Kolumne China: Fehlentwicklungen der Modegeschichte

Die Zukunft der Männer sieht düster aus. In China tragen sie schon Handtaschen und den Bauch frei.

Ich wünschte, ich müsste das Folgende über Männer nicht schreiben. Es wird ja schon genug an ihnen herumgemäkelt. Es ist aber wirklich wichtig. Denn es geht hier um chinesische Männer. Wenn China tatsächlich das Laboratorium der Menschheit ist, dann bergen chinesische Männer womöglich die Zukunft des Mannseins. Und was ich hier sehe, gefällt mir gar nicht.

Fangen wir beim Selbstvertrauen an. Während die Emanzipation in Deutschland dazu geführt hat, dass endlich auch Männer ihren Körper hassen, mögen sich Chinesen rundum. Klingt prima. Führte dies nicht dazu, dass sie gern ihre Hemden bis zur Brust hoch reißen und bauchfrei durch ihre sommerlichen Städte schlendern. Uncharmanterweise ähneln die meisten Körperwölbungen sehr dem prächtigen Kugelbauch, den der greise Große Vorsitzende bei seinem berühmten Plantschen im Yangtse 1966 einem staunenden Volk präsentierte. Blanke Männerwänste: noch so ein schreckliches Erbe Maos. Kenner der Materie raunten mir zu, das sei noch gar nichts. Das höchste Kompliment, das chinesische Männer einem Gast bereiteten, sei, wenn sie sich obenrum ganz freimachen. Das zeige, wie wohl ihnen sei. Selten habe ich mich weniger nach Nähe gesehnt. Nicht unbedingt besser wird die Sache, wenn ein junger chinesischer Mann eine Rarität erwischt hat, nämlich eine chinesische Frau. Die sind seit Einführung der Ein-Kind-Politik bekanntlich Mangelware, weil mehr Mädchen als Jungen abgetrieben werden. Vielleicht tragen die Herren ja deshalb oftmals die Handtaschen ihrer Freundinnen. Das wirkt besonders befremdend, wenn die Männer zusätzlich ihre eigenen Handtaschen dabeihaben. Die Herrenhandtasche zählt zu den erschütterndsten Fehlentwicklungen der Modegeschichte. Sie ist meist rechteckig, leicht unter den Arm zu klemmen, stets geschmacklos und daher bei chinesischen Männern mittleren Alters sehr beliebt.

Westliche Rollenverständnisse geraten vollständig durcheinander, wenn man zwei befreundeten Männern begegnet. Den Arm um die Schultern des anderen geschlungen, flanieren sie durch die Innenstädte. Ich wähnte darin ein Zeichen der Liberalisierung. Naiv fragte ich eine chinesische Begleiterin: "Sind diese Männer schwul?" Sie starrte mich an: "Nein. Homosexualität ist immer noch ein Tabu. Wenn du diesen Leuten sagst, du hältst sie für schwul, dann hast du schnell ein Problem." Das wird dem jungen, gestylten Chinesen nicht gefallen, den ich neulich in Shenzhen sah. Er trug ein T-Shirt, auf dem ein Pfeil nach links zeigte. Darüber stand: "Im with my boyfriend". Für den jungen T-Shirt-Träger hoffe ich sehr, dass sich die Toleranz der Chinesen gegenüber Homosexuellen schneller entwickelt als ihre Beherrschung des Englischen.

So also sieht die Zukunft der Männer aus: homophobe, bauchfrei tragende Dickwänste in "Im with my boyfriend"-T-Shirts, die eigene Handtasche unter einem Arm, die der Freundin über der Schulter. Da fallen mir die Worte der Großmutter eines Freundes ein. Als sie gefragt wurde, was sie von der bevorstehenden Einführung des Euro sagte, antwortete die alte Dame kopfschüttelnd: "Ich weiß noch gar nicht, ob ich da mitmach."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.