Architekt Miessen zurück in Berlin: Trend zum vollen Haus
Der Architekt und Urbanist Markus Miessen ist von London nach Berlin umgezogen, trotz schlechter Flugverbindungen. Und findet, dass sich die Stadt endlich professionalisiert hat.
Die Internationalität einer Stadt richtet sich nicht allein nach der Vielzahl ihrer Kulturen, der Menge an Starbucks oder der Frage, ob das Museum oder die Stadtverwaltung nun von Frank O. Gehry gebaut wurden. Wenn der Architekt Markus Miessen über eine Stadt spricht, bedenkt er zu allererst die Frage, wie schnell man diese möglichst problemlos und überall hin in die Welt wieder verlassen kann. Nach diesen Kriterien müsste Zürich mit seinem extrem gut angebundenen Flughafen also attraktiver und weltstädtischer sein als Berlin. "Aber im Falle von Berlin wird sich das ja mit der Flughafenerweiterung um 2012 vielleicht auch ändern", meint Miessen.
Mehr Spielraum
Der Umzug mit seinem Büro Studio Miessen sowie seinem Architekturbüro nOffice von London nach Berlin war also absolut kontraproduktiv? "Auf keinen Fall. Denn verglichen mit einer Stadt wie London ermöglicht Berlin ökonomisch immer noch erheblich mehr Spielraum und konkrete freie Zeit, um bewusst unökonomisch an Ideen zu arbeiten." Der 30jährige Architekt lebte zuletzt um die Jahrtausendwende in Berlin und brachte zusammen mit dem belgischen Architekten und Theoretiker Kenny Cupers ein kleines, damals viel beachtetes Buch heraus, "Spaces of Uncertainty". Fotografien und Essays zu Stadtpolitik und Philosophie des öffentlichen Raums sollten dokumentieren, dass die Identität einer Stadt nicht unbedingt an den ikonischen, kulturellen Wahrzeichen, sondern meistens an ganz profanen Orten zu finden ist.
"Als ich jetzt zurückgekehrt bin, hatte ich, zugegeben, ein wenig Angst vor der Ruhe hier. Doch Berlin hat sich verändert, man spricht mit rund dreißig Prozent der Kulturschaffenden plötzlich nur noch englisch, und jeder hat auf einmal gesteigerte Lust sich stressen zu lassen. Es hat sich sehr professionalisiert." Eine Professionalisierung, die anscheinend hinter dem gigantischen Klischee von literweise Latte-Trinkenden Projekt-Träumern in Ruhe und jenseits von ökonomischem Produktionsdruck stattfinden konnte. Büros wie Raumtaktik oder Raumlabor sind nur einige jener Berliner Architekturstrukturen, die in den vergangenen Jahren vor allem konzeptuell an Fragen nach urbanem Raum, Subkultur und Kunstpraxis gearbeitet haben. Auf der andere Seite sind die nun noch prekärere Arbeitssituation und das allmähliche Ende von Berlin als Billigmietenmekka sicher auch ein Stimulus dieser neuen Umtriebigkeit.
Lehrbeauftragter
Studio Miessen wurde 2004 gegründet, nOffice Ende 2007 von Miessen, Ralf Pflugfelder und Magnus Nilsson, alle drei bereits eine Weile in internationalen Diskursen zu Architektur und Urbanismus involviert. Berlin wird für sie dabei zu einer Basis, deren kulturelles und subkulturelles Kapital man genießt, ohne sich gleichzeitig von ihrer, durch die Krise noch dünnere Auftragslage abhängig machen zu müssen: Miessen lehrt an der Londoner Architectural Association, er ist Gastprofessor am Berlage Institute in Rotterdam und saß im Team des Megabestattungsprojektes für Ostdeutschland, "The Great Pyramid". Eines seiner Publikationen tauchte sogar überraschend in der Top-10-Liste für Architekturbücher des britischen Independent auf.
MARKUS MIESSEN, Jahrgang 1978, ist Architekt, Autor und freier Forscher in Harvard. Er hat sein Büro nOffice in Berlin und arbeitete die vergangenen Jahre in London, wo er nach wie vor an der Architectural Association lehrt. Derzeit hat Miessen eine Gastprofessur am Berlage Institute in Rotterdam. Sein Buch "East Coast Europe" ist im Sternberg Press Verlag Berlin/New York erschienen.
Doch auch Miessen merkt den kalten Wind der weltweiten Krise. "Unser Vorteil ist vielleicht, dass wir noch eine recht kleine Struktur sind und nicht gleich zwanzig Leute kündigen müssen, wie andere, viel größere Büros." In Dubai veranstaltet Miessen seit 2007 die Winter School Middle East und besuchte die Camps der hunderttausende von asiatischen Gastarbeitern, die Dubais architektonischen Größenwahnsinn in die Höhe wachsen lassen. Dabei ging es ihm nicht um den westlichen, gewohnt kritischen Blick auf die furchtbaren Zustände, die bei den Gedanken an Dubais Megabauprojekte immer mitschwingen. "Natürlich ist es für die meisten ein Schock das Wort Labourcamp zu hören und Massen von Männern in gleichen Arbeiteranzügen zu sehen. Unsere Fragestellung aber war eher, wie kann man jenseits der Kritik kritisch produktiv werden, ohne in Verbitterung zu verfallen und gleichzeitig die Zustände vor Ort tatsächlich positiv beeinflussen?" Klassische Architekturbüros mögen bemängeln, dass diese jungen Kollegen noch nie einen Fuß in die Realität aus lehmigen Baustellen gesetzt hätten und lieber in Margiela-Anzügen und mit Tyler Brûlés hedonistischer Globetrotter-Fibel Monocle in der Prada-Tasche zu Biennalen und Konferenzen von Sevilla bis Shenzhen jetteten. Und statt einem bezugsfertigen Bauwerk gäbe es am Ende nur elitär-komplizierte Publikationen.
Konkrete Architektur
Oder elegische Interviews, wie Miessen sie ab und zu mit Architekten oder Künstlern, wie Olafur Eliasson, für einschlägige Magazine führt. Dabei verliert die Kritik an den Nichtbauenden Konzeptlern allmählich an höhnischer Wirkung, denn immer mehr junge Büros finden plötzlich zurück zum konkreten Bauen, nehmen an Wettbewerben teil. Architekten, deren Konzepte und Ideen bisher eher im Bereich der Kunst stattfanden, auf Biennalen oder in Pavillons, Institutionen und Galerien, bauen nun um ihre bisher vor allem angefragten, konzeptuellen Ideen schließlich auch die konkrete Architektur herum. Miessen arbeitet derzeit mit Über-Kurator Hans Ulrich Obrist beispielsweise an Inhalt und Entwurf für ein Kulturzentrum in den Schweizer Hochalpen, in dem Obrists Privatarchiv in Zukunft jedermann zugänglich gemacht werden soll. Auch laufen Gespräche über ein Bauprojekt in Brasilien, unweit von Maceio. Dort will ein skandinavischer Entrepreneur eine komplette kulturelle Infrastruktur schaffen und hatte Miessen zunächst als konzeptuellen Berater herangezogen, bevor er fragte, warum nOffice nicht gleich auch das ganze Gebäude bauen wollten, eine Bibliothek. "Wenn man als Architekturbüro die Möglichkeit hat sich schon im Vorfeld zu involvieren und irrsinnig viel Zeit und Energie investiert, will man doch am Ende nicht nur ein inhaltlich leeres Administrativprojekt hinstellen".
East Coast Europe
Diese Kontakte entstehen nicht, weil der Bauherr sich vor allem ein aufregendes Bauwerk wünscht. Es entwickelt sich in Gesprächen während Konferenzen, Ausstellungsprojekten zu schrumpfenden Städten oder Vortragsreihen zu flexiblen Grenzen. So entstand während Sloweniens EU Ratspräsidentschaft auch das Buch "East Coast Europe", das Miessen gerade im Auftrag des slowenischen Generalkonsulats in New Yorks herausgegeben hat. Im Zentrum steht die Frage, wie die politische "Ostküste" der EU eigentlich zu definieren ist und warum sie durch das überstrapazierte Traumkonstrukt der amerikanischen East coast scheinbar gar nicht zu existieren scheint. Kulturschaffende von beiden East coasts trafen sich schließlich zur Diskussionen in der amerikanischen Ostküstenmetropole New York. Übrigens auch ein möglicher Bürostandort, über den Miessen nachgedacht hatte. Es scheiterte dann an den Flugverbindungen. Die seien nach Europa und in den Nahen Osten nicht gerade optimal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!