 1840 und wetterte damit gegen Adam Smiths Lehre, alles wirtschaftliche Handeln der privaten Vermögensmehrung, sprich dem Gewinnstreben, zu überlassen. Es gilt, der Ökonomie wieder Herr zu werden und ihre unbestrittenen Vorteile, die Aktivierung materieller Produktion genauso wie ihre Flexibilität, Antriebs- und Innovationskraft, in das Ziel der Nachhaltigkeit zu integrieren.

Dabei sollten folgende Leitlinien gelten: Zum einen muss die Deformation der Ökonomie, ihre unbegrenzte Intensivierung und Extensivierung, rückgängig gemacht werden; anders ist ihre Stabilisierung und die der ökonomischen Vermögen nicht möglich. Die Ökonomie hat zurückzustehen, wo soziale und ökologische Defizite größer sind als materielle Notwendigkeiten. Der Markt ist ein optimales Instrument zum Ausgleich gegenwärtiger Kräfte. Er hat aber kein Wissen über die Zukunft und kann deshalb deren Gestaltung nicht ersetzen. Der Zertifikatshandel vereinbart beide Ansprüche: quantitative Vorgaben (neben denen für CO2 sind auch solche für Flächenverbrauch oder Arbeitsplätze denkbar!), die marktwirtschaftlich effizient erfüllt werden. Die Politik aber hat sich primär an den realen Ressourcen der Volkswirtschaft statt an virtuellen Finanzgrößen zu orientieren. Es darf nicht mehr sein, dass aufgrund ungleicher Verteilung des Geldvermögens sinnvolle private und öffentliche Aktivitäten unterbleiben, obwohl Bedarf und Leistungsfähigkeit vorhanden sind. Entgegen ständiger Behauptungen ist die deutsche Volkswirtschaft keinesfalls verschuldet, sondern weist einen ziemlich konstanten Vermögensüberschuss von rund 200 Milliarden Euro gegenüber dem Ausland auf.

Die Förderung der regionalen Kreislaufwirtschaft würde einen stabilen Gegenpol zur Exportindustrie bilden, die den Schwankungen des Weltmarktes ausgesetzt ist. Sicher nicht hochrentabel, wäre sie aber sozial verbindend, arbeits- statt kapitalintensiv, ökologisch verträglich und ökonomisch verlässlich. Von A(utoupdate) bis Z(ukunftsfonds) - Beispiele für nachhaltiges regionales Wirtschaften gibt es genug. Statt die relativ wenig arbeitsintensive Produktion von Neuwagen zu subventionieren - vom Kaufpreis eines Autos landen in der gesamten Herstellungskette nur rund 50 Prozent bei den Arbeitnehmern -, sollte ein verbindliches Update für Fahrzeuge und andere Großgeräte eingeführt werden. Dieses würde ein regionales Netz qualifizierter Aufbereitungsstätten schaffen und könnte den Bestand arbeitsintensiv und ressourcenschonend auf dem neuesten technologischen und ökologischen Stand halten. Ökonomisch wäre dieses System wegen der vergleichsweise geringeren Ausgaben stabil gegen Konjunkturschwankungen. An Stelle einmaliger Strohfeuer durch Großbauten würde ein konsequentes Energieeffizienzprogramm über Jahrzehnte hinweg und regional konzentriert Arbeitskräfte, Energie und Material einsetzen und technologische Entwicklungen auf zukunftsträchtigen Gebieten anregen. Das hierfür schon vor Jahren von der IG BAU und dem B.U.N.D. geforderte und von der "Bundesarbeitsgemeinschaft umweltbewusster Unternehmen" in einen Zukunftsfonds weiterentwickelte Modell hat einen Umfang von rund 700 Milliarden Euro, die größtenteils aus dem gewaltigen privaten Geldvermögen geschöpft werden könnten. Hätten die privaten Anleger und öffentlichen Landesbanken ihr Geld hierin investiert statt in Lehmann-Zertifikate und Termingeschäfte, es wäre ihnen das Kapital geblieben: 5 Prozent Zinsen im Jahr sicher, und sie bräuchten sich weder wegen der nächsten Winter noch um die Konjunktur Sorgen zu machen.

ARNO GAHRMANN

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