Jubiläum "Polizeiruf 110": Ost-West-Krimi-Brei
Am Sonntag läuft mit "Fehlschuss" der 300. "Polizeiruf 110" (20.15 Uhr, ARD). Doch die Ost-Antwort auf den "Tatort" hat ihr eigenes Profil verloren.
Außer dem "Sandmännchen" hat nur der "Polizeiruf 110" in der ARD die Wende überlebt. Entsprechend stolz ist man darauf, dass am Sonntag mit "Fehlschuss" die 300. Folge der Krimireihe im Ersten ausgestrahlt wird. Ob das ein Ausweis für ein Stück "Ostidentität" oder ein Beitrag zur Annäherung im soliden Mittelmaß am Sonntagabend ist, steht auf einem anderen Papier.
Vor zehn Jahren hatte Reinhard Höppner (SPD), Exministerpräsident von Sachsen Anhalt, seine Probleme, sich in der neuen, bunten Fernsehwelt zurechtzufinden: "Das Verständnis für die Lebenswelt im Osten ist überhaupt nicht da." Formal hat sich das geändert. Das ZDF legte mit den Sokos Leipzig und Wismar erfolgreiche Krimireihen am Vorabend auf. Schauspieler, Autoren oder Regisseure aus DDR-Zeiten, die nach der Wende nicht so hoch im Kurs standen, sind inzwischen gut im Geschäft. Eberhard Schmidt-Schaller etwa, der zu Zeiten des Deutschen Fernsehfunks (DFF) über dreißigmal im "Polizeiruf" im Dienst des Sozialismus ermittelte, darf nun in Leipzig Verbrecher jagen.
Andere haben sich weiter entwickelt wie Ex-ORB-Stammautor Stefan Kolditz, der vor zwei Jahren mit "An die Grenze" einen großartigen Fernsehfilm schrieb. Regisseure wie Matti Geschonneck ("Duell in der Nacht") oder Bernd Böhlich gehören dazu, der einst mit "Totes Gleis" einen der anrührendsten ORB-Krimis ablieferte. Der Produzent Thomas Wilkening, ein Garant für gediegene TV-Krimis, die nicht überall in dieser Republik spielen konnten, ist 1995 viel zu früh gestorben wie der unvergessene Kurt Böwe, der in Mecklenburg-Vorpommern ermittelte. Peter Sodann und Bernd-Michael Lade, die im "Tatort" (und nicht im "Polizeiruf") für den MDR tätig waren, wurden abgewickelt wie Böwes letzter Partner Uwe Steimle, der Ende Mai noch einen Auftritt als Kommissar Hinrichs hat.
Mit den vielen vor und hinter der Kamera, die verschwanden, ist auch das Spezifische im "Polizeiruf" abhanden gekommen. 1971 als Antwort auf den "Tatort" komponiert - davor gab es in der DDR die Reihe "Blaulicht" als Pendant zum "Stahlnetz"-, avancierte das Krimiformat zum raren Quotenhit im DFF. Hier wurden, hochkarätig besetzt und handwerklich gediegen erzählt, Themen aufgegriffen, die sonst in der DDR tabu waren. In den Mittelpunkt rückten die Motive jener, die aufgrund von Neid, Eifersucht oder Habgier Verbrechen begingen, die vom Oberleutnant Fuchs (Peter Borgelt, 84 Einsätze) oder seinem Kollegen Hübner (Jürgen Frohriep, 63 Einsätze) gewissenhaft aufgeklärt wurden.
Wie der "Tatort" in der Zeit seit Schimanski durchlebte auch der "Polizeiruf" in 40 Jahren Entwicklungen. Das Problem ist nur, dass beide Formate ihre Trennschärfe verloren haben. Der Horizont der Autoren und Regisseure wie die Quotenerwartungen in den Redaktionen lassen kaum noch zu, dass regionale Unterschiede sozialer Milieus und Befindlichkeiten erzählt oder politische Zustände kritisiert werden. Das mag erklären, warum die besten "Polizeirufe" am Ende aus Bayern kamen: mit dem Duo Edgar Selge & Michaela May, das sich demnächst verabschiedet.
Geblieben sind ostalgische Züge wie in Brandenburg, wo Imogen Kogge an der Seite des Selbstzitats in Polizeiuniform, Horst Krause, für den RBB tätig ist. Oder eben das trutschige MDR-Ermittlerduo Schmücke & Schneider aus Halle (Saale), das zum Jubiläums-"Polizeiruf" ran darf. In "Fehlschuss" sind sie einer Jugendgang auf der Spur, die unter Anleitung raubt und mordet. Über deren Motive erfahren wir in dem solide komponierten Krimi erst in der zweiten Hälfte einiges, davor sind die Kommissare überwiegend mit sich selbst beschäftigt - Autor Thorsten Näter ist nun einmal viel beschäftigt. Aus seiner Feder stammt mit "30 Stunden Angst" auch der ZDF-"Fernsehfilm der Woche" am Montag. Bei so viel Arbeit kann die Trennschärfe auf der Strecke bleiben.
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