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Historiker über Netanjahu bei Obama"Alle wollen Opfer sein"

Die israelische Linke liegt darnieder, die Hoffnung auf Frieden ist vergangen. Die israelische Gesellschaft ist fragmentiert und nicht in der Lage, die Besatzung zu beenden, sagt der Historiker Tom Segev.

Manche feiern den Unabhängigkeitstag am 29. April mit Kampfjets, andere am Strand von Tel Aviv: Ausdruck einer fragmentierten Gesellschaft? Bild: ap

taz: Herr Segev, Israel ist nach rechts gerückt. Warum?

Tom Segev: Die meisten Israelis glauben nicht mehr an den Frieden und nicht mehr an die Politiker, die sie für korrupt halten.

Ist das neu?

Ja, vor zehn Jahren war das noch anders. Das Explosive heute ist die Mischung. Denn zur Friedensskepsis und Politikverachtung kommt noch die Verunsicherung durch die Wirtschaftskrise. Das sind drei klassischen Bedingungen für Erfolge von rechten Parteien, wie Liebermans "Unser Haus Israel". Diese Partei schürt Fremdenhass. Und zwar nicht nur gegen Palästinenser, sondern auch gegen israelische Staatsbürger. Hass auf Araber ist in Israel legitim und gesellschaftsfähig geworden.

Gibt es dafür noch mehr Indizien als den Erfolg von Lieberman?

Ja, man merkt es überall. Die Leute reden so, nicht nur auf Fußballplätzen. Es wird auch akzeptiert, wenn eine Firma nur jüdische Handwerker anstellt und keine arabischen Israelis. Viele Straßenschilder sind in Israel dreisprachig: Hebräisch, Russisch und Arabisch. Das Arabische ist sehr oft schwarz übermalt. Früher haben die Stadtverwaltungen diese Schmierereien entfernt. Irgendwann haben sie damit aufgehört.

Die israelische Gesellschaft wird also rassistischer. Warum?

Vielleicht weil sie komplizierter und spannungsreicher geworden ist. Früher gab es die Kluft zwischen Religiösen und Säkularen und die auch soziale Kluft zwischen den reicheren Aschkenasim und Sephardim, also zwischen den aus Europa stammenden Juden und den aus arabischen und nordafrikanischen Ländern stammenden.

Was ist heute anders?

Heute gibt es zudem die Russen, die die Äthiopier nicht leiden können und umgekehrt. Ich habe einen äthiopischen Adoptivsohn. Wenn seine Freunde ihn ärgern wollen, nennen sie ihn Boris. Es gibt viele Klubs in Tel Aviv, in die Äthiopier nicht reingelassen werden. Eigentlich wird die israelische Gesellschaft immer fragmentierter.

Wenn die Gesellschaft stärker in Milieus zerfällt - was hält sie dann zusammen?

Die gewachsene Aufspaltung in Milieus ist das eine. Das andere ist, dass durchaus eine solide israelische Identität existiert. Mein Sohn fühlt sich als Israeli und will auch nicht anderswo wohnen. Auch nicht in den USA oder Kanada, was er als junger, gut ausgebildeter Mann durchaus könnte. Er will hier bleiben, obwohl er nicht an Frieden glaubt. Ich habe ihn gefragt: Warum? Er hat gesagt: Weil ich nicht noch mal Emigrant sein will. Das ist, sehr präzise auf den Punkt gebracht, die Idee des Zionismus.

Sie haben als Historiker an der Entzauberung der zionistischen Gründungsmythen gearbeitet. In den Neunzigerjahren hofften viele, dass das postzionistische, über sich selbst aufgeklärte Israel freundlicher und friedlicher werden würde. Warum ist aus dem postzionistischen Traum nichts geworden?

Das war nicht mein Traum. Ich habe Postzionismus nie als politisches Programm verstanden, sondern immer als historische Beschreibung der Situation, dass der Zionismus sein Ziel erreicht hatte. Die meisten Juden lebten in Israel, der zionistische Staat war, so weit man es beurteilen konnte und kann, eine Erfolgsgeschichte. Das habe ich unter Postzionismus verstanden.

Trotzdem: Warum ist aus der Hoffnung, dass Israel damit offener würde, nichts geworden?

Weil zur gleichen Zeit der Friedensprozess von Oslo gescheitert ist. Seitdem ist das Vertrauen, dass Frieden möglich ist, verschwunden. Die meisten Israelis denken: Wenn es so bleibt, wie es ist, ist es gut. Wenn es sich ändert, wird es schlimmer. Man hat sich mit dem arrangiert, wie es ist. Dazu passt auch, dass die Gleichgültigkeit der Israelis gegenüber dem, was in den besetzten Gebieten geschieht, enorm gewachsen ist. Es interessiert eigentlich niemanden mehr.

Braucht Israel Druck von außen, von der EU und den USA, damit es sich überhaupt bewegt?

Es gibt wenig Druck von der EU. Als der Gazakrieg gerade vorbei war, haben Angela Merkel und Nicolas Sarkozy Zipi Livni in Jerusalem demonstrativ umarmt. In Israel meinen viele, Europa sei furchtbar kritisch uns gegenüber. Das ist falsch. Die EU ist sehr freundlich zu Israel. Was die USA anbetrifft, muss man abwarten. Vielleicht wird Obama Druck machen; vielleicht glaubt er, dass Friedensinitativen sinnlos sind.

Glauben Sie, dass ein stabiler Frieden möglich ist?

Nein, nicht mehr so wie früher. Ich kann die resignierte Haltung, dass es hoffentlich so bleibt, wie es ist, gut nachvollziehen. Wenn man sich anschaut, welche Probleme für einen dauerhaften Frieden gelöst werden müssten, kann einem schwindelig werden. Was wird mit den jüdischen Siedlungen im Westjordanland? Ich glaube nicht, dass in Israel ein kompletter Rückbau der Siedlungen politisch durchsetzbar ist. Was ist mit Ostjerusalem? Was ist mit dem Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge? Israel kann dieses Recht nicht gewähren - die palästinensische Führung kann nicht darauf verzichten. Auch der Graben zwischen den Gemäßigten auf beiden Seiten scheint unüberwindlich tief.

Und wer ist schuld?

Das weiß ich nicht. Ich finde die Frage auch nicht so interessant. Was mich fasziniert ist, dass eigentlich alle Israelis wissen, dass die Besetzung der palästinensischen Gebiete Israel als jüdisch- demokratischen Staat gefährdet. Alle wissen es - und trotzdem halten wir seit 40 Jahren an der Besatzung fest. Obwohl wir genau wissen, dass dies am Ende eine selbstmörderische, zukunftszerstörende Politik ist.

Vielleicht traut sich deswegen niemand Siedlungen zu räumen, weil dies kurzfristig richtigen Ärger bringt.

Ja, das ist der rationale Aspekt. Aber es gibt auch das Irrationale. Beide Völker definieren ihre Identität durch das Land - und zwar durch das ganze Land. Deshalb ist jeder Kompromiss über Sicherheit, Land, Wasser so enorm schwierig. Wir können Jerusalem nicht aufgeben, sie können Jerusalem auch nicht aufgeben. Denn es geht um komplexe nationale, ethnische und religiöse Identitäten. In Jerusalem ist zum Beispiel die Frage, wer die Souveränität auf dem Tempelberg besitzen wird, von entscheidender Bedeutung. Jeder, der das mit ein bisschen Distanz betrachtet, fragt sich: Warum soll dieser Tempelberg, ein Haufen Steine, das Leben von Tausenden wert sein? Mit rationalem Interessenausgleich kommt man da nur bedingt weiter.

Welche Rolle spielt der Holocaust für die israelische Identität?

Wahrscheinlich sogar eine noch größere als früher. In Schulen gibt es regelmäßig Umfragen: Die Kinder werden gefragt, ob sie Holocaust-Überlebende sind. 80 Prozent sagen ja. Nun ist der Satz "Ich bin ein Holocaust-Überlebender" für einen Zwölfjährigen, der in Israel geboren ist und dessen Großeltern aus Marrokko stammen, schon erstaunlich. Man kann sich leicht darüber lustigmachen. Aber man muss das auch ernst nehmen. Denn es ist ein Echo der wahren Angst in Israel, wieder Opfer zu werden.

Was meinen Sie mit "wahrer Angst"?

Spontane, nicht manipulierte Angst. Natürlich sind Holocaust-Ängste politisch eingesetzt und instrumentalisiert worden. Aber die Vernichtungsängste sind echt. Wer das nicht versteht, wie es leider noch immer viele Araber tun, wird Israel nie verstehen. Und es ist immer besser, seinen Feind zu verstehen.

Ist das wahre Gefühl, jederzeit Opfer sein zu können, nicht auch eine Gefahr? Weil wer sich so stark als Opfer definiert, moralisch selbst immunisiert ist?

Doch, natürlich ist das eine Gefahr. Das macht ja den Konflikt mit den Palästinensern zusätzlich so komplizierter. Wir wollen beide Opfer sein und in dieser Rolle anerkannt werden.

Die Vernichtungsängste in Israel sind echt. Wer das nicht versteht, wie es leider noch immer viele Araber tun, wird Israel nie verstehen.

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8 Kommentare

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  • D
    Daniel

    Solange Hitler unter Arabern (ich war ein Jahr dort) der beliebteste Deutsche ist, und zwar nicht trotz, sondern wegen der Judenverfolgung, solange in arabischen Zeitungen antijüdische Karikaturen im Stürmer-Stil veröffentlicht werden, solange der irre Atom-Iraner mit der Vernichtung Israels droht und solange Straßen nach islamischen "Märtyrern" benannt werden, deren "Verdienst" es war, Juden zu töten,

    solange besteht kein Anlaß für Israel, den Arabern entgegenzukommen.

    Bei unserem NATO-Partner Türkei gab es übrigens kürzlich ein Staatsbegräbnis für einen Faschisten der Grauen Wölfe. Anscheinend gibt es rings um Israel nur Islamisten und Nationalisten.

    Chancen für einen Frieden? Schaun wir mal in 100 Jahren nach!

  • H
    Hanna

    Wenn Israel in einem Krieg einen Teil von Jordanien militärisch erobert, wird dieses Gebiet nicht Teil Israels, sondern bleibt im internationalen Recht bei Jordanien. Das ist wirklich nicht schwer zu begreiffen.

    Und Staaten, die andere Staaten angreiffen und deren Gebiete erobern und anschließend besiedeln, machen eine imperialistische und kolonialistische Politik.

     

    @Leiba Bronstein

    Wenn die Anerkennung eines palästinensischen Volkes ein Zugeständnis ist, gut dann gab es ein paar Zugeständnis. Wer aus Jordanien in die palästinensischen Autonomiegebiete fährt, der sieht nur israelische Fahnen, Soldaten und Schilder, die ihm sugerieren, er sei in Israel.

    Wenn Israel radikale Islamisten ständig freilässt oder - wie im Libanon Hizbullahis - austauscht, kommen die radikalsten Kräfte in die Politik zurück.

    Das Problem ist doch, dass es in Israel gar keinen Konsens gibt, mit den Palästinensern eine Zwei-Staaten-Lösung zu machen. In Wirklichkeit gibt es spontane Reaktionen in der Öffentlichkeit auf jeden Anschlag und jede Aktion radikaler Palästinenser.

    Und es wird weiter gebaut ... in der West-Bank. Wenn es eine Lunte zum großen Knall ist, dann sind es die verrückten und radikalen Siedler.

    Die sabotieren den Frieden mit einfachsten Mitteln, weil sie keiner daran hindert.

  • H
    hadrian

    @Leiba Bronstein: leider kenne ich kaum menschen mit ihrem hintergrund, welche jedwelche kritik an israel und deren volksvertreter nicht als antisemitismus und weltfremd diffarmieren.

    mal die fakten betrachten: welcher staat raubt land für die eigene bevölkerung, treibt menschen zusammen um diese dann mit raketen in stücke zu reissen, zerstört eigentum und zukunft der nachbarn, hat selbst atomwaffen - duldet diese aber keinen nachbarn, verwirft alle friedensangebote der arab. liga???

    welches land ist das wohl???

     

    logisch denken - wer denken kann ist im vorteil...

  • LB
    Leiba Bronstein

    Was ist eigentlich passiert. Seit mehr als einem Jahrzehnt hat Israel die Politik der Zugestaendnisse gefuert. Die Antwort auf die Gruendung der Palestinensischen Autonomiebehierde war die Intifada und die bluetigste Terroranschlaege. Die Antwort auf die komplette Schliessung aller Siedlungen in Gaza war Raketenbeschuss. Kein Wunder, das die Israelis mal gemerkt hatten, das die Politik der Linken Luntiker die ins Verderben fuehrt.

    Nun laesst TAZ einen dieser Lunatiker hier austoben. Muss man wundern, wenn er Z.B. Liebermann als den zweiten Hitler darstellen wird?

  • F
    FREDERICO

    Es gibt nur eine Lösung für einen dauerhaften Frieden und zwar die Akzeptanz des Teilungsplan der UN von 1947 im Rahmen zweier autonomer Staaten. Mit Sicherheit würde heute die arabische Welt diesem Konstrukt zustimmen, von Israel ist dies jedoch „bis zum jüngsten Tage“ nicht zu erwarten.

    Ergo wird es dort niemals Ruhe und Frieden geben! Da alle Staatsführer der USA und der EU in der Vergangenheit, jetzt und in der Zukunft dem Einfluss der vermögenden Juden in ihren Ländern unterliegen, quasi eine Form von Lobbyismus, und bisher leider kein Rückgrat bewiesen haben sich diesem Druck zu widersetzen, kann man auch zukünftig weder auf eine gerechte Einflussnahme der USA bzw. der EU setzen.

  • N
    Nadin

    Was Tom Segev nicht sagt, ist, dass die Palästinenser auch nicht vergeßen können, dass sie von einem Frieden langsam aber sicher auch nichts halten, weil er immer und immer wieder von israelischen Rechts-Politikern verhindert oder ausgesetzt wird.

    Ein amerikanischer Journalist fragte Hafiz Asad (Syrien), warum er gegen den Friedensprozeß sei, daraufhin sagte Asad, warum er diese Frage nicht den Politikern des Likus in Israel stelle, die seien weitaus entschiedener gegen den Frieden als er.

    Nun Asad ist schon lange verstorben, aber Syrien hat sich halben Lösungen nie geöffnet und demzufolge kämpft auch kein syrischer Politiker mit Versprechungen, die nicht einhaltbar sind. Die israelische Demokratie steht einem echten Friedensabkommen weitaus mehr entgegen als die autoritären Regime auf der anderen Seite. Asad, Abdallah, Mubarak und selbst libanesische Politiker können für ihre Seite garantieren, genau das kann die israelische Seite aber nicht.

    Fragt sich, warum das so ist?

    Tom Segev ist sicherlich ein weltoffener und nachdenklicher Mensch, aber seine auf Israel fokussierte Sicht, zeigt doch, dass Israel keine Integration in den Nahen Osten will, weil das eben ein Verlust an zionistisch-jüdischer Identitä bedeutet.

    Dafür werfen wohlmeindende Demokraten und Liberale alle guten Vorsätze über Bord und sehen weg, wenn israelische Araber diskriminiert und verunglimpft werden. Dafür bordet ein Teil der israelischen Gesellschaft in Mitgefühl für Holocaust-Überlebende und Nachfahren über.

    Doppelte Maßstäbe und ein Hang zur Verdrängung sind doch keine guten Ratgeber für Politiker.

    Überhaupt scheint sich Israel nicht der eigenen Situation stellen zu wollen: Niemand kann ein anderes Volk für ewig versklaven, erniedrigen, dezimieren und dann noch als Aggressor ausgeben. Das wird in Israel auch nicht funktionieren und das wird in der West-Bank noch so laut knallen, dass es in Tel Aviv sich wie ein Erdbeben anfühlt.

    Die Ohnmacht der Palästinenser ist inzwischen so weit gekommen, dass die West-Bank wie ein Gasreservoir in der Nähe eines Groß-Feuers ist.

    Wer sich ansieht, wie gewählte Politiker in Palästine mit mehr als zehn oder fünfzehn Leibwächtern unterwegs sind, der sieht, dass alle dort auf einem Pulverfaß sitzen.

    Frieden ist doch längst zu einer Illusion für die Israelis geworden. Wie kann aber Aggression und Besatzung zu einem Äquivalent werden?

    Es gibt keinen Ersatz zu einem Ausgleich mit den arabischen Nachbarn und mit den Palästinensern. Die palästinensische Seite hat schwere Kompromisse machen müsse, um überhaupt einen Friedensprozeß in Gang zu bekommen - wo bleibt die Anstrengung der Israelis?

    Vielleicht ist es gut, dass der Adoptivsohn nicht auswandern will. Wer sich wirklich mit seiner Heimat identifiziert und die Verkehrungen der eigenen Gesellschaft erlebt, der kann vielleicht über die Brücke zum Frieden gehen. Ein großer Teil der Israelis will diese Brücke lieber für immer sprengen, womit das eigenen Schicksal keinen Deut besserer oder sicherer wird.

    Noch ist die arabische Staatenwelt von Potentaten und Führern besiedelt, die für Frieden gerade stehen können. Wenn die Demokratie wirklich Schule macht, wird in Kairo, Bagdad, Amman, Damaskus und Beirut niemand sich für eine Frieden mit den notorisch Wankelmütigen Israelis stark machen wollen. Ganz im Gegenteil dann wird dort verbal alles radikaler und jeder kämpft um seine Glaubwürdigkeit, aber nicht mehr um lanfristige Perspektiven für die Region.

  • B
    Britt

    Wirklich ein interessantes Interview mit Tom Segev, vielen Dank. Die taz sollte öfter Artikel mit ihm bringen.

  • A
    anke

    Könnten die kollektiven Vernichtungsängste der Israelis vielleicht deswegen so ausgeprägt sein, weil sie nicht nur von den Herrschenden im Land sondern auch von Außen immer wieder bestätigt werden? In Europa und den USA beispielsweise werden Israelis nicht selten gleich als dreifache Opfer interpretiert: Sie müssen nach Überzeugung ihrer erklärten "Freunde" an ihrer schrecklichen Vergangenheit, einer akkut gefährdeten Gegenwart und einer im Mindesten ungewissen Zukunft leiden. Den historischen Feinden werden unberechenbar-bösartige Nachbarn, eine wilde Horden weltweit agierender Neonazis und die Heerscharen all jener an die Seite gestellt, die sich partout nicht zur bedingungslosen Israel-Liebe bekennen mögen, weil sie unbedingt einen Unterschied machen wollen zwischen dem Einzelnen, einem ganzen Volk und seinen (gewählten und ungewählten) Führern. Wer sich, sei es als Einzelner, als Mitglied einer Gruppe oder einer ganzen Gesellschaft, einer solchen Übermacht ausgeliefert sieht, der kann unmöglich Optimismus empfinden, schätze ich. Schon die bloße Masse des Negativen muss wohl zwangsläufig zur Resignation führen. Zumal diese Resignation gewissen Leuten sicherlich ganz gut ins eigene Zukunfts- sprich: Macht-Konzept passt und also nach Kräften befördert wird. Man kann nur hoffen, dass sich irgendwann die Erkenntnis durchsetzt: Resignation ist keine gute Basis für Fortschritte irgendwelcher Art. Gut möglich, dass sich eines bösen Tages herausgestellt haben wird: Man kann seine Freunde auch zu Tode bemittleiden. Für die Überlebenden des Holocaust (wie alt und woher auch immer) wäre das wohl mehr als nur eine Ironie der Geschichte.