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KolumneKevin muss aufs Klo

Über die Unkultur, Familien in Fußballstadien ihr Unwesen treiben zu lassen und der Forderung nach Sonderblöcken für Frauen und Kinder.

B ekanntlich ist die Idee, dass Fußball ein Familiensport ist, eine von interessierten Kreisen des Entertainmentkomplexes lancierte Fehlinformation. Sie hat dazu führt, dass sich immer mehr Frauen und Kinder in den Stadien einfinden, die dort ehrlich gesagt nichts zu suchen haben.

Verständlich fand ich es daher, als sich Mike kürzlich Luft machte, wie sehr er sich durch ihre Anwesenheit belästigt fühlt. Als Dauerkarteninhaber beim 1. FC Köln hat er in den letzten Jahren eine Veränderung des Zuschauerverhaltens erlebt, die man nur noch als schockierend beschreiben kann. So sieht er sich in aufregenden Momenten des Spiels, in denen es ihn im Wortsinne nicht mehr auf dem Sitz hält, von hinten mit der Beschwerde einer Familie konfrontiert: "Können Sie sich nicht mal hinsetzen, wir sehen nichts."

In anderen Momenten hingegen muss er aufstehen, weil eine Mutter mit ihrem Kind trotz laufenden Spiels mal austreten muss: "Können Sie uns mal bitte durchlassen, Kevin muss aufs Klo." Allerdings konnte ich die Beschwerde von Mike über Kinder mit schwacher Blase so ganz nicht verstehen, weil die durch Harndrang ausgelöste Aufsteh-hinsetz-Gymnastik in Fußballstadien viel eher von Männern mittleren Alters verursacht wird, die ihren Stadionbesuch vor allem damit verbringen, zum Bierstand zu gehen, um neue Becher zu holen, und zum Klo, um deren Inhalt wieder zu entsorgen.

Aber es nervt Mike einfach, dass heutzutage zu viele beim Spiel sind, die einfach so zum Spaß ins Stadion gehen, und da geraten Mütter mit ihren Kindern eben zuerst in Verdacht. In Griechenland hingegen wäre das unvorstellbar, weiß Ewald Lienen zu erzählen, der dort fast zwei Jahre lang als Trainer eines kleineren Erstligisten in Athen gearbeitet hat. Lienen war begeistert über die unablässigen Gesänge auf den Rängen, doch als er nachfragte, was denn da gesungen würde, erfuhr er, dass es meistens um das Sexualleben der Mutter des Schiedsrichters und die Schwestern der gegnerischen Fans ging, gelegentlich kamen auch Tiere dabei vor. Die Nachbarn der Lienens kamen nur einmal mit ins Stadion, weil die Kinder immer fragten: "Papa, was singen die da über Schafe?"

Von solchen Entgleisungen ist Köln weit entfernt, hier geht es allenfalls in Heimatfragen überzogen zu ("Willkommen in der schönsten Stadt Deutschlands"). Aber für Männer wie Mike könnte es wohl etwas derber sein, und deshalb fordert er die Einrichtung von Sonderblöcken für Frauen und Kindern. "Dort kann es von mir aus auch Cappuccino geben - mit laktosefreier Milch." (Wobei ich mich von dieser Aussage distanzieren und in aller Form gegen die Intoleranz gegenüber Milchzuckerintoleranz wenden möchte.) Abfällig war auch von Sojaprodukten die Rede, aber Mike ist entschuldigt, denn er ist Koch und Gastronom.

Inzwischen gibt es in den vielen Stadien längst Familienblöcke. Der erste wurde von McDonalds in der von allen Kölnern gehassten BayArena in Leverkusen eingerichtet und nannte sich Family Street. In Bochum wurde in die Familienecke die früher mal als Maskottchen vorgesehene graue (und blau-weiße) Maus entsorgt. Sie hört auf den schönen Namen Bobby Bolzer. (Ich würde mir übrigens gerne mal erklären lassen, warum Kinder so ein Vergnügen an diesen von Studenten der Geisteswissenschaften belebten Puppen haben und sich gerne mit ihnen fotografieren lassen wollen.)

Mike hingegen wusste auch noch von einem schönen Ausflug in den Vater-und-Sohn-Bereich des Upton Park in London zu berichten, wo er sich vor etlichen Jahren ein Heimspiel von West Ham United anschaute. Per Zufall erwischte er eine der Restkarten für diesen Teil des Stadions und fand eine Welt vor, in der das Wissen um den Fußball noch souverän von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Die Väter saßen mit souverän über ihrem Bierbauch verschränkten Armen auf ihren Plätzen, während ihr Nachwuchs zuerst alle Strophen des Vereinsliedes mitsang, der gegnerischen Mannschaft dann den Mittelfinger zeigte und schließlich dem Schiedsrichter durch eindeutige Handbewegung klarmachte, dass er ihn für einen Onanisten halten würden. Von Müttern lernt man so was einfach nicht.

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