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die wahrheitEine Stadt findet ihren Lider

Zu Ehren von Fidel Castro soll Castrop-Rauxel in Castro-Prauxel umbenannt werden.

Von der Bundesgartenschau bis zu Salsa-Weltmeisterschaften: In dieser Stadt ist alles möglich. Bild: reuters

Ein Fläschchen Piccolo habe sie sich nach der Abstimmung genehmigt, räumt Angelika Aimene-Wiegold von der Linkspartei ein. "Vielleicht auch zwei oder drei", ergänzt die Ratsvertreterin zwinkernd. Seit sie 2007 gewählt wurde, hat sie alles dafür getan, dass die "Europastadt im Grünen" sich seit heute Castro-Prauxel nennen darf.

1980 war Aimene-Wiegold zum ersten Mal in Kuba und verliebte sich sofort in die sozialistische Enklave inmitten der ferngesteuerten Marionettenregime Mittel- und Südamerikas. Selbst das schlechte Bier konnte sie nicht abschrecken. Seitdem war sie viele Male dort, spricht fließend spanisch und kann dem Baseball sogar auch dann etwas abgewinnen, wenn die New York und andere Yankees über ihren Satelliten-Sportkanal flimmern.

Ihr erster Compañero auf dem langen Marsch nach Castro-Prauxel war ausgerechnet Ratskollege Hermann-Josef Bohle-Bengsch von der Freien Wählerinitiative (FWI). "Ein Bürgerlicher, aber einer mit einem Gespür für die immer stärker auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich", wie Aimene-Wiegold anerkennend erzählt. Außerdem ist Bohle-Bengsch passionierter Zigarrenraucher.

Im Herbst 2007 fuhren Bohle-Bengsch und Aimene-Wiegold, die wie alle Ratsmänner und -frauen von Castro-Prauxel einen Doppelnamen tragen, gemeinsam nach Kuba. Bohle-Bengsch, der Vorsitzender des Fördervereins für das Kloster Bredelar ist, kehrte nachdenklich zurück: "Bredelar war ein Zisterzienserkloster, und in Kuba gab es zu meiner großen Überraschung eine Menge, was von den Idealen der alten Ordensgemeinschaft gar nicht so weit weg ist. Die haben damals keinen Zehnt mehr erhoben und sich als Arbeiter und Bauern in christo selbst versorgt. Wenn Sie mich fragen, waren das Frühkommunisten."

Leider kam es bei diesem Besuch zu keinem persönlichen Gespräch mit Fidel Castro. "Der war gerade im Krankenhaus, und wir hatten schon Angst, dass er stirbt." Kurze Zeit später trat Fidel von allen Ämtern zurück. "Dass aus dem Revolutionskämpfer über Nacht ein elder statesman geworden war, hat uns natürlich in die Karten gespielt", berichtet Aimene-Wiegold. "Fidel hat uns einen sehr netten Brief geschrieben. Aber hier im Rat hat es natürlich lange gedauert, bis wir die Vorbehalte abbauen konnten." Hugo Kurrek-Güttler, Mitglied der sechzehnköpfigen CDU-Fraktion, war einer der Ersten. Als Mitglied im Integrationsrat hatte er nichts dagegen, seine Kollegen für die Idee des Internationalismus zu sensibilisieren.

In vielen Einzelgesprächen und mit großem Einfühlungsvermögen gelang es Kurrek-Güttler, seine Fraktion für diesen ungewöhnlichen Schritt zu gewinnen. "Richtig gekippt ist die Stimmung aber erst im September 2008", erinnert er sich. Diesmal war es eine zwanzigköpfige Delegation, die den Weg in die Karibik fand. "Wir wussten, dass Hurrikansaison ist, aber wir wollten kein geschöntes Bild", erinnert sich Wolfgang Helsper-Wachtendonk. "Die Menschenrechtssituation lässt zu wünschen übrig, aber Wandel durch Annäherung hat ja schon mal recht gut funktioniert." Ausschlaggebend aber war die Pleite von Lehman Brothers, die die Wellen der Empörung im Hotelpool hochschlagen ließ. Finanzexperte Helsper-Wachtendonk erklärt: "Das Verhalten der Banken bringt für mich die Systemfrage auf die Tagesordnung. Bis sie sich sinnvoll beantworten lässt, überarbeiten wir jetzt erst einmal unser Tourismuskonzept. Mit einem Triple-A-Promi als Namenspatron ist in Castro-Prauxel fortan alles möglich: Von der Bundesgartenschau bis zur Durchführung der nächsten Salsa-Weltmeisterschaften."

Bürgermeister Johannes Beisen-Herz, der wie alle Bürgermeister seit der ersten urkundlichen Erwähnung der ehemaligen Römersiedlung im Jahr 834 von der SPD kommt, war lange hin und her gerissen: "Das war ein schwieriger Findungsprozess für uns. Einerseits können wir einem Verbrecherregime, das ein ganzes Volk als Geisel nimmt, kein Forum für seine schönfärberische Außendarstellung liefern. Außerdem wollen wir nicht, dass die Wagenknecht hier ihren Zweitwohnsitz nimmt. Andererseits ist die Idee so gut, dass sie auch von uns hätte sein können, ja müssen. Also haben wir der Initiative dieser Altstalinistin und ihrem weltfremden Kumpan von der FWI die Spitze abgebrochen, indem wir uns an dieselbige gestellt haben."

Einstimmig und durch die Turbulenzen an den Weltmärkten beinahe unbeachtet erging der Stadtratsbeschluss am 16. Februar 2009. Die Zahl der Gegendemonstranten war klein.

Seit dem vergangenen Montag werden nun an den Ausfallstraßen die neuen Ortsschilder angebracht, am Montagsvormittag stieg der festliche Rum-Empfang im Alten Rathaus, abends luden die Musikvereine zum Maximo Liderabend in die Mehrzweckhalle. Angelika Aimene-Wiegold schwang das Tanzbein bis in die Nacht hinein, genauso wie Oskar Lafontaine und Manuel Marrero Cruz, der kubanische Tourismusminister. Sie alle feierten einen großen Schritt für Castro-Prauxel, der zugleich ein kleiner Schritt für die Menschheit ist.

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