Deutscher HipHop aus Ostbelgien: Fremd im Playmobilland
Europäisch und provinziell zugleich - ein Lebensgefühl. Sie leben in Belgien und machen deutschen Hiphop: Gerapptes Gemüse.
Man kann die Geschichte von Gerapptes Gemüse so erzählen wie die zahlloser anderer Provinzbands. Jugendliche, die ohne ein kreatives Ventil an Langeweile, Borniertheit und der radikalen Verneinung jeder Inspiration zugrunde gehen. All das trifft zu, und ist trotzdem nicht zutreffend genug. Denn die Peripherie, die ihnen die Luft zum Atmen raubte, weist einige Besonderheiten auf. Im deutschsprachigen Ostbelgien sind immerhin alle Einwohner zweisprachig. Der schmale Streifen Land liegt zwischen Luxemburg und Deutschland, Nordfrankreich, und die Niederlande sind ebenfalls in Reichweite. Der Grenzübertritt gehört für Familien zum Wocheneinkauf und für Pendler zum Alltag, ungehindert, versteht sich, denn man ist hier mitten im Kerngebiet der ersten Schengen-Staaten. Europa wirkt greifbar, Vielfalt scheint ein Gesicht zu bekommen, und sei es durch Wahlplakate, von denen dieser Tage Karin Lejeune oder Jean-Marc Schmitz grüßen. Schaffen offene Grenzen nicht auch offene Geister?
Jan Piette schüttelt entschieden den Kopf. 23 ist er, und macht, so sagt seine My-Space-Seite, "den Beatsalat für das Gemüse". Sein Zwillingsbruder Andreas und der gemeinsame Freund Jan Alimohammadian vervollständigen als Rapper die erste Hiphop-Band der 5.000-Seelen-Städtchens Sankt Vith. "Die Menschen hier haben ständig Angst davor, dass jemand die kleine Welt zerstört, die sie sich aufgebaut haben." Jan, Andreas und Jan haben auch etwas aufgebaut. Nur dass das Rhythmen und Reime sind und keine Domizile am Ortsrand, frei stehend, mit ausladenden Gärten und akkuraten Zufahrtswegen. Dort, wo das Städtchen in Wälder und Hügel ausläuft, verkünden Wohnwelt, Lederprofi und Sofa Dreams 2000 an verkaufsoffenen Wochenenden das Evangelium des Eigenheims. Als Möbelparadies genießt Sankt Vith einen gewissen Ruf in der Region. "Playmobilland", zuckt Jan Alimohammadian mit den Schultern. Sein Vater stammt aus Teheran, und schon er, sagt Jan, sei nie richtig in der Provinz angekommen. "Alles ist hier künstlich und aus Plastik, und wenn nicht, erregt es Misstrauen."
Wie zum Beweis werfen die Nachbarn ab und an einen prüfenden Blick auf das Geschehen im Jugendzentrum. Massive Boxen zieren an diesem Nachmittag den Basketballplatz und entlassen knarzende Eigenbau-Beats, um die Wochenendruhe zu stören. Rückkopplungen übertönen das Singen der Vögel. Unter dem Korb steht ein Pavillon, darunter wechseln sich DJs mit Vorlagen für die Rapper ab, die sich davor an den beiden Mikrofonen warmmachen. Etwa 20 Kinder und Jugendliche haben den Weg hierher gefunden. Eine Mädchengruppe führt einen Tanz auf, während sich Sprayer an den Wänden austoben. Das örtliche Jugendwerk lädt zum Hiphop-Workshop. Klar, dass die Pioniere sich die Ehre geben. Die beiden Jan sind extra aus Brüssel gekommen, wo sie seit ein paar Jahren leben. Für sie ist es ein Wochenendtrip in die Vergangenheit.
Wie alles anfing, ist schnell erzählt. "Es war Musik, um die Leere zu füllen", sagt Jan Piette, der auf der Bühne Jan Sejal heißt. Ein dezenter Hinweis auf den örtlichen Dialekt, denn "janz ejal" bedeutet hier, in der belgischen Eifel, ebenso wie drüben im Rheinland "ganz egal". Und genau das war den Dreien der Einheitsbrei aus Coverbands, bolzendem Gabbertechno und Wochenenden, deren Höhepunkt in der alkoholinduzierten Horizontalen auf Junggesellenfesten lag. "Hiphop ist für uns eine Außenseitererfahrung", bestätigt Andreas mit bedächtiger Stimme. Während ihre Bekannten sich Gelfrisuren zulegten, folgten die drei einem bewährten Weg juveniler Dissidenz und ließen sich die Haare wachsen. Jan Sejal und sein Bruder tragen noch heute Matte, Andreas hat dazu einen struppigen Bart und Nickelbrille, der Beatmaster hingegen nimmt in dunklem Feinrippcordjackett zur Shorts etwas abseits des Geschehens barfuß auf der Wiese Platz. Nicht nur in ihrem provinziellen Heimatort pflegen Gerapptes Gemüse den Widerspruch. Auch in Hiphop-Kreisen fallen sie optisch aus dem Rahmen. Jan Sejal, der Germanistikstudent, lacht. "Wir sind viel zu sehr Schöngeister, um völlig in dieser Subkultur aufzugehen."
Als die Schöngeister mit Mikros und Mischpult loslegen, erweisen sie sich denn auch als Vertreter der leisen Töne. "Genehmigen wir uns einen kleinen Blick auf die Welt", lädt Andreas ein, und dann kommen subtile Alltagsaufnahmen, introspektive Skizzen und kritische Analysen des unmäßigen Drogenkonsums an der Peripherie: "Schwer dicht, aber im Kopf kein Licht." Rund und flüssig fallen die Reime im Idiom der belgischen Eifel. "Ch" verwandelt sich in ein rheinisches "Sch", das "r" erhält einen leichten französischen Anstrich, was den weichen Klang noch verstärkt. Auch die Beats, die Jan Sejal gerne "erdig und akustisch" hält, klingen wie eine Reminiszenz an den geschmeidigen Stil des Hiphop du Salon. Gerapptes Gemüse kommen von dort, wo sich frankophone und deutsche Hiphop-Kultur treffen. Eröffnet diese Lage an der Schnittstelle zweier Kulturen oder kultureller Trends eigentlich Chancen?
Kritische Blicke allenthalben. Die Sache liege doch etwas komplexer, sagt Andreas, und wenn er ausholt, denkt man nicht mehr an Schnittstellen, eher an den wenigen Platz zwischen sämtlichen Stühlen. "Wir haben deutsche Texte, weil das unsere Muttersprache ist. Doch in Belgien schränkt uns das natürlich sehr ein." Der Rapper ist als Einziger in Sankt Vith geblieben und arbeitet bei einer Grafikagentur. "Hier in der DG spricht zwar jeder französisch, die Kultur aber ist sehr deutsch geprägt. Nur ein paar Kilometer weiter wird französisch gesprochen, doch wir sind dort noch nie aufgetreten. Und auf Veranstaltungen hier, selbst im Jugendzentrum, trifft man kaum mal Wallonen." Läge es dann nicht nahe, sich musikalisch nach Deutschland zu orientieren? Andreas hat ein Jahr in Jülich jenseits der Grenze gewohnt. Die Idee, sagt er nachdenklich, aber bestimmt, hatten sie schon mal. Eine ernsthafte Option aber sei sie nie gewesen.
Näher liegt da schon der Sprung nach Brüssel, den Jan Sejal und sein Namensvetter vollzogen haben, auch wenn das "dem Gemüse" logistische Probleme bereitet. Bleiben oder gehen, vor dieser Frage stehen irgendwann alle, denen die belgische Eifel und ihre deutschsprachigen Bewohner zu eng werden. Liège, nur 40 Kilometer entfernt, ist traditionell die erste Adresse. Im Umfeld der selbst ernannten "Rapgurken" ist auch die Hauptstadt sehr populär. Jan Alimohammadian schwärmt von der Atmosphäre und davon, den Alltag auf Französisch zu bestreiten. Dabei gelten die Deutschsprachigen auch dort als Außenseiter. "So wie die Deutschen uns für Belgier halten, denken sie in Brüssel, dass wir Deutsche sind", erklärt Jan ein Leitmotiv im Leben der DG-Bewohner. Doch das Gefühl der Fremdheit, sagt der ehemalige Geschichtsstudent, liegt noch tiefer, denn nicht mal das Selbstbild der Minderheit sei fest umrissen. Pro-Belgier, Deutschenhasser, versteckte Deutschtümler, all dies hat die wechselhafte Geschichte in diesem winzigen ländlichen Biotop hinterlassen. Weitgehend unbemerkt von der Mehrheit der Belgier. "Viele haben noch nie von den Deutschsprachigen im Osten gehört", sagt Jan, und dann muss er lachen. "Es ist schon vorgekommen, dass Menschen uns mit der DDR verwechseln."
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