Kommentar Russischer Anti-Terror-Kampf: Der Sultan von Tschetschenien

Auf den ersten Blick scheint das von Russland verkündete Ende der Anti-Terror-Maßnahmen in der Kaukasusrepublik den Frieden zu bringen. Doch die Region ist weiterhin zerrüttet.

Mit der Aufhebung des "Regimes gegen den Terror" beendet der Kreml offiziell den vor zehn Jahren begonnenen Feldzug gegen die abtrünnige Republik Tschetschenien. Die Kaukasusrepublik wird als vollwertiges Subjekt der Föderation wieder mit allen Rechten ausgestattet. Ruhe und Ordnung, ja Stabilität sind nach offizieller Lesart Moskaus in die einst aufmüpfige Region zurückgekehrt. Wladimir Putins Strategie ist aufgegangen.

Der brutale Kriegszug gegen die Zivilbevölkerung brach den Widerstand, die anschließende Wahl eines moskautreuen Statthalters stoppte den weiteren Zerfall des russischen Imperiums. Tschetschenien ist befriedet und in den Vielvölkerstaat heimgekehrt. Die Staatsräson hat gesiegt.

Auf den ersten Blick trifft das Fazit zu. Wer genauer hinschaut, stellt fest, dass die Region insgesamt unsicherer geworden ist. Islamismus und soziale Unruhe haben seit dem Krieg auch die Nachbarrepubliken erfasst. Vor allem aber entfremdete sich die Bevölkerung von den aus Moskau inthronisierten Eliten immer weiter, die traditionellen Bande dieser Gesellschaften sind gekappt. Auf die Dauer wird so die Region nicht zu halten sein.

Auch in Tschetschenien ist kein dauerhafter Friede eingekehrt. Zwar bekennt sich der Protegé des Kreml, Ramsan Kadyrow, ohne Wenn und Aber zum russischen Mutterland. Für das Bekenntnis zu Russland erhielt der tschetschenische Sultan alle Freiheiten. Russland zog in den Krieg, um die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen. Zwar gehört die Republik nun wieder zur Föderation. Ansonsten hat sie mit dem Mutterland jedoch nichts mehr gemein. Russische Rechtshoheit wich einer Mischung aus autokratischem Richterspruch und Versatzstücken islamischen Rechts. Unter den schützenden Flügeln Putins erlangte Kadyrows Tschetschenien ein Maß an Unabhängigkeit, wovon die Separatisten nur zu träumen wagten.

Diese Autonomie wird der Despot von Grosny freiwillig nicht mehr aufgeben. Am Horizont zeichnet sich schon ein neuer Konflikt ab, der den gesamten Kaukasus in Flammen setzen dürfte.

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Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.

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