Protest gegen Internetsperrgesetz: SPD-Onlinebeirat meutert
Neun Netzexperten um Blogger Sascha Lobo schlagen Alarm: Sie wollen die SPD nicht mehr wie bisher beraten, wenn deren Fraktion für das geplante Gesetz gegen Netzsperren stimmt.
Die Drohung an die SPD ist deutlich: "Sollte es mit der Unterstützung der SPD-Fraktion zu den Netzsperren kommen, werden die unterzeichnenden Mitglieder des Online-Beirates die Beirats- und Repräsentationstätigkeit bis auf Weiteres ruhen lassen", heißt es in einer Erklärung eben jenes Online-Beirats, dem so illustre Netz-Celebrities wie Paradiesvogel Sascha Lobo, Wissenschaftler Jan-Hinrik Schmidt und Social Media-Experte Nico Lumma angehören.
Seit 2007 schmücken sich die Sozialdemokraten mit diesem Beirat aus Szenegrößen, dessen Mitglieder der Partei nahe stehen und sie in Fragen der Online-Kommunikation beraten. Lange schwiegen eben diese Experten während der gesamten Debatte um die von der Leyen'schen Sperrpläne im Kampf gegen Kinderpornografie – aller Kritik aus der Blogosphäre zum Trotz.
Doch am Mittwoch – einen Tag nach Ende der Mitzeichnungsfrist für eine Onlinepetition, in der sich 130.000 Unterzeichner gegen Netzsperren aussprachen und einen Tag vor der Abstimmung über ein entsprechendes Gesetz im Bundestag – brach der Online-Beirat sein Schweigen – und veröffentlichte seine Argumente gegen das geplante Gesetz.
Die SPD sei dabei, sich damit für eine Digitale Generation unwählbar zu machen, heisst es darin. "Das wird sich bereits bei der Bundestagswahl niederschlagen, weil mit der Entscheidung für die Netzsperren jeder Internet-Wahlkampf ad adsurdum geführt wird."
Tatsächlich sind die Beschimpfungen der Netzuser für die Sozialdemokraten herb, seit die Abgrenzung der Partei zu den CDU-Netzsperrplänen kaum mehr sichtbar war und der Szene-Liebling und ehemalige SPD-Medienpolitiker Jörg Tauss aus dem Verkehr gezogen wurde. Spätestens seit ein letzter Versuch des Parteilinken Björn Böhning, das Gesetzesvorhaben wenigstens zu verschieben, beim SPD-Parteitag keine Mehrheit fand, herrscht bei vielen politischen Netzusern die Meinung vor, dass man bei der SPD vergeblich nach Verbündeten sucht, um netzpolitische Interessen durchzusetzen.
Und tatsächlich macht die SPD, aber nicht nur sie, alle Versuche mit Obama-artigen Wahlkämpfen junges Web 2.0-Publikum anzusprechen, mit ihrer derzeitigen Netzpolitik vollkommen zunichte.
Außerdem wiederholt der Online-Beirat einmal mehr die Bedenken, ob Netzsperren tatsächlich effektive Mittel gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie sind, ob sie mit der Verfassung vereinbar sind – und verweisen besorgt auf ein Dokument des Wirtschaftsministerium, aus dem ersichtlich ist, dass die Bundesregierung kaum Erkenntnisse über die internationale Verteilung von Webseiten mit kinderpornografischem Inhalt hat. Und selbst die in netzpolitischen Kreisen häufig forumlierte Angst, dass der Kampf gegen Kinderpornografie nur Türöffner für eine "Zensurinfrastruktur" ist, die auch auf andere Tatbestände ausgeweitet werden könnte, wird als Gefahr klar benannt.
Es ist eine späte Warnung von neun Mitgliedern des 20-köpfigen SPD-Onlinebeirates – veröffentlicht nur wenige Stunden vor der tatsächlichen Beratung der Angelegenheit im Bundestag. Entsprechend gemischt sind auch die Reaktionen vieler User in bekannten Blogs: Während die einen darin einen "löblichen" Versuch sehen, der SPD die Argumente der Netzgemeinde einmal mehr nahezubringen, zerreissen sich andere das Maul darüber. "Und wo, bitte schön, war dieser Online-Beirat in den letzten Wochen? Jetzt, wo fast alle entscheidenden Abstimmungen gelaufen sind, wirkt die Pressemitteilung etwas hilflos", schreibt etwa ein Kommentator auf Netzpolitik.org.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Berichte über vorbereitetes Ampel-Aus
SPD wirft FDP „politischen Betrug“ vor