Oskar Lafontaine über die Linke und die Krise: "Wir sind die einzigen Realisten"

"Ich war als Idiot verschrien", sagt Linksparteichef Oskar Lafontaine. Während alle anderen Parteien Heuschrecken einen roten Teppich ausgerollt hätten, erweise die Krise, wie richtig er gelegen habe.

Fühlt sich im Recht, profitiert aber nicht: Linken-Chef Oskar Lafontaine. Bild: dpa

taz: Herr Lafontaine, warum profitiert die Linkspartei nicht von der Krise?

Oskar Lafontaine: In Zeiten der Unsicherheit räumen die Bürger den Regierenden oft mehr Kredit ein. Zudem hat unsere Konkurrenz in atemberaubendem Tempo unsere Vorschläge übernommen. Was gab es für ein Gezeter bei SPD und Grünen, als wir die Börsenumsatzsteuer forderten. Oder die Begrenzung der Managergehälter. Heute wollen das auch die anderen Parteien.

Also scheitert die Linkspartei an ihrem Erfolg?

Wir wollen Politik verändern. Darin rechnen wir Erfolg - nicht in Prozenten bei Umfragen. Allerdings tut unsere Konkurrenz nur so, als hätte sie die Krise begriffen. Im Kern denken viele noch neoliberal. Union, SPD, Grüne und FDP haben ja den Heuschrecken in Deutschland den roten Teppich ausgerollt.

Hat die Krise Sie verändert?

Wie meinen Sie das?

Im Parlament haben Sie sich, als es um den Rettungsschirm für die Banken ging, an Kanzlerin Merkel gewandt und gesagt, er sei notwendig. Das wirkte richtig staatstragend.

OSKAR LAFONTAINE, geboren 1943, ist seit 2007 Parteichef der Linkspartei. Im August 2008 nominierte ihn der saarländische Landesverband der Partei auf einem Landesparteitag zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2009.

Bereits von 1985 bis 1998 war er Ministerpräsident des Saarlandes. 1990 verlor er nach der Wiedervereinigung chancenlos die Bundestagswahlen gegen Helmut Kohl als Kanzlerkandidat der SPD.

Lafontaine führte die SPD zusammen mit Gerhard Schröder im Jahr 1998 wieder an die Macht. Im März 1999 bereits schmiss er seine Ämter als Finanzminister und Parteichef entnervt hin - zog sich zurück und ließ sich als Symbol dafür mit seinem Sohn als Privatier fotografieren (siehe oben).

Im Mai 2005 besiegelte er den Bruch mit der SPD und trat wegen der "unüberbrückbaren Differenzen mit der Regierungspolitik" Schröders nach 39 Jahren aus der Partei aus.

Die Forderungen: Die Linkspartei hat ihre Wahlkampfforderungen verschärft: Hartz IV soll auf 500 Euro steigen und ein gesetzlicher Mindestlohn von 10 Euro eingeführt werden. Dies beschloss der Parteivorstand am Wochenende. Bislang wollte die Partei einen Hartz-IV-Satz von 435 Euro und einen Mindestlohn von 8,71 Euro.

Der Antrag: Ansonsten fordert die Linksfraktion im Bundestag in ihrem neuen Antrag: Millionäre müssen jährlich 5 Prozent Steuern auf ihr Vermögen zahlen. Das Arbeitslosengeld I ist zu verlängern. Es soll 500.000 öffentlich geförderte Stellen geben, die mit mindestens 1.400 Euro brutto entlohnt werden. Es wird ein 100-Milliarden-Euro-Zukunftsfonds geschaffen, der in die sozialökologische Entwicklung industrieller Strukturen investiert. In allen Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten ist die paritätische Mitbestimmung einzuführen. Bei wichtigen Entscheidungen ist eine Belegschaftsabstimmung durchzuführen. Im Fall staatlicher Hilfen für eine Firma erhält die Belegschaft Eigentumsrechte in Höhe der staatlichen Gelder. UH

Das hat etwas mit Redlichkeit zu tun. Wenn die Regierung ein Gesetz vorlegt, um den Zusammenbruch des Bankensystems zu verhindern, dann können wir doch nicht sagen: Das ist uns egal. Deswegen haben wir der Fristverkürzung beim Gesetzesverfahren zugestimmt.

und dann gegen das Gesetz gestimmt. Verstehen Ihre Wähler das?

Ja. Und man sieht heute, dass es richtig war, gegen das Gesetz zu stimmen. Denn es ist zwar bis heute gelungen, einen Bankencrash zu verhindern, doch das zweite zentrale Ziel, den Geldfluss unter den Banken wieder in Gang zu bringen, wurde verfehlt. Und immer noch kann das Geld der Steuerzahler weiter verzockt oder in Steueroasen verschoben werden.

Trotzdem: Die Krise zwingt die Linkspartei, die reine Oppositionsrolle aufzugeben.

Was sollen wir machen, wenn die anderen unsere Vorschläge übernehmen? Ich war jahrelang als Ewiggestriger, ja als Idiot verschrien, weil ich die keynesianische Idee vertreten habe. Heute sind, wie Newsweek kürzlich schrieb, alle wieder Keynesianer geworden. Ich kann nicht meine Position verändern, weil andere begriffen haben, was nötig ist.

Die Linkspartei fordert die Erhöhung von Hartz IV, die Verlängerung des Arbeitslosengeldes und einen Zukunftsfonds mit 100 Milliarden Euro. Wer bitte soll das bezahlen?

Wir sind die einzige Partei, die mit realistischen Zahlen arbeitet. Wir wollen eine Vermögensteuer, eine höhere Erbschaftsteuer und wollen den Spitzensteuersatz für höhere Einkommen anheben. Wenn Deutschland Vermögen so wie Großbritannien besteuern würde, hätte der Staat jährliche Mehreinahmen von 80 Milliarden Euro. Bei einer Börsenumsatzsteuer von 0,5 Prozent käme man in Deutschland auf 35 Milliarden Euro, wenn der Börsenumsatz wie 2008 bei 7 Billionen Euro liegt.

Die Bundesregierung geht von 3 Milliarden Mehreinahmen aus.

Das zeigt, dass sie so viele Ausnahmen plant, dass am Ende nichts übrig bleibt. Die SPD und auch die Grünen sind einfach unglaubwürdig. Sie könnten jetzt mit uns all diese Wohltaten beschließen - Mindestlohn, andere Rentenformel, grundsätzliche Korrektur von Hartz IV, Steuererleichterungen für Facharbeiter und Kleinbetriebe oder die Börsenumsatzsteuer. Die Mehrheit dafür im Bundestag ist vorhanden. Doch die SPD vertröstet ihre Wähler darauf, diese Ziele nach der Wahl mit der FDP umzusetzen. Mit Westerwelle! Das ist noch nicht einmal mehr komisch.

Die Linkspartei tut aber nichts, um Rot-Rot-Grün zu ermöglichen. Die SPD verlangt, dass die Linkspartei das Nein zu Nato und zum Lissabonvertrag aufgibt. Herr Lafontaine, Sie werden die Nato nicht auflösen. Wäre es nicht klug, dort flexibler zu sein?

Das sind Ablenkungsmanöver von SPD und Grünen. Wir sind eine europafreundliche Partei. Wir wollen eine europäische Wirtschaftsregierung - die anderen Parteien sind dagegen. Der Finanzminister hat die Briten in wilhelminischer Art beschimpft. Und der Lissabonvertrag ist schlicht von der Krise überholt worden. Kapitalverkehrskontrollen über Steueroasen, die heute viele wollen, wären nach diesem Vertrag nicht möglich.

Also gibt es keine Schnittmenge mit SPD und Grünen bei EU und Nato?

Eine Bedingung für die Zusammenarbeit mit SPD und Grünen ist, dass sich die Bundeswehr aus Afghanistan zurückzieht. Obama hat gesagt, dass der Krieg dort nicht zu gewinnen ist. Keine Reaktion bei SPD und Grünen. Das ist doch abenteuerlich. Wir wollen keine Nato, die Öl- und Gaskriege führt, sondern ein Verteidigungsbündnis, das auf Frieden und Abrüstung verpflichtet ist.

Die Linkspartei fordert einen hohen Mindestlohn. Wie soll das im Osten funktionieren?

Wir fordern 10 Euro Mindestlohn in unserem Bundestags-Wahlprogramm. In allen EU-Staaten, die den Mindestlohn haben, gibt es strukturschwache Regionen. So können sie immer gegen Mindestlöhne argumentieren.

Verabschieden Sie sich mit Maximalforderungen wie der nach 10 Euro Mindestlohn und 500 Euro Hartz IV nicht aus der ernsthaften Debatte?

Warum? In Frankreich gibt es mit dem konservativen Präsidenten Sarkozy einen Mindestlohn von 8,71 Euro, der demnächst erhöht wird. Da sind doch 10 Euro im Wahlprogramm nicht maximalistisch.

Wird die Linkspartei zu einer reinen Partei der Staatsausgaben und sozialen Wohltaten?

So zeichnen uns unsere Gegner. Aber so sind wir nicht. Wir haben Vorschläge gemacht, um die Wirtschaft zu fördern. Wir wollen etwa die degressive Abschreibung, die abgeschafft wurde, auf Dauer wieder einführen. Damit werden Unternehmen, die wirklich investieren, steuerlich entlastet. Wir wollen die kalte Progression im Steuersystem beseitigen, die vor allem den Mittelstand belastet. Und wir haben einen linearen Steuertarif mit Steuererleichterungen für mittlere Einkommen und kleine Unternehmen vorgeschlagen.

Die Linkspartei geht bei der Mitarbeiterbeteiligung neuerdings sehr weit: Es soll sogar Belegschaftsabstimmungen geben, die für die Firmenchefs bindend sind. Warum?

Weil wir ein neues Wirtschaftsmodell brauchen. Die Staatswirtschaft im Osten ist gescheitert, der Kapitalismus westlicher Prägung auch. Wer Demokratisierung will, muss zurück zu den Anfängen der Arbeiterbewegung und sehen, was dort gedacht, aber nicht verwirklicht wurde. Der CDU-Politiker Karl Arnold hat einst gesagt: Demokratie in der Politik, Absolutismus in der Wirtschaft, das passt nicht zusammen. So ist es. Bahn und Post zeigen ja, dass der Staat nicht die Interessen der Mitarbeiter vertritt. Und auch die Gewerkschaftsfunktionäre nicht immer, wie der Fall Hansen zeigt. Die Mitarbeitergesellschaft ist das Unternehmen der Zukunft. Weil alle repräsentativen Körperschaften dazu neigen, sich zu verselbstständigen.

Das gilt auch für die Linkspartei?

Ja, deswegen machen wir bei allen wichtigen Fragen Mitgliederentscheide.

Oskar Lafontaine als Basisdemokrat - das ist gewöhnungsbedürftig.

Aber dies ist ein Prinzip der neuen Linken. Es stimmt, dass ich früher im Saarland mit absoluten Mehrheiten ausgestattet Entscheidungen getroffen habe, ohne die Mitglieder genügend einzubeziehen. Das war falsch.

Zum Beispiel?

In der Schulpolitik weniger Sportstunden, die Eltern hätten das nicht mitgemacht.

Die Linkspartei wird in Thüringen und im Saarland vielleicht das Problem bekommen, dass sie zu stark wird. Die SPD will nicht Juniorpartner in einer rot-roten Regierung sein.

Die SPD muss lernen, sich uns gegenüber genauso zu verhalten wie gegenüber anderen Parteien. Wer Westerwelle hofiert und meint, die Linke demütigen zu können, hat nichts verstanden.

Aber die Linkspartei braucht auch im Westen plausible Machtoptionen.

Ja, aber was ist Macht? Wenn Macht bedeutet, etwas zu ändern, dann kann die Oppositionsrolle mächtiger sein als Regierungsbeteiligung.

Sahra Wagenknecht scheint der neue Star der Linkspartei zu sein. Dafür wurden die Realos André Brie und Sylvia-Yvonne Kaufmann nicht wieder für das EU-Parlament nominiert. Wird die Linkspartei radikaler?

Was ist radikal? Als unser Präsidentschaftskandidat Peter Sodann gesagt hat, er würde Herrn Ackermann gerne einsperren, da gab es einen großen Aufschrei in der deutschen Öffentlichkeit. Als jetzt der US-Vizepräsident Joe Biden verkündet hat, er würde gern Wall-Street-Banker im Knast sehen, hat die deutsche Öffentlichkeit das akzeptiert.

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