USA starten Truppenrückzug im Irak: Stunde der Wahrheit

Bis Juli ziehen sich die US-Truppen aus den Städten des Zweistromlandes zurück. Sicherheitskräfte können nur für Ruhe sorgen, wenn dies von politischen Entwicklungen unterstützt wird.

Gewolltes Wagnis: Sicherheit ohne US-Truppenunterstützung. : dpa

KAIRO taz | Eigentlich sollte den Irakern zum Feiern zumute sein. Bis zum Dienstag sollen alle US-Kampftruppen aus den Städten des Landes abgezogen sein. So wurde es Ende 2008 in einem irakisch-amerikanischen Sicherheitsabkommen festgelegt. Doch das mit Spannung erwartete Datum des 30. Juni war in den letzten Tagen von einer enormen Zunahme der Gewalt begleitet. Bei Anschlägen kamen mindestens 250 Menschen ums Leben. Es ist der Versuch militanter Gruppen, im Vorfeld des Stichtages Stärke zu demonstrieren und dem Irak wieder ihre eigene Tagesordnung aufzudrücken.

Nun sind die US-Truppen ab nächsten Monat aber nicht aus der Welt. Die verbliebenen 133.000 amerikanischen Soldaten wurden in den vergangenen Wochen bereits vor allem an den Stadträndern stationiert. Von dort können sie jederzeit von der irakischen Regierung zurück in die Zentren gerufen werden.

Für die 650.000 Mann starke irakische Armee und Polizei schlägt jetzt zumindest in den städtischen Zentren die Stunde der Wahrheit. "Sind sie der Aufgabe gewachsen?" ist die Frage, die im Raum steht. "Warum schützt uns die irakische Armee nicht", riefen aufgebrachte Jugendliche in Sadr City und warfen Steinen auf irakische Soldaten, nachdem letzte Woche dort auf einem Markt eine Bombe hochging und mindestens 80 Menschen tötete. Gegen solche Anschläge sind die Iraker machtlos, wie zuvor die Amerikaner. Da helfen weder die verstärkten irakischen Truppen in den Städten noch die Sicherheitsringe, die die US-Truppen drum herum gezogen haben. Mohammed Askari, ein Militärberater des irakischen Premiers Nuri al-Maliki, sieht dennoch Fortschritte. "Die einzige Bedrohung, die wir heute erleben, sind Selbstmordattentäter oder Bombenanschläge", erklärt er in einem Interview mit den Fernsehsender al-Dschasira und erinnert daran, dass in der Vergangenheit al-Qaida und andere militante Organisationen Dörfer und zeitweise ganze Provinzen beherrscht hatten. Auch viele US-Militärexperten sehen darin die wirkliche Prüfung für den irakischen Sicherheitsapparat: Schafft er es, dass sich nicht wieder Hochburgen der Militanten und "No-go-Areas" für die Armee bilden?

Doch die Anschläge der Militanten auf dicht gedrängte schiitische Märkte und Moscheen folgen einer ganz anderen Logik. Sie hoffen, so sehr zu provozieren, dass die berüchtigten schiitischen Milizen wieder auf die Straßen kommen. Dann könnte sich die jüngste blutige irakische Geschichte wiederholen, als das Land bei Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Religionsgruppen am Rande eines Bürgerkrieges stand.

Auch die sunnitischen Stammesmilizen, die in den letzten zwei Jahren erfolgreich gegen Al-Qaida-Gruppen eingesetzt wurden, stellen heute einen Unsicherheitsfaktor dar. Von anderen militanten sunnitischen Gruppierungen werden sie als Verräter angesehen, während ihnen die schiitisch dominierte Regierung nicht über den Weg traut und sie nicht vollständig in den Sicherheitsapparat integriert.

Und selbst die Armee ist nicht gefeit gegen neue mögliche Auseinandersetzungen zwischen den verschieden Religionsgruppen und den Streitigkeiten zwischen Arabern und Kurden im Norden des Landes. "Wir haben keine professionelle Armee. Die ist entlang ethnischen und religiösen Linien gespalten, die im Moment von der Tarnung der US-Präsenz überdeckt werden", warnt Madschid al-Sari, ein ehemaliger Berater des Verteidigungsministeriums.

Die irakische Regierung kann das Land militärisch nur unter Kontrolle bringen, wenn das auch von den politischen Entwicklungen unterstützt wird. Abgesehen davon, dass eine wirkliche innerirakische Versöhnung noch in der Ferne liegt, gelingt es ihr im Moment nicht, wichtige Gesetze auf den Weg zu bringen. Über ein neues Ölgesetz, das eine gerechte Verteilung des Ölreichtums gewährleisten soll, wird ebenso gestritten wie um eine Lösung des Streits zwischen Kurden und Arabern um die Kontrolle über die nordirakische Stadt Kirkuk - Konflikte, die nach dem Abzug der Amerikaner jederzeit offen ausbrechen können. Dass für nächsten Januar Parlamentswahlen angesetzt sind, vermindert die Kompromissbereitschaft der verschieden politischen Parteien noch zusätzlich.

"Wer immer für die neuerlichen Anschläge verantwortlich ist, nach dem Abzug der US-Truppen gibt es keine Ausrede mehr", meint General Kalib Schagati al-Kenani, der Chef des irakischen Antiterrorbüros. "Sie haben sich immer gerühmt, gegen die Besatzung zu kämpfen. Nun ist die Besatzung und damit ihre Rechtfertigung weg", argumentiert er. Wenn irakische Politik nur so einfach wäre.

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