Statt Tanzschule jetzt Tanz in der Schule

Kinder-Freizeitangebote leiden unter den vielen neuen Ganztagsgrundschulen. Ihnen fehlt das Publikum am Nachmittag. Inzwischen laufen erste Kooperationen mit den Schulen an. Doch ob sie langfristig funktionieren, weiß noch keiner so genau

VON ALKE WIERTH

„Einen 15-Uhr-Kurs haben wir schon ganz gestrichen“, sagt Laila El-Jarad, die Leiterin der Tanzschule La Caminada in Kreuzberg. Kinder ab drei Jahren lernen hier in den engen, aber gemütlichen Hinterhofräumen nachmittags Ballet oder kreativen Kindertanz. Besonders beliebt bei den kleinen Mädchen sind die Bauchtanzkurse mit den hinreißend glitzernden und klimpernden Kostümen.

Seit einigen Monaten klimpert es aber ein wenig leiser bei La Caminada. Dass die Zahl der Grundschulen mit Ganztagsbetreuung seit dem neuen Schuljahr sprunghaft gestiegen ist, bekommt die Tanzschule zu spüren. Deutlich weniger Eltern als bisher melden ihre Kinder für die Nachmittagskurse an.

Die Kreuzberger Tanzschule hat darauf reagiert: „Wir haben die Anfangszeiten einiger Kurse nach hinten geschoben“, erzählt Laila El-Jarad. Das fängt die sinkenden SchülerInnenzahlen aber nicht ganz auf. Denn viele Eltern finden es einfach zu anstrengend für ihre Grundschulkinder, nach acht Stunden Schule noch zum Tanz-, Musik- oder Computerkurs zu gehen.

Auch andere Freizeitanbieter spüren die Folgen der veränderten Tagesabläufe vieler Schüler. Schule bis 16 Uhr: da bleibt keine Zeit mehr für sonstige Freizeitangebote.

„Die Mädchen kommen später und dafür geballter“, sagt Ulrike Pyplatz vom Mädchenprojekt Rabia im Kreuzberger Wrangelkiez. Ab 13 Uhr war hier die Tür immer offen, nun verlagern sich die Stoßzeiten und damit die Angebote auf spätere Termine. Auch der Kinder- und Jugendzirkus Cabuwazi hat den Beginn seiner Nachmittagsaktivitäten von 14 auf 15 und 16 Uhr verschoben. Wie Rabia plant auch der Zirkus Cabuwazi, verstärkt mit Grundschulen zusammenzuarbeiten. Statt SchülerInnen wie früher am schulfreien Nachmittag in die Einrichtungen zu holen, gehen die Einrichtungen jetzt an die Schulen.

Rabia verhandelt mit einer Kreuzberger Grundschule über eine Kooperation bei der Nachmittagsbetreuung für die 5. und 6. Klassen. Cabuwazi bietet an einigen Schulen bereits Nachmittagsaktivitäten an, so an der Selma-Lagerlöf-Grundschule in Marzahn-Hellersdorf. Mit einer Kreuzberger Grundschule, die im offenen Ganztagsbetrieb am Nachmittag nicht für alle Kinder Platz hat, gibt es eine andere Übereinkunft: „Die Lehrer bringen einige Kinder, die im Hort nicht betreut werden können, nachmittags zu uns“, sagt Christiane Fischer von Cabuwazi. Ob das eine ganz offizielle Vereinbarung ist oder eine auf der Initiative einiger Lehrer beruhende, eher inoffizielle Lösung, weiß sie selber nicht ganz genau.

Die Grauzone ist noch breit im Bereich solcher und anderer Kooperationen zwischen Schulen, freien Trägern oder eben auch kommerziellen Nachmittagsanbietern.

„Könnt ihr denn nicht an der Schule unterrichten?“, sei sie von den Eltern gefragt worden, die ihre Kinder wegen der Ganztagsschulbetreuung von den Nachmittagskursen abgemeldet hätten, erzählt Verena Krajewski, die an der Tanzschule Caminada kreativen Kindertanz unterrichtet. Dass das wirklich ging, ist der Innovationsfreude des zuständigen Schulleiters Mario Dobe von der Kreuzberger Hunsrück-Grundschule zu verdanken. Er fand die Idee sehr gut, habe aber als Erstes erklärt, dass er dafür überhaupt kein Geld hätte, sagt Krajewski, die den Schul-Tanzkurs nun leitet.

Der ist kostenpflichtig. Die Schule stellt den Raum und gibt Unterstützung bei der Werbung für das Angebot. Auch versichert sind die Kinder während des Tanzunterrichtes über die Schule. Die Tanzlehrerin arbeitet als Ich-AG: sie schließt einzelne Verträge mit den Eltern und muss sich neben dem Unterricht auch darum kümmern, dass diese pünktlich dafür zahlen. „Ich bin eigentlich eine mobile Tanzschule“, sagt Krajewski. Das Unterrichten an der Grundschule sei anders als das in der richtigen Tanzschule, meint die Tanzlehrerin. „Die Motivation der Kinder ist da, aber es haperte anfangs an der Disziplin.“

Größere Gruppen und eine in Vorkenntnissen und Motivation sehr gemischte Schülerschaft – diesen ungewohnten Unterrichtsbedingungen fielen manch andere Kooperationsversuche bereits zum Opfer. „Wir hatten eine Lehrerin einer bezirklichen Musikschule hier“, erzählt eine andere Grundschulleiterin. Auf Wunsch der Eltern habe die einen Kurs in musikalischer Früherziehung angeboten. „Doch der Umgang mit einer größeren Gruppe, in der nicht alle konzentriert still sitzen und viele Kinder überhaupt keine Vorerfahrung mit solchen Angeboten haben“, das habe die Musiklehrerin überfordert, meint die Rektorin.

Viele Nachmittagsangebote wie Tanz- oder Musikschulen seien bisher eben hauptsächlich von stark bildungsinteressierten Familien genutzt worden, vor allem aus der Mittelschicht. „An die Realität einer Kreuzberger Grundschulklasse müssen sich diese Lehrkräfte dann erst gewöhnen.“

Verena Krajewski hält gerade dies an der Schule fest: „Viele Kinder freuen sich total über den Tanzkurs“, sagt sie. Denn „eine normale Tanzschule könnten sich viele Eltern niemals leisten“.

Ungefähr halb so viel wie an einer Tanzschule zahlen die Eltern für den Tanzkurs im Nachmittagsbereich der Hunsrück-Schule. Das ist nicht viel. Und trotzdem können sich längst nicht alle Familien das Angebot leisten. Andere Grundschulen lehnen deshalb kommerzielle Nachmittagsangebote prinzipiell ab. „Das ist eine Grundsatzfrage“, sagt Christel Kottmann-Menz, Schulleiterin der deutsch-türkischen Europa-Grundschule. Zwischen 30 Arbeitsgemeinschaften können die Kinder hier nachmittags wählen: Fußball oder Tanz, Schach oder Computer, Flöte oder Chor. Lehrerinnen, Erzieherinnen oder auch Eltern bieten die Arbeitsgemeinschaften an. Kostenpflichtige Angebote gibt es nicht. „Das geht in Richtung einer Privatisierung der Schulen, wenn Eltern immer mehr bezahlen müssen“, meint Kottmann-Menz. An der Hunsrück-Grundschule haben die Eltern für die kommerziellen Angebote gestimmt. 12 Euro im Monat – das ist ihre Schmerzgrenze. Mehr darf ein kommerzielles Kursangebot nicht kosten.