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Schlingensief eröffnet TheatertreffenEin kleines Wunder

Traurigkeit und rauschhafte Subjektivität: Christoph Schlingensief eröffnet das Theatertreffen mit "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir".

Christoph Schlingensief eröffnet mit "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" das Theatertreffen (TT) in Berlin am 1. Mai. Bild: dpa

Endlich wieder Leben in der Bude! Und das mit einem Spiel, das um die Angst vor dem Sterben kreist: Mit Christoph Schlingensiefs "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" ist das Theatertreffen (TT) in Berlin nicht nur am 1. Mai eröffnet worden. Schon seit einer Woche freute sich Iris Laufenberg, Leiterin des TT, wie Voraufführungen, öffentliche Begehungen des Bühnenbilds und die Proben das Haus der Berliner Festspiele brummen ließen. Am Tag der Eröffnung traten sich die Kamerateams in einer Weise auf die Füße, die man auch bei diesem prominentesten der deutschsprachigen Theaterfestivals nicht gewohnt ist.

Keine Frage, es ist Schlingensief, der mit seiner deutlich vernehmbaren Klage über die Ungerechtigkeit seiner Krankheit dem Theater eine erhöhte Aufmerksamkeit beschert hat, in der sich die Institution Theater jetzt freudevoll sonnt. Sie kann das auch deshalb mit gutem Gewissen tun, weil Christoph Schlingensief selbst so schöne Sätze sagt wie: Er habe nie geglaubt, dass ihm das Theater einmal so viel Liebe zurückgeben könnte, wie er sie mit dieser Inszenierung im September 2009 bei der Ruhrtriennale erfahren hat. So war es kaum weniger als der zurückgegebene Glaube an die Kraft des Theaters, der bei der Eröffnung des TT mit seinem Stück gefeiert wurde.

Diese Umkehrung einer öffentlichen Krankheitsgeschichte in eine Erfahrung von Glück gleicht ja selbst einem kleinen Wunder und einer heiligen Wandlung. Vom Ritual, vom Bilden einer Gemeinde, von der Sehnsucht nach Erlösung versteht Christoph Schlingensief eben eine Menge. Aber gerade auch, und das erst macht die Sache wirklich gut und frei von falschem Pathos, eine Menge von der Kritik an Kirche und Glauben als angsterzeugende Matrix. Nicht nur die eigene Verwundbarkeit und Hinfälligkeit verhandelt er in dieser großartigen multimedialen Performance, sondern auch den Diskurs der Schuld, mit dem Krankheit in der öffentlichen Moral belastet wird. Und wenn er am Ende selbst als Priester in der Kirche das Abendmahl austeilt und Oblaten mit vollen Händen unter die 40- bis 60-köpfige Gemeinde seiner Statisten und Chöre wirft, dann mit einem deutlich ausgesprochenen Zweifel an der läuternden Funktion des Leides.

Schwarz-weiße Filmbilder, flackernd, verlangsamt und von Blitzen durchzogen wie Stummfilmmaterial, begleiten die Inszenierung über dem Bühnenaltar und längs der Kirchenbänke für die Zuschauer. Sie legen sich wie ein Ornament auch über die Schauspieler. Was erst wie ein Mond aussieht, wird zu einer Zelle, die sich teilt; ein Hase verwest im Zeitraffer. In den Filmbildern spielen die langjährigen Mitglieder von Schlingensiefs Theaterfamilie legendäre Fluxus-Stücke von Nam June Paik, Charlotte Moorman, Joseph Beuys und Valerie Export nach. Ihnen schließt sich Schlingensief vorbehaltlos an, weshalb sein Stück ja auch Fluxus-Oratorium heißt.

Der Textpassagen aus seinem Tagebuch aus der Zeit seiner Chemotherapie, das inzwischen auch als Buch veröffentlicht wurde, nehmen sich Margit Carstensen, Angela Winkler und Mira Partecke an. Es sind nur wenige Ausschnitte, die sie wiederholen, von der Kanzel herab, durch den Telefonhörer, und dabei durch einen immer wieder veränderten Gestus des Sprechens stets eine andere Ebene freilegen. Wie das Karussell der Gedanken sich festfrisst in der Panik, wird dadurch deutlich.

"Die Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" ist aber nicht nur ein trauriges und berührendes Stück, sondern auch eine Performance, die mit vielen karnevalesken Gesten den Autoritäten die Zunge rausstreckt. All die Prozessionen, Begräbnisse und Kreuzigungsszenen, die Schlingensief von Karin Witt, Horst Gelonnek, Kerstin Grassmann, Stefan Kolosko und den anderen ihn seit langem begleitenden Darstellern nachspielen lässt: Sie sind auch immer eine Selbstermächtigung, eine Aneignung der Sprache der machtvollen Repräsentation durch die Schwachen. Nur weil man das schon so lange von ihm kennt, hat es seinen Sinn nicht verloren.

Zu den ersten Zuschauern, die der Regisseur 2008 zu einer privaten und geschützten Aufführung des Materials ins Berliner Gorki-Theater eingeladen hatte, gehörte auch der von der gleichen Krankheit bedrohte Regisseur Jürgen Gosch. Dass Gosch ihn bestärkte, so weiterzuarbeiten, war Schlingensief sehr wichtig. Auch deshalb bildet er diesmal die zentrale Figur des Theatertreffens, zu dem Gosch mit seiner ganz anderen, nüchternen Theatersprache gleich zweimal eingeladen ist.

Schlingensiefs radikale und rauschhaft vorgetragene Subjektivität bildet den einen Pol, Goschs Ensemble-Theater, bei dem man sich so ziemlich in jeden seiner Schauspieler verlieben kann, den anderen. Große Emotionen lösen beide aus; aber gerade, weil sie es mit so unterschiedlichen Mitteln tun, stehen sie auch für den Reichtum des Theaters, der sich diesmal feiern lässt.

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3 Kommentare

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  • ES
    Elke Schmidt-Schalla

    Kann sich so ein Kleingeist wie Eisvogel , der eine ärgerliche Boshaftigkeit an den Tag legt, vielleicht vorstellen, dass eine so starke Frau wie Aino sich nicht "gönnen" lässt, sondern selbst bestimmt. "Gönnen" kann man sich nur eine Sache.

    Zum Glück gibt es viele kluge gebildete und kulturell interessierte Menschen, die CS's Arbeiten zu "schätzen" wissen.

  • K
    Kati

    Was einen an der Hose Schlingensiefs interessieren könnte, ist dann auch nochmal ein ganz anderer Diskurs, aber wem es Spaß macht, die beschmutzten Unterhosen der Darsteller unter den Kostümen auf der Bühne zu suchen - bitte sehr...

  • E
    Eisvogel

    In der Hose ist selbst ein Schlingensief kopflos - wie die meisten ach so unangepaßten Großkünstler gönnt man sich ganz un-dekonstruktiv eine 15-20 Jahre jüngere.

     

    Aber ich weiß, ich weiß - das Reale an diesen Brüdern verblaßt hinter ihrem Budenzauber, und so bleibt man(n) ganz wichtig und angenehm sperrig. An ihren Taten sollt Ihr sie nicht messen.