Terroristen überwältigt: Angriff auf Polizeischule in Pakistan
In der pakistanischen Millionenstadt Lahore greifen Militante eine Polizeistation an und nehmen Geiseln. Sondereinheiten erobern Gebäude wieder zurück.
DELHI Montagmorgen in Manawan am Stadtrand der ostpakistanischen Kulturmetropole Lahore: Kadetten der örtlichen Polizeischule absolvieren gerade ihre allmorgendlichen Übungen, als Schüsse und Explosionen durch das Areal hallen. Mehr als ein Dutzend schwer bewaffnete Männer schießen auf die Wachen am Eingang und werfen Handgranaten auf die Polizeischüler. Manche von ihnen tragen Rucksäcke, andere haben sich Polizeiuniformen angezogen. Dann stürmen sie auf das Gelände, schießen auf alle Männer, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen und verschanzen sich in einem der Gebäude.
Wieder wird Pakistan zum Ziel eines groß angelegten Terrorangriffs islamistischer Fanatiker. Und wieder, wie bei dem Angriff auf die srilankische Kricketmannschaft in Lahore vor knapp einem Monat, sind es junge Fanatiker, die den Angriff in Guerillaformation vornehmen. Polizeieinheiten treffen am Tatort ein und sperren die Umgebung ab. Kurze Zeit später stoßen Armeeeinheiten dazu. Schließlich stürmen schwarz gekleidete Mitglieder der Sondereinheit "Pak Rangers" die Polizeischule und liefern sich schwere Kämpfe mit den Fanatikern. Große Mengen Tränengas landen in den obersten Stock des Gebäudes, in dem sich die Attentäter verschanzt halten. 800 Polizeikadetten, alle unbewaffnet, halten sich währenddessen vor den Angreifern versteckt.
Am Nachmittag ergeben sich drei der Angreifer den Sicherheitskräften, die ihren Sieg mit Salutschüssen feiern. Drei andere Attentäter hätten sich in die Luft gesprengt, die übrigen seien entkommen, sagt Armeesprecher Athar Abbas dem Fernsehsender Dawn News. Mindestens 30 Polizeikadetten seien ums Leben gekommen, 150 verletzt worden. Nur das schnelle Eingreifen der Eliteeinheit habe ein weitaus größeres Blutbad verhindert.
Die Terroristen hätten das Ziel gehabt, den pakistanischen Staat zu destabilisieren, erklärte Pakistans Innenminister Rehman Malik im Fernsehen. "Ich appelliere an alle Kräfte des Landes, zusammenzustehen: Das ist der Krieg gegen den Terror."
Bis zum Abend bekannte sich keine Gruppe zu dem Angriff. Doch Aufnahmen von einem der festgenommenen Attentäter lassen Schlüsse über deren Herkunft zu: Pakistanische Fernsehsender zeigen, wie ein junger, etwa 20-jähriger Mann mit einem kurzen Vollbart von Sicherheitskräften abgeführt wird. Er hat dunkelbraune Haare und sieht afghanisch aus. Armeesprecher Abbas erklärt, der Festgenommene spreche Paschtunisch und stamme vermutlich aus dem Grenzgebiet zu Afghanistan.
Die Art des Angriffs erinnert an den Terrorangriff auf Bombay Ende November. Auch damals haben junge, schwer bewaffnete und militärisch ausgebildete Männer koordiniert ihre Ziele angegriffen. Solche Attacken waren in Pakistan außerhalb der Stammesgebiete im Nordwesten des Landes, wo die Armee gegen Islamistenmilizen und afghanische Talibankämpfer vorgeht, bislang weitgehend unbekannt. Zwar gab es auch in Lahore wiederholt Angriffe gegen Einrichtungen und Vertreter des Staats. Doch in der Vergangenheit waren es meist Selbstmordattentäter, die sich vor ihren Zielen in die Luft sprengten.
Die jüngsten Angriffe entsprechen den Leitlinien zum "Kampf in den Städten", über den Al-Qaida-Theoretiker schon seit Jahren nachdenken. 2004 veröffentlichte Aziz al-Mukrin, der ehemalige Al-Qaida-Chef in Saudi-Arabien, einen Aufsatz auf seiner Dschihad-Webseite. Darin schreibt er, solche Anschläge seien eine Art von "militärischer Diplomatie". Mukrin beschreibt, wie man zunächst Angriffsziele in Städten observiert und anschließend einen Anschlag plant.
Der Zeitpunkt des Angriffs vom Montag dürfte kein Zufall sein. Erst vor wenigen Tagen hatte US-Präsident Barack Obama seine Strategie für Afghanistan vorgestellt, wonach islamistische Fanatiker, Taliban-Kämpfer und Al-Qaida-Anhänger zukünftig verstärkt in Pakistan bekämpft werden sollen. Und erst am Montag erklärte Pakistans Präsident Asif Ali Zardari in Islamabad, Washington solle Pakistans Armee jene unbemannten Drohnen zur Verfügung stellen, mit denen die USA seit geraumer Zeit Extremisten im Grenzgebiet zu Afghanistan angreifen.
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