Bob Dylan auf Deutschlandtour: Zeitlose Coolness
Bob Dylan ist mal wieder in Deutschland unterwegs. Neben den hartgesottenen Verehrern, die seit Jahren mit ihm gereift sind, finden sich erstaunlich viele Neuinfizierte.
Drei Männer im Publikum, deren beste Zeiten auch schon zwei Jahrzehnte zurückliegen dürften, sorgen sich um Dylans Kondition - ob die wohl noch für so einen Konzertabend reicht? In ungeschliffenem Thüringisch wird diskutiert und dem alten Fahrensmann nicht mehr allzu viel zugetraut. So eine Tour sei doch eine Tor-Tour, witzelt einer. Finanziell hat der das nicht mehr nötig, weiß der andere.
Wer laut solche Gedanken ausspricht, outet sich schnell als Kleingeist und Dylan-Debütant. Keiner der unzählbaren Dylanologen, die die Setlists der letzten 100 Konzerte aufsagen können, würde sich mit solchen Äußerungen den Blick aufs Eigentliche, die Musik, die Poesie und die Performance, verstellen. Immerhin befindet sich Dylan seit 20 Jahren auf seiner "Never Ending Tour", und bisher gibt es keine Anzeichen der Ermüdung. Der auf die 70 zuschreitende Meister ist zu vielem in der Lage und zu allem fähig. Und er braucht weder das Geld noch den Ruhm. Vielleicht braucht er nicht einmal das Publikum. Er spielt, ganz einfach, weil das Musikmachen sein Beruf ist. Möglicherweise schätzt er die Anwesenheit der Fans zuweilen aber doch: Einmal huscht ihm, wie aus Versehen, der Ansatz eines Lächelns um die Mundwinkel, als die Menge in der Erfurter Messehalle freudig johlt. Und seine ungelenken Ausfallschritte hinterm Keyboard scheinen Ausdruck innerer Bewegtheit. An den Bühnenrand drängt es ihn nur, wenn er einhändig die Mundharmonika spielt - seine Körpersprache erinnert dabei immer mehr an Udo Lindenberg, wovon aber beide vermutlich nichts wissen.
Dylan ist mal wieder in Deutschland unterwegs, und neben den hartgesottenen Verehrern, die seit Jahren mit ihrem "Song and Dance Man" gereift sind, finden sich erstaunlich viele Neuinfizierte ein: junge Menschen mit hippen Turnschuhen, die diesmal ihre Eltern zu Hause gelassen haben. Mittdreißiger, meist paarweise, die es dicht vor die Bühne zieht, während die Altfans sich eher Sitzplätze im Hintergrund gesichert haben. Die Show, die sie zu sehen und zu hören bekommen, ist so etwas wie ein gut eingespieltes Ritual mit einigen Unbekannten.
Zum gewohnten Szenario gehört: die Oscar-Trophäe, die Dylan seinem Song für den Film "Wonderboys" verdankt und die dezent illuminiert auf einer Verstärkerbox thront; die sonore Ansprache vom Band, die den "Columbia Recording Artist Bob Dylan" zu Zirkusmusik knapp und ironisch ankündigt - ungeheure Steigerung des Wallungswerts, wenn schließlich das Bühnenlicht angeknipst wird; die hellen Anzüge der fünf Musiker und der schwarze Dylans, was Hierarchie im Bandgefüge signalisiert, Stil- und Traditionsbewusstsein, Südstaaten-Slickness und zeitlose Coolness. Wenn Dylan seine Verse notorisch scharfkantig ins Mikrofon bellt, entsteht so etwas wie absolute Präsenz: His Bobness ruft mit Stimme und Sound alles auf, was seine Musik und überhaupt die der letzten 70 Jahre ausmacht; und zugleich macht er alles vergessen und erfindet sich und die Musik in jedem Moment neu. Re-Make/Re-Model aus Ehrfurcht und Langeweilevermeidung.
Auf dem Klanggerüst aus rauem, polterndem Rock, Blues und Hillbilly hat seine Stimme sicheren Halt, ist fauchend und aggressiv. Lockend und zärtlichkeitsheischend ist sie, wenn alles runtergefahren wird zu einem heiter-gelassenen Groove, wenns swingt und schwooft. So wird "Girl of the North Country" zu einer countryfizierten Ballade, und "Beyond the Horizon" mit Dylans Orgelspiel zu einer lässigen Kirmesnummer. Überhaupt bietet er viele Songs seines letzten Albums "Modern Times" dar und einige aus der ganz frühen Phase: ein abgebrüht schleppend vorgetragenes "A Hard Rains Gonna Fall" beispielsweise, und als letzte Zugabe das eigentlich durch die Hundertschaften von Fußgängerzonen- und Kirchentags-Klampfern für alle Zeiten verdorbene "Blowin in the Wind" in einer berückend schönen Memphis-Soul-Version. Vom neuen Album, das Ende April erscheint, gibts jedoch keinen einzigen Akkord. Hatte er beim Auftakt seiner Deutschland-Tour in Hannover "Leopard-Skin Pill-Box Hat" und "Stuck Inside Of Mobile" vom Album "Blonde on Blonde" auf der Setlist, spielt er nun von dieser Platte ein verhuschtes "Most likely you go your way". Kein Abend soll sein wie der andere; kein Song gültig für die Ewigkeit: Dylan schreibt sich und jedes Lied immerzu fort.
In den letzten Jahren wird daraus eine Art Gesamtkunstwerk, dessen Entstehung man von Abend zu Abend miterleben könnte. Kann man natürlich nicht. Es sei denn, man wäre einer jener Hardcore-Exegeten, die Dylan wie Jünger hinterherziehen, auf Kongressen neueste Erkenntnisse austauschen und jedes Schnipselchen, jedes Ton- und Wortdokument wie Reliquien sammeln. Kein Konzert, das nicht von irgendwem mitgeschnitten würde. Auch in Erfurt sind die Bootlegger nicht zu übersehen. Eine fast Borgessche Vision: Um die Metamorphosen Dylans hörend nachzuvollziehen, bräuchte man wiederum ein ganzes Leben. Vielleicht aber genügen auch Kostproben dieses Work in Progress. Ein paar Konzerte. Wenn mans gut trifft und Dylan an einem seiner grandiosen Tage zu Gehör bekommt wie in Erfurt, dann kann das schon glücklich machen.
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