Kolumne Laufen: Mit dem Bobbycar im Grenzbereich

Wofür Männer, die als "halbe Portionen" keine "richtigen Männer" sind, plötzlich gut sein könnten.

Vor vielen Jahren ist Gunter Gabriel Marathon gelaufen, in New York. Jawohl, und er hat es gepackt, die 42 Kilometer. Damals wog Gabriel 95 Kilogramm und lästerte zunächst über uns, die Profi-Läufer: "Alles halbe Portionen, 57 Kilo, lächerlich. Keine Kerle", schrieb er nach dem Wettkampf. Im Gegensatz zu uns Leichtgewichten war Gabriel ein "richtiger Mann", wie er es ausdrückte. Doch "die Dürren" liefen ihm auf und davon. Grundsätzlich wird dem "richtigen Mann" mehr Gewicht beigemessen - um nicht zu sagen: überschätzt - als ihm faktisch zukommt.

Ganz besonders ist das im Sport so. Oberarme werden auf die Größe von Oberschenkeln aufgepumpt und das Kreuz wird so lange trainiert, bis es breit ist wie ein Türstock. In manchen Sportarten können die Jungs vor lauter Kraft kaum noch laufen. Das ist für mich, den 57-Kilo-halbe-Portion-Mann, unvorstellbar. Ein Leben ohne Dauerlauf, nur wegen ein bisschen mehr Kraft. Wahnsinn.

Verlassen wir an dieser Stelle das Laufen und nehmen die Formel 1 unter die Lupe. Schnelle Autos, knackige Mädels und klar doch: "richtige Männer". Über viele Jahre haben die Macher der Formel 1 an diesem Klischee gearbeitet. Wir alle sind der Meinung, dass die Jungs in den schnellen Autos tatsächlich Kraft brauchen. "Was glauben sie denn, welche Kräfte auf die Fahrer einwirken, wenn die in Höchstgeschwindigkeit durch die Kurve fahren?", antwortete mir ein Motorsportfan auf die Frage, was die Jungs denn so trainieren. "Die machen jeden Tag Krafttraining." Wahrscheinlicher ist aber, dass die Jungs ihr Krafttraining nicht wegen der Fliehkräfte in den Kurven auf der Piste gemacht haben, sondern um bei den kurvigen Mädels im Boxenstopp zu landen. Es ist anzunehmen, dass zart besaitete Läufer wie ich gerade deshalb bei der Formel 1 nie eine echte Chance bekommen haben. Doch, in aller Bescheidenheit, ein nie entdecktes Talent geht dem Rennsport damit verloren. Erst neulich bestätigte ich beim Probetraining meine rennfahrerischen Qualitäten. Kaum war der Schnee geschmolzen und die lange Weinsteige hinauf zum Spitzberg vom Eis befreit, da holte ich den roten Flitzer aus dem Keller. Ein Überbleibsel aus den Kindertagen meines Sohnes. Ein Bobbycar.

Mit diesem Gerät auf dem Rücken und einem alten Motorradhelm unterm Arm marschierte ich den Berg hinauf. Oben angelangt, nahm ich auf meinem kleinen Gefährt Platz. Meine langen Beine ragten weit über das Bobbycar hinaus. Ich klappte das Visier des Helmes hinunter und dann ging die Post ab.

Die alte Weinsteige ist zu Beginn sehr steil. Fast freier Fall. Das Bobbycar nahm Fahrt auf. Dann die erste Rechts-links-Kombination. Ich nahm die Kurve eng, sehr eng. Nur wenige Millimeter trennten mich von der Grasnarbe. Im vorigen Sommer hatten sich die Plastikräder meines Bobbycars zwischen Efeu und Brennnesseln eingefädelt, ich wollte nicht daran zurückdenken. Diesmal ging es gut. Und schon schoss ich auf die lange Rechtskurve zu. Sie forderte meine ganze Konzentration, denn unmittelbar danach kam eine scharfe Linkskurve. Rollsplitt, dazu eine hängende Kurve. Ja liebe Sportfreunde, mehr Herausforderung geht nicht. Weit hinaus wurde ich getragen, das Neckartal kam beängstigend näher, doch die Plastikreifen hielten. Auch beim Bobbycarsport geht es um das richtige Material. Dann die lange Gerade. Hochgeschwindigkeitsbereich. Die letzte Rechts-links-Kombination. Wieder sehr eng geschnitten.

Ich sah Spaziergänger, die in letzter Sekunde hinter Weinreben hechteten. Tolle Reaktion, Kompliment. Dann war die Trainingsfahrt schon zu Ende. Selbstverständlich mit neuer Saisonbestzeit.

In der letzten Woche dann die Meldung: Die Formel 1 - der Sport der "richtigen" Männer - erfindet sich neu. In der kommenden Saison suchen die Teams nur noch leichtgewichtige Fahrer. "57-Kilo-halbe-Portion-Männer". Jeden Tag marschiere ich seither zum Postkasten und warte auf das Angebot aus Untertürkheim. Freunde, ich bin absolut in Spitzenform.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.