Jahresbericht des Kindernotdienstes: Abgesoffene Eltern, verwahrloste Kinder

Viele Eltern, deren Kinder beim Kindernotdienst landen, sind alkoholsüchtig. Das Problem werde meist ignoriert, so der Notdienst.

Letzte Anlaufstelle: ein Mädchen im Berliner Kinderhilfszentrum "Arche" Bild: AP

Als die Polizei den neunjährigen Dennis und seine Mutter am Breitscheidtplatz antrifft, kann sich die Frau kaum artikulieren. Sie ist stark betrunken, hat laut einem späteren Test 2,46 Promille im Blut. Da sie sich augenscheinlich nicht um ihr Kind kümmern kann, wird der Junge dem Berliner Kindernotdienst übergeben.

Dennis ist eines von insgesamt 815 Kindern, die im vergangenen Jahr vom Kindernotdienst in Obhut genommen wurden. Bei 152 Fällen lag Alkoholmissbrauch der Eltern vor, oftmals ging der Aufnahme ein polizeilicher Einsatz voraus. Häufige Gründe für die Aufnahme in die Wohngruppe des Kindernotdiensts sind außerdem der Verdacht auf körperliche Misshandlung oder Verwahrlosung.

Diese Zahlen gehen aus dem Jahresbericht 2008 des Berliner Notdienst Kinderschutz (BNK) hervor, der am Montag vorgestellt wurde. Seit Ende vorigen Jahres versammeln sich unter dem Namen BNK der Kinder-, Jugend- und Mädchennotdienst sowie die Hotline-Kinderschutz, die Kontakt- und Beratungsstelle und die Notschlafstelle Sleep In. Die Trägerschaft hat das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg stellvertretend für alle Bezirke.

Zwar nahm die Anzahl der Kontaktaufnahmen und Beratungen laut des Jahresberichts 2008 im Vergleich zum Vorjahr leicht ab, in den Jahren davor war sie indes kontinuierlich gestiegen. "Ein Grund für diese Tendenz ist sicherlich die verschärfte Situation, in der sich Kinder aufgrund von Armut, Arbeitlosigkeit und psychischer Erkrankungen der Eltern befinden", erklärte Monika Herrmann, Bezirksstadträtin für Jugend, Familie und Schule (Grüne) in Friedrichshain-Kreuzberg. Ein zweiter Grund sei die seit Mai 2007 bestehende Hotline-Kinderschutz. "Die Hemmschwelle, sich beraten zu lassen, ist für Nachbarn oder Verwandte hier deutlich niedriger, als direkt das Jugendamt einzuschalten", so Herrmann. Dank der telefonischen Anlaufstelle würden nun auch Fälle bekannt, die Kinder- und Jugendhilfen zuvor nicht bemerkt hätten.

"Bisher fand das Thema Sucht im Zusammenhang mit Kinder- und Jugendhilfe zu wenig Beachtung", erklärt Beate Köhn von der Fachstelle Notdienst Kinderschutz, "dies will der Bericht ändern". Die steigende Zahl depressiver, süchtiger und psychisch erkrankter Eltern sei "alamierend".

Die Gründe für eine Abhängigkeit können dabei sehr unterschiedlich sein, Faktoren wie Armut, mangelnde Zukunftsperspektiven und das Gefühl der Hilflosigkeit können die Situation jedoch verschärfen. "Die Eltern resignieren in ihrer Sucht. Die Folgen sind Vernachlässigung der Kinder und Gewalt", erklärte Köhn. TERESA SITZMANN

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