piwik no script img

Die Krise des deutschen HandballsMieses B-Movie

Der Handball steckt in seiner schwersten Krise und nun stehen auch noch die beiden besten deutschen Schiedsrichter unter Bestechungsverdacht.

Frank Lemme (re.) und Bernd Ullrich. Haben sie sich 50.000 US-Dollar für manipulierte Pfiffe in die Sporttasche gesteckt? Bild: dpa

Der ganze Plot wirkt einigermaßen bizarr. Wie ein schlechtes Drehbuch, das vor einigen Wochen noch entrüstet abgelehnt worden wäre. Heute jedoch stellt der deutsche Handball in diesem schlechten B-Movie eine Reihe von Hauptdarstellern: Seit zwei Wochen steht bekanntlich der Vorwurf im Raum, das Aushängeschild des deutschen Klubhandballs, der THW Kiel, habe seit 2000 mindestens zehn Spiele in der Champions League verschoben. Mittlerweile kümmert sich die Staatsanwaltschaft um den Fall. Am Wochenende erschütterte nun der nächste Skandal die Handballwelt: Die Magdeburger Frank Lemme und Bernd Ullrich, die als beste Schiedsrichter weltweit gelten, sollen im April 2006 das Europapokalfinale zwischen Medwedi Tschechow und BM Valladolid manipuliert haben.

Die beiden bestreiten die Vorwürfe des Nachrichtenmagazins Der Spiegel heftig. Aber allein das, was unbestritten ist, klingt recht unwirklich und abenteuerlich: Am Tag nach dem Finalrückspiel, das Tschechow mit 32:24-Toren gewann und damit die 29:36-Niederlage aus dem Hinspiel wettmachte, wurde Bernd Ullrich an einem Moskauer Flughafen aufgegriffen, als 50.000 US-Dollar, in einer Plastiktüte verpackt, in seiner Sporttasche gefunden wurden. Daraufhin wurde Frank Lemme, der schon die Sicherheitsschleuse passiert hatte, zurückgerufen, die beiden wurden festgehalten und verhört, auf Russisch. Sie hätten kein Wort verstanden, berichtet Ullrich, und nur irgendwie wieder nach Deutschland kommen wollen. Wie das Geld in seine Tasche gelangte, kann er sich nicht erklären, er vermutet ein Komplott. Man sei "gelinkt worden". Lemme berichtet, dass vor dem Spiel eine ihm bekannte Person, die er aber nicht nennen wolle, das Paar habe bestechen wollen, aber er habe abgelehnt. Sie hätten noch nie ein Spiel manipuliert, versichert Ullrich. Warum die Schiedsrichter diesen Vorfall nicht schon 2006 gemeldet haben, bleibt allerdings rätselhaft. Nach einer anderen Version, die aus Russland stammt, sollen die beiden Magdeburger indes bestochen worden sein.

Welche Version auch stimmen mag, die deutschen Funktionäre nahmen die Geschichte geschockt auf, sie legte sich wie Mehltau auf diese Sportart, die in den letzten Jahren doch zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit geraten war. Sollte der Vorwurf stimmen, breche für ihn eine Welt zusammen, erklärte Horst Bredemeier, der Vorsitzende des Schiedsrichterausschusses des Deutschen Handballbundes (DHB), der für das Schiedsrichterwesen zuständig ist. Die ganze Geschichte sei so oder so "unvorstellbar", ließ DHB-Schiedsrichterwart Peter Rauchfuß wissen, der in Ullrich seinen Nachfolger gesehen hatte.

Die deutschen Handballfunktionäre, die im Falle der Krise um den THW Kiel ein mehrheitlich jämmerliches Bild abgaben, versprachen am Wochenende eine schnelle Aufklärung.Man habe Lemme/Ullrich "um eine schriftliche Zusammenfassung" gebeten, sagte HBL-Präsident Reiner Witte. Am gestrigen Sonntag diskutierten das Präsidium zudem in einer Telefonkonferenz über die aktuelle Krise. Und nach Informationen dieser Zeitung hat Schiedsrichterfunktionär Rauchfuß die international tätigen Gespanne darum gebeten, alle jemals vorgekommenen Bestechungsversuche unverzüglich zu melden. Als wenn das nicht selbstverständlich wäre.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • B
    birdboy

    Und das allerschlimmste: In Zukunft wird sich Handball-Deutschland nicht mehr ergehen können in irgendwelchen Verschwörungsphantasien über süd- oder osteuropäische Pfeifenmänner, die, vom Gegner der DHB-Auswahl geschmiert, absichtlich "gegen die Deutschen" pfeifen.

    Opfermythos ade