Kolumne Marx 2.0: Die weiße Lichtgestalt im Internet
Papst Benedikt XVI. ist auf seiner Nahostreise unterwegs. Aber warum berichten die deutschen Fernsehsender so wenig darüber?
H eute hat ja keiner mehr einen Fernsehapparat in der Wohnung, sondern sieht seine Nachrichten, Filme oder Serien auf dem Apple Laptop. Es mag vielleicht noch Rentner-Opas geben, die ihre klobige GRUNDIG-Kiste für die widerliche Oliver Geissen Show brauchen, oder gleich für den Dauerkonsum von Neun live. Aber der Bürger unter 35 schaltet allenfalls noch ein, wenn etwa ein Attentat auf die Merkel stattgefunden hat und ein ARD-Brennpunkt lockt. Oder ein Besuch des Heiligen Vaters im Gelobten Land. So geschehen gestern.
Zappen in 33 Kanälen, Studium aller TV-Zeitschriften. Aber wo sind die herrlichen Bilder, die non-stop-Sondersendungen über Benedikt XVI., wie einst über den Besuch seines Vorgängers im geteilten Deutschland? Nichts. Außer "Frauentausch" und "Carmen Nebel". Kein Papst im "heute"-Journal, den "Tagesthemen". Nirgends. Auch nicht im Bayerischen Rundfunk. Aber im Internet.
Ein einziger Klick bei Google, und eine Zehntelsekunde später ist er da, der Pontifex. Die weiße Soutane flattert, sturmzerzaust steht er allein auf dem Berg, von dem aus der sterbende Moses einst das Gelobte Land erblickte. Der Papst breitet die Arme aus, die Kamera umfährt ihn, man sieht eine Gewitterfront, die Berge und das weite, fruchtbare Tal. Nur Gott und die aufgewühlten Himmelsmassen stemmen sich dem Papst entgegen. Phantastisch.
Dann bewegte Bilder mit ihm in der ganzen arabischen Welt.
Schwarzgewandete Muslime hasten auf den Papst zu, der aufrecht steht, als einziger ganz in blendendem Weiß, das ihn in seinem maßgeschneiderten Kostüm zur Lichtgestalt macht. Die Augen liegen tief, die Haut ist zu hell, und beides zusammen wirkt manchmal gar nicht so gütig, wie es sich die Welt doch wünscht. Von der Physiognomie her, den eingelagerten Augen, die eine unheimliche Schwärze rändert, hat er- vom Typ her - etwas von einem 20er Jahre Stummfilm-Unhold. Und diese für die Zwecke der Kirche an sich ungünstige Physiognomie muß nun ständig umtransformiert werden in Güte, Segen für die Menschheit usw. Gar nicht so leicht. Und mit Spannung zu beobachten.
Diesmal sagt es sogar der gastgebende Prinz und Moslem: Benedikt sei "ein Weltführer in Sachen Ethik und Menschenrechte"! Und so falsch ist das nicht, zumindest wird das geistige Potenzial an diesem Papst erkannt. War Johannes Paul II. noch ein gutartiger Pole, so verrät der kalte Blick Ratzingers den klassischen Intellektuellen. Umso dicker muß er bei den Ritualen auftragen, dem esoterischen Teil seines Jobs.
Festlich schreitet er auf auf Menschen, Tiere, gepanzerte Monster-Mercedesse zu. Das schwere goldene Kreuz baumelt vor der Brust. Huldvoll grüßt Seine Heiligkeit den Erdkreis, segnet die Journalisten, herzt Kinder und ausgewählte Schönheiten in Ordenstracht... Das ist stark. Das ist heftig.
Auf zig Foren und Links kann man nun darüber reden, chatten, weiter einsteigen in diese magische Materie, mit allen Freunden, die gerade online sind, oder mit anderen mündigen Bürgern unter 35. Nur der Fernseher, der muß jetzt das Maul halten, endgültig. Der kommt in den Keller.
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