Aus für HipHip-Firma Aggro Berlin: "Ich hab schon 10.000, Mann"
Aggro Berlin stand mit Künstlern wie Sido für poppige Beats mit harten Texten. Doch die Aggressiven wurden milde, das Label ist Geschichte. Ein Insiderrückblick
Weich gekocht
VON JAN KAGE
2001, zu einer Zeit, als die Industrie das Thema Deutschrap für tot erklärt hatte und die Majorlabels die zuvor hofierten Hiphopper einen nach dem anderen wieder fallen ließen, taten sich drei Berliner Szeneaktivisten zusammen und gründeten Aggro Berlin. Der Grafittimaler und Grafiker Specter, der Profibreakdancer Spaiche und Halil, der Betreiber des Schöneberger Hiphop-Gebrauchsartikelladens und -Versands Downstairs, schufen in wenigen Jahren eines der erfolgreichsten deutschen Indielabels.
Aggro Berlin grätschte Anfang der Nullerjahre in die Nische des pöbelnden Straßenraps, die Kool Savas zuvor popularisiert hatte, aber wieder freigab, nachdem er als "Pimplegionär" zu Ruhm gekommen war und sich dann Themen wie Vegetarismus und sozialer Verantwortung zuwenden wollte.
Es muss im Sommer 2000 gewesen sein, als ich Specter auf dem Chemnitzer Splash Festival kennenlernte, und er mich in seinem Auto mit zurück nach Berlin nahm. Wir diskutierten Savas Kursschwenk, den ich für klug hielt, denn Savas schien mehr Anliegen zu haben, als nur mit dem Adjektiv "schwul" die bis dahin politisch relativ korrekte Szene zu schockieren. Für mich schuf er sich damit frühzeitig den Freiraum, künstlerisch ein breiteres Themenfeld bearbeiten zu dürfen, und nahm dafür in Kauf, ein paar alte Fans zu verlieren.
Specter war anderer Meinung: "Man muss das machen, wie das Dr. Dre mit Eminem gemacht hat: Die Beats werden poppiger, aber die Texte bleiben hart", beschied er.
Dann spielte er mir die Kassetten von Sidos alter Gruppe Alles Ist Die Sekte (A.I.D.S.) vor und fragte mich nach meiner Meinung. Die Beats waren von grottiger Soundqualität, die Flows - also die lyrisch-rhythmische Darbietung - schienen von Savas kopiert und die Inhalte platt. "Ja, geil", sagte Specter, "ich glaub, die nehm ich unter Vertrag!"
Das tat er dann auch. Specter schuf den grafischen Auftritt von Aggro Berlin, entwarf das Kreissägeblatt-Logo und das Image eines jeden Künstlers. Er war es, der Sido die Maske gab, die ihn bekannt machte. Specter wurde zu so was wie dem Malcolm McLaren des Berliner Hiphops. Ein genialer Vermarkter, der es versteht, den Skandal zu inszenieren und auszubeuten.
Ich weiß nicht mehr, ob ich Sido schon vorher begegnet bin, aber spätestens 2001 stellte Specter ihn mir auf einem Konzert im Pfefferberg vor. Es war nur eine kurze Begegnung, im wesentlichen nur ein Handschlag. Sido guckte dabei auf den Boden. Der Junge war schüchtern. Als ich ihn dann anderthalb Jahre später traf - wieder mal auf dem Splash Fest, im Hotel am Frühstücksbuffet - war er ein ganz anderer Typ. "Ey, Yaneq, wie gehts, Alter?", schleuderte er mir gut gelaunt entgegen und schob die Frage hinterher, wie viele Exemplare meiner Single mein Label verkauft habe.
Ein befreundeter Einmannladen hatte eine Maxisingle mit zwei Liedern von mir veröffentlicht. Es gab zwar positive Kritiken in der Fachpresse, aber es wurden nur ein paar hundert Scheiben verkauft. Der Hype von deutschsprachigem Rap war vorbei. "Kein Plan, 500?" "Echt? Ich hab schon 10.000, Mann", rief Sido. Er freute sich nicht darüber, dass er mehr Platten als ich verkauft hatte, weil er sich mit mir messen wollte, so schien es mir, sondern darüber, dass er es mit seinem Label so glücklich getroffen hatte.
Erst Jahre später trafen wir uns wieder. Eine britische Journalistin wollte einen Beitrag über deutschen Hiphop für die BBC produzieren, und man verwies sie an mich als Fixer. Das war 2006. Ihr Interesse galt besonders dem damals heiß diskutierten Phänomen Nazi-Rap. Der Aggro Berlin Rapper Fler war mit Schwarz-Rot-Gold und einer Mischung aus Reichs- und Bundesadler als Logo inszeniert worden. In einer Anzeigenkampagne hieß es: "Ab 1. Mai wird zurückgeschossen." Die medialen Wellen, die diese wohlkalkulierte Provokation schlug, schwappten bis über den Ärmelkanal, und der Titel der einstündigen Sendung lautete "HipHop Uber Alles".
Ich arrangierte Interviews mit dem Kreuzberger Antifaschistischen Pressearchiv (apabiz), wo man Flers Aussagen zwar auch bedenklich fand, ihn aber nicht für einen Nazi hielt. Im Gegenteil, echte Nazis fanden Fler zum Kotzen, erzählte man uns, weil er sich mit "Kanaken" in seinen Videos zeigte. Mit ebendiesen war er aufgewachsen, und als Deutscher war er derjenige, der der Minderheit angehörte.
Und dann gingen wir zu Aggro Berlin. Am Konferenztisch saßen Fler, ich glaube Tony D und auch Sido, der inzwischen gut zutätowiert war und dicke Tüten rauchte. Er schien sich wirklich zu freuen, mich wiederzusehen, und erkundigte sich danach, was bei mir passiert sei. Ich fand das bemerkenswert, immerhin waren wir uns ja nur ein paarmal begegnet, vor Jahren, und Sido war inzwischen zum Superstar aufgestiegen, hatte also tausende Leute kennengelernt und viel erlebt. Kurzum: Er hat ein sehr gutes Gedächtnis, das auch mit viel THC noch funktioniert, und eine bodenständige Art.
Die englische Journalistin fragte Fler, ob er bei seiner Inszenierung in unverantwortlicher Weise weit übers Ziel hinausgeschossen sei, und er antwortete betont charmant lächelnd mit einem entwaffnenden: "Ja," er sei zu weit gegangen. In ihrem Beitrag stellte sie ihn dann auch nicht als Nazi dar, eher als Proll, der sich skrupelloser Methoden bediente, um zu Ruhm zu kommen.
Die skandalöse Inszenierung der Aggro Berlin Rapper war von Anfang an Programm. Sie war sehr medienwirksam, und sie war sehr lukrativ. Dabei halfen die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, die immer neue Aggro-Titel auf den Index setzte, und die Politik.
Irgendwie konnte jeder Aggro nutzen, und Aggro nutzte wiederum jeden für seine Zwecke. Eine mediale Win-Win-Situation. Spiegel und Bild konnten nicht genug kriegen von den Rüpeln Sido und Bushido. Die Öffentlichkeit wärmte sich aus sicherer Distanz an den Ölfässern, die nun anscheinend in den Berliner "Problembezirken" ganz so wie in der Südbronx brannten, und so langsam wurde der alte bundesdeutsche Konsens aufgegeben, dass es hierzulande keine Gettos gäbe.
Sidos Erfolg wuchs von Album zu Album, von seinem letzten, dem dritten, verkaufte er an die 170.000. Aus dem prolligen Provokateur wurde peu à peu der ironische Charmeur. Sido sitzt in Castingshows und bei Kurt Krömer, dreht mit Oliver Berben. Irgendwann schrieb er sogar seine Autobiografie, obwohl er noch keine dreißig war. Ein alter Punkfreund von mir kriegte sie zu Weihnachten geschenkt. Sie gefiel ihm. Früher wollte er nie mit mir Hiphop hören. So groß ist Sidos Ruhm.
Vielleicht ist ja das auch das Problem mit Aggro. "Die Beats werden immer poppiger, aber die Texte bleiben hart", lautete die Losung vor Jahren. Heute tanzt Sido im Video zur Single "Augen auf" im rosa Kinderkleid. Die Ironiefähigkeit ist natürlich sympathisch und Zeichen seiner Intelligenz, aber sie ist eben nicht mehr hart. Aggro, das stand irgendwann als Synonym für Berlin, und auch Kids in Aschaffenburg wollten irgendwann "Berliner Hiphop" machen.
Der überragende Soloerfolg des Seeed-Frontmanns Peter Fox, der nun alles andere als Gangsta ist, scheint mit knapp 700.000 verkauften CDs eine Zeitenwende zu markieren. Das Label verabschiedet sich zu einem Zeitpunkt, zu dem selbst Trittbrettfahrer wie Massiv dem Böse-Buben-Image abschwören.
Man wird bei Aggro wohl noch gutes Geld umgesetzt haben, aber die Margen werden in der ganzen Industrie Jahr für Jahr geringer. Auch von Spannungen zwischen den Künstlern und der Geschäftsführung wird erzählt, wenn man sich bei dem Label umhört. Die Künstler-Egos gerieten mit den Absichten des Managements in Konflikt.
Aufhören, solange man erfolgreich ist, lautet eine alte Boxerweisheit. Und ebendiese scheint man bei Aggro Berlin nun beherzigt zu haben. Die Künstler, mit denen man noch letztes Jahr langjährig bindende Verträge abgeschlossen hat, werden an das Major-Label Universal weitergeben. Mit dem arbeitet man seit Ende 2007 enger zusammen, obwohl es Aggro Berlin 2004 den Erfolgsrapper Bushido in einer unfreundlichen Übernahme weggeschnappt hat.
Gerüchte, Universal wolle ebendieses Manöver nun mit den verbliebenen erfolgreichen Aggro-Künstlern wiederholen, scheinen die Entscheidung erleichtert und beschleunigt zu haben.
Viel mehr war nicht rauszuholen. Es ist wohl Zeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“