Ralph Bollmann Politik von oben
: Modischer Rollentausch

Grüne mit Krawatte, Schwarze im offenen Hemd: Wie sich die politische Landschaft im Jahr 2009 verändert hat, lässt sich am leichtesten an der Kleiderordnung ablesen

Zum ersten Mal fiel es mir in Saarbrücken auf. Die Augustsonne beleuchtete grell die Plakate, von denen ein freundlicher Mittfünfziger heruntergrüßte. Der Name des Abgebildeten war klein geschrieben und orange unterlegt. Bemerkenswert war, was fehlte. Sämtliche Plakatmotive im saarländischen Landtagswahlkampf zeigten diesen „peter müller“ ohne Krawatte. Damit signalisierte der Ministerpräsident eine Offenheit, die sich wenig später politisch auszahlen sollte.

Vielleicht lässt sich das Ausmaß, in dem das Jahr 2009 die politische Landschaft verändert hat, am leichtesten an der Kleiderordnung ablesen. Einige Monate später kehrte ich ins Saarland zurück, für ein Interview mit dem örtlichen Grünen-Chef Hubert Ulrich. Inzwischen hatte peter müller den bundesweit ersten Koalitionsvertrag für ein Jamaika-Bündnis unterschrieben, ein Termin, für den er das offene helle Hemd gegen einen schwarzen Rollkragenpullover tauschte. Was die Frage nach dem Krawattengebrauch gar nicht erst aufkommen ließ.

Das Accessoire, das ich an peter müllers Hals vermisste, fand ich bei dieser Gelegenheit an Hubert Ulrich wieder. Der Grüne erschien zum taz-Gespräch zwar in vertrauter Jeanshose, aber mit Krawatte. Für die Zustimmung seiner Parteifreunde zum Koalitionsvertrag hatte er kurz zuvor noch im offenen Hemd geworben. Auch käme der Grüne nicht auf die Idee, sich auf Wahlplakaten hubert ulrich zu nennen. Es würde ihn unangenehm an die Parteipostillen der Gründungszeit erinnern, die der Hierarchie von Haupt- und Beiwörtern noch skeptisch gegenüberstanden.

Für den Vorsitzenden einer Regierungsfraktion gehört die Krawatte vermutlich zur Berufskleidung. So jedenfalls rechtfertigte der frühere grüne Außenminister Joschka Fischer den dreiteiligen Anzug, dessen Dienste er nach Amtsantritt stets in Anspruch nahm. Das war bestenfalls die Hälfte der Wahrheit. Die meisten seiner Amtskollegen begnügten sich mit einem Zweiteiler.

Viele Grünen-Politiker betrachten Krawatte, Sakko oder gar Anzug als Insignien des Erwachsenwerdens. So hieß es in Porträts des Konstanzer Oberbürgermeisters Horst Frank stets anerkennend, der Südbadener trete auch bei Wahlkampfterminen in größter Sommerhitze stets korrekt gekleidet auf. Eine kleine Abweichung wird dabei gern beibehalten, sehr beliebt sind dunkle Hemden statt ihrer als konservativ empfundenen helleren Pendants.

Bei der Kanzlerin wird schon länger darüber spekuliert, was Farbe und Länge ihrer Jacke jeweils politisch zu bedeuten haben. Durch ihren einheitlichen Stil, der dem Anzug der Kollegen nahe kommt, sucht sie die Bandbreite möglicher Deutungen wiederum zu reduzieren. Auch bei Männern wird die Kleiderordnung mit dem Abschied vom uniformen Auftritt nun zur Projektionsfläche politischer Botschaften. Die Krawattenfrage reduziert sich jedoch auf ein simples Ja oder Nein, ihre Beantwortung ist folglich eine wenig komplexe Strategie der politischen Kommunikation.

Den geringsten Interpretationsspielraum lässt noch immer die Männerriege von SPD, FDP und Linkspartei. Irgendein Anzug, irgendein Hemd, irgendeine Krawatte: Damit geben sich Politiker vom Schlage eines Rainer Brüderle, Sigmar Gabriel oder Ulrich Maurer noch immer gern zufrieden. Der Krawattentausch zwischen CDU und Grünen hingegen lässt Raum für vielfältige Deutungen.

■ Der Autor leitet das Parlamentsbüro der taz Foto: M. Urbach