Gewerkschaften und SPD: Die Wiedervereinigung

SPD und DGB legen ein Positionspapier für ein soziales Europa vor. Der Zwist durch die Agenda 2010 scheint vergessen zu sein.

Zurück zum Stamm-Millieu: Genossen und Arbeitnehmervertreter raufen sich zusammen. Bild: ap

Das Foyer der DGB-Zentrale in Berlin ist ziemlich ungemütlich. Kein Ort, um eine historische Wiederannäherung zu demonstrieren. Und doch traten hier am Dienstag SPD-Spitzenpolitiker und Gewerkschaftsführer auf, um die neue, alte Einheit von DGB und Sozialdemokratie kundzutun.

DGB-Chef Michael Sommer lobte das gemeinsame Positionspapier "Für ein Europa des sozialen Fortschritt" über den grünen Klee. SPD-Vizechefin Andrea Nahles lächelte froh und versprach, dies sei nicht nur ein Papier, sondern ein Aktionsprogramm. Das, so Nahles, "ist erst der Auftakt." Martin Schulz, Fraktionschef im EU-Parlament, betonte, dass Gewerkschaft und SPD "gleiche Werte" verbinden.

Nur Ver.di-Chef und Grünen-Mitglied Frank Bsirske war bei so viel Genossenglück ein kleines bisschen unwohl. Das Papier sei "keine Exklusivveranstaltung von SPD und DGB". Man werde auch von anderen Parteien Stellungnahmen zu den Kernforderungen der Gewerkschaften einholen. Der DGB will Lohn- und Sozialdumping stoppen und die Politik von EU-Kommission und Europäischem Gerichtshof, die dem Markt Vorrang vor sozialen Rechten einräumten, kontern. Genau das, so Bsirske, steht auch in dem Papier, das die zentrale Forderung der Gewerkschaft enthalte. Künftig soll im EU-Recht verankert werden, dass soziale Grundrechte im Zweifel vor Wirtschaftsfreiheit gehen.

Bemerkenswert ist die Harmonie zwischen SPD und DGB. Noch zwei Jahre zuvor lud der DGB in Bayern SPD-Politiker bei den 1.-Mai-Feiern aus. Spitzengewerkschafter wie der Chef der IG Bau Agrar Umwelt, Klaus Wiesehügel, rechtfertigten dies, weil die SPD die Partei "der Rentenkürzungen" sei. Dafür durfte Linksparteichef Oskar Lafontaine vor zwei Jahren auf einer DGB-Kundgebung vor Tausenden sprechen.

Die Zeiten haben sich geändert. Am 1. Mai 2009 waren weder Gregor Gysi noch Oskar Lafontaine vom DGB eingeladen. Dafür war republikweit die gesamte SPD-Führung auf 1.-Mai-Kundgebungen vertreten. Die Agenda 2010 ist zwar immer noch ein Streitpunkt zwischen Gewerkschaften und SPD, doch sie hat an Gewicht verloren. Schon der ehemalige SPD-Chef Kurt Beck hat mit der Verlängerung des Arbeitslosengeldes und dem Mindestlohn den Zwist zwischen SPD und DGB entschärft. In der Krise hoffen die Gewerkschafter nun, mit der SPD konkrete Ziele umzusetzen.

Ziemlich reserviert beobachtet die Linkspartei die Liaison. Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch sagte der taz, dass die Linkspartei sich "an keinem Wettstreit um die Okkupation des DGB" beteiligen werde. Er bezweifele auch, dass die Bemühung der SPD um den DGB "ein durchschlagender Erfolg" werde.

Anders klingt der Vizechef der Linkspartei, der Schweinfurter IG-Metall-Bevollmächtigte Klaus Ernst. "Faktisch wirkt dieses Papier als Wahlkampfhilfe für die SPD", so Ernst zur taz. Viele in der Linkspartei haben zunehmend das Gefühl, vom DGB als Drohkulisse gegen die SPD benutzt worden zu sein. Jetzt, da Wahlen vor der Tür stehen, würden die Reihen zwischen SPD und Gewerkschaften wieder geschlossen. So wie 1998 und 2002, als der DGB bei den Bundestagswahlen mehr oder weniger deutlich die Wahl der SPD empfahl.

Mit Grausen denkt Klaus Ernst daran, dass DGB und SPD zur Bundestagswahl 2009 ein ähnliches Positionspapier vorlegen könnten. Das sei, so Ernst, "absolut inakzeptabel". Denn der DGB sei "eine Einheitsgewerkschaft und keine Vorfeldorganisation der SPD".

Ernst muss es wissen: Er war 30 Jahre lang Mitglied der SPD.

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