Holzfäller in Aktion: Die Angst vorm Präzisionsschnitt
Bei den Waldarbeiter-Meisterschaften in Köpenick geht es um Millimeter. Ein Tag zwischen Sägen und blanken Nerven
Marco Trabert sieht sich die Sache jetzt einmal an. Er lehnt an der Bande, groß, breitschultrig, und beobachtet einen Gegner: wie der auf Kommando die Motorsäge anwirft, wie er zwei Schritte nach vorne auf den Stamm zugeht, wie er ansetzt und zügig eine Scheibe von dem hellen Fichtenholz abschneidet. Späne wehen durch die Luft. Der Motor röhrt. Als sich die Sägekette dem Boden nähert und der Stamm fast durch ist, legt sich der Mann in die Holzspäne und schaut konzentriert von der Seite zu, wie die Kette sich durch die letzten Millimeter Holz frisst. Die Scheibe ist ab. Er zieht die Säge heraus. Durch die gepressten Späne, auf denen der Stamm liegt, zieht sich eine längliche Furche. Die Kette hat den Boden aufgerissen. Das ist verboten. Punktabzug. Es passiert heute fast allen. Trabert ist später noch dran. Deshalb sieht er jetzt zu. Das alles macht ihn misstrauisch. Irgendetwas stimmt mit dieser Spanschicht unter dem Stamm nicht.
In der Wuhlheide ist deutsche Waldarbeitermeisterschaft, und Marco Trabert, 40 Jahre alt, von Beruf Forstwirschaftsmeister im fränkischen Bad Königshofen, hätte durchaus nichts dagegen gehabt, zu gewinnen. Er ist 2008 Waldarbeiterweltmeister mit der deutschen Nationalmannschaft geworden. Trabert trägt eine wuchtige Jacke und eine Arbeitshose in viel Blau und ein bisschen Orange. Seine blondierten Haare stehen gerade vom Kopf ab. Das mit dem Gewinnen ist für ihn wahrscheinlich unmöglich geworden. Sein Baum ist am Tag zuvor falsch gefallen. Er weiß immer noch nicht genau, warum. "Vielleicht der Wind", sagt Trabert. Er sieht hilflos aus, fast ein wenig verzweifelt.
Er hatte das alles sauber berechnet, hatte den Holzpflock dort einschlagen lassen, wo seine Kiefer auf den Waldboden rummsen sollte. Er hatte die Fallkerbe in den Baum gesägt, dann von hinten den Stechschnitt gesetzt. Der Baum fiel, aber er fiel daneben. Seitdem ist eigentlich klar, dass für Trabert ans Gewinnen nicht mehr zu denken ist. Und trotzdem würde er seinen Präzisionsschnitt heute Nachmittag gerne so sauber abschließen, dass er nicht in den Boden schneidet. Das würde sonst noch einmal richtig viele Punkte kosten. Wenn die Kette bei der Arbeit im echten Wald in den Boden sägt, wird sie stumpf. Deshalb gibt es diese Regel.
Trabert wartet am Rande des Parcours. Überall liegen nackte Baumstämme, völlig ohne Rinde, hell wie weiße Schokolade. Manche auf Metallgestellen, andere auf den Bohlen aus Spänen, mit Bändern festgeschnallt. In der Mitte des Platzes stehen unter grauen Zeltdächern Bierbänke. Zwischen den Stämmen laufen Männer und Frauen in Arbeitskluft herum, manchmal setzen sie ihren Hörschutz auf. Dann röhrt es. Einige haben Klemmbretter in den Händen, auf ihre Jacken ist "Schiedsrichter" gedruckt.
Auch Marco Trabert wird wie alle anderen in dem Zelt in der Ecke anfangen, mit dem Kettenwechsel. Eine Kette muss auf die Motorsäge gespannt werden, dabei wird die Zeit gestoppt, wie an jeder Station. Danach muss er Holzscheiben abschneiden, in unterschiedlichster Form. Es ist alles ein bisschen so wie im Wald, wo die 120 Forstwirte und Forstwirtschaftsmeister arbeiten, die aus ganz Deutschland angereist sind. Ein bisschen, aber nicht ganz. Die Bedingungen müssen ja für alle gleich sein.
Im Wald haben Bäume Rinde, und ihre Äste bestehen nicht aus Stöckchen, die man in Löcher gesteckt hat, die eigens dafür in den Stamm gebohrt wurden. Wie gleich die Bedingungen sein müssen, steht im Regelwerk für die Waldarbeitermeisterschaften. Die Pressspanunterlage beim Präzisionsschnitt muss beispielsweise genau drei Zentimeter hoch sein. Marco Trabert wird sich das später von den Schiedsrichtern noch einmal vormessen lassen. Er kann sich das einfach nicht erklären, warum heute alle in den Spanboden hineinschneiden, als wäre er eine Geburtstagstorte.
Jetzt ist erst einmal Mittagspause. Es könnte sein, dass sich die Spanunterlage in dieser Zeit ein bisschen ausweitet, vermutet Trabert. Vielleicht sind es dann drei Zentimeter und ein paar Millimeter mehr, dann müsste er reklamieren. Sie sind ja nicht zum Spaß her. Es geht um den "Reiz an der Präzision", sagt Traberts Nationaltrainer, ein Schwabe mit orangefarbenen Sonnenbrillengläsern und einem Leibchen mit dem Emblem eines Kettensägenherstellers darauf. Es ist dieser Reiz, der Trabert dazu gebracht hat, mit den Lumberjack-Wettkämpfen aufzuhören. Er hat früher auch im amerikanischen Stil mit Axt und Säge bei solchen Baumfäll-Wettbewerben mitgemacht, bei denen Holz gehackt und auf Baumattrappen herumgeklettert werden muss. Manchmal läuft Trabert immer noch im DSF, alte Sendungen. Aber seine Frau bekommt jetzt ihr drittes Kind. Er musste sich für einen Sport entscheiden.
Marco Trabert hat einen eigenen Parcours zu Hause, das ist die Voraussetzung, um ganz oben mitzusägen. Er hat sich dafür ein Grundstück besorgt, dort sieht es so ähnlich aus wie beim Wettbewerb in der Wuhlheide. Stämme auf Metallgestellen, Stämme auf Pressspänen, Stämme mit selbst gebastelten Ästen. Nur alles ein bisschen kleiner. Kettenwechsel kann er zu Hause üben, da muss er nicht aufs Grundstück. Bei der Arbeit dagegen, als Angestellter der Bayerischen Staatsforste, da übt er nicht mehr ganz so viel, sondern dirigiert eher - Lasterfahrer, die das Holz aus dem Wald holen.
Für Trabert sind diese Wettkämpfe auch ein Image-Signal an die Welt da draußen vor den Wäldern. Der Holzarbeiter von heute ist ein Vollprofi, sagt er. In Sachen Sicherheit und Arbeitsschutz ganz weit vorn, das zeigen auch die Wettkämpfe. Wenn sich die Sägekette dreht, gilt: keine Bewegung, beide Beine auf dem Boden. Sonst: Strafpunkte.
Ivana Wistuba, 44 Jahre alt, schwarzer Zopf, runde Brille, ist Schiedsrichterin an der Station mit dem Präzisionsschnitt. Ihre Tochter misst und stoppt gegenüber. Wistuba ist Sekretärin. Weil ihr Mann beruflich viel gesägt hat, kam sie mit zu den Wettkämpfen. Irgendwann wurde sie Schiedsrichterin. Kurz bevor es losgeht, steckt sie sich immer ihre lila Schützer in die Ohren. Wistuba hat mit ihrem Mann und einigen anderen 1999 den Verein Waldarbeitsmeisterschaften Berlin-Brandenburg gegründet. Es geht ihr auch darum, die Öffentlichkeit zu informieren. Die Leute denken ja, Forstwirtschaftsmeister wie ihr Mann machen den Wald nur kaputt. Wistuba betrachtet ihn eher als Holzhersteller. "Der Baum ist ein Produkt, das in den Handel geht", sagt sie. "Er muss ein bestimmtes Wachstum haben und eine Stammesstärke, damit er für die Holzverarbeitung interessant ist." Damit die Kiefern, Fichten oder Eichen ordentlich wachsen, setzt man sie recht nah aneinander. Sie wollen alle zur Sonne und bekommen deswegen gerade Stämme.
"Der Wald muss gepflegt werden, sonst ernten wir kein Holz", sagt Olaf Hadorf. Seine Füße stecken in klobigen Stiefeln. Er kommt aus Alt-Ruppin, auch er ist Forstwirtschaftsmeister. Pflegen und ernten, das sind zwei Wörter, die er häufiger verwendet, wenn er beschreibt, woraus seine Arbeit besteht. Es geht um Rohstoffe, sagt Hadorf, egal ob Brennholz oder Furnierholz. Ob die Bäume, die sie an diesem Wochenende geerntet haben, schon richtig reif waren, da ist er nicht ganz sicher. Vielleicht wären sie unter anderen Umständen noch ein, zwei, drei Jahre stehen geblieben. Ungefähr 120 Kiefern sind gefallen, für jeden Teilnehmer eine. Sie mussten einen ähnlich starken Stamm haben und eine gleichmäßig verteilte Krone. Man darf den Baum auch ablehnen, allerdings nur den ersten. Das Holz wird ganz normal verkauft, vielleicht werden einmal Kieferregale daraus. Die Scheibenhaufen, die an den Parcours-Stationen anfallen, können nur noch verbrannt werden. Alles bloß für den Wettbewerb. Verschwendung? Könnte man sagen, findet Hadorf.
Pro Jahr zersägt Marco Trabert vielleicht fünf Kubikmeter Holz, mehr als ein Zimmer voll. Er achte schon darauf, dass er die Stöcke beim Entasten mehrfach verwende, sagt Trabert. Jetzt gleich wird er seinen Parcours beginnen. Der Präzisionsschnitt macht ihm immer noch Sorgen. Es könnte sein, sagt er, dass das Fichtenholz etwas zu hart ist. Womöglich sägen deshalb alle in den Boden. Sie gehen zu hohes Risiko. Sie wollen schnell sein und möglichst wenig Span an ihrer Scheibe überstehen haben. Der Span ist der letzte Rest, der die Scheibe mit dem Stamm verbindet. Je weniger davon, desto besser. Wenn die Kette aber den Boden berührt, ist es alles egal, dann zählen die Punkte sowieso nicht. Trabert wird in jedem Fall die Pressspanunterlage nachmessen lassen.
Olaf Hadorf, Forstwirtschaftsmeister aus Alt-Ruppin
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