Nachkriegszeit in Gaza: Leben unter Zeltplanen

Ein halbes Jahr nach dem Krieg hat der Wiederaufbau noch nicht begonnen. Israel blockiert die Lieferung von Baumaterialien.

Seit Ende des Krieges tut sich so gut wie nichts im Gazastreifen, außer dass die Hoffnungslosigkeit wächst. : ap

Mohammed Abed Rabbo sitzt unter den provisorisch an Eisenstangen befestigten Zeltplanen auf einem roten Sofa und guckt auf die Trümmer seines einstigen Heims. Wie ein zusammengeklapptes Kartenhaus liegen riesige Betonplatten ineinander verschränkt kaum 30 Meter entfernt von dem Zelt der Familie. Seit sechs Monaten wartet Abed Rabbo auf den Wiederaufbau, der nicht stattfindet, weil Israel die Grenzen für die Lieferung von Zement und Eisen gesperrt hält.

Das Sofa ist als einziges Möbelstück unversehrt geblieben, als die Soldaten in den gleichnamigen Ort Abed Rabbo, im nördlichen Gazastreifen, vordrangen und dort rund ein Viertel der Häuser zerstörten. Mohammed und seine Frau Suad, beide Mitte 50, hatten sich während der Bodenoffensive mit ihren Kindern und drei Enkeln in eine Schule der UNRWA (UN-Flüchtlingshilfe für Palästina) gerettet. Nach dem Krieg zogen zunächst alle 13 Familienmitglieder in das Zelt, in dem heute nur noch zwei Feldbetten mit jeweils mehreren übereinander gestapelten Matratzen stehen und Plastikkisten, die als Schränke dienen.

Rund 5.000 Häuser sind während des Krieges zerstört worden, mit dem Israel den Raketenbeschuss der Hamas beenden wollte. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, herrscht derzeit auch Ruhe. Um den zwischen die Fronten geratenen Menschen beizustehen, mobilisierten westliche und arabische Staaten innerhalb weniger Wochen rund 4,5 Milliarden US-Dollar, mehr als doppelt so viel, wie die Palästinenser selbst für den Wiederaufbau veranschlagt hatten.

Trotzdem tut sich seither so gut wie nichts im Gazastreifen, außer dass die Hoffnungslosigkeit wächst. "Es wird keinen Wiederaufbau geben, solange der Konflikt zwischen Hamas und Fatah andauert", sagt Mohammed. Es sei eine "Schande", dass die beiden großen palästinensischen Bewegungen den Weg nicht zueinander finden. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und der Politbürochef der Hamas, Khaled Mashal, "spielen mit unserem Blut".

Der Konflikt zwischen Fatah und Hamas ist indes nur ein Teil des Problems. Israel knüpft die Öffnung der Grenzen an die Befreiung des seit drei Jahren vermissten Soldaten Gilad Schalit. Nahrungsmittel und Medikamente werden geliefert, Rohstoffe und Baumaterial nicht. Die Blockade ist Druckmittel bei den Verhandlungen um einen Geiselaustausch. Außerdem fürchten die Israelis, dass die Rohstoffe für den Bau von Waffen und neuen Schmugglertunnels verwendet werden könnten.

Abed Rabbos Zelt dient tagsüber als Lagerraum für Brot und seine "Terrasse" als Ausgabestelle für die ganz Bedürftigen. Alle paar Minuten kommt ein Junge oder ein Jugendlicher, legt seine Karte auf den Tisch und holt die tägliche Ration von 50 Fladenbroten pro Familie ab, eine Spende der Vereinigten Arabischen Emirate. Ein junger Hamas-Anhänger führt Buch über die Ausgabe, während Abed Rabbo keinen Hehl aus seiner Sympathie für die Fatah macht. Hier scheint die friedliche Koexistenz der unterschiedlichen Ideologien zu funktionieren.

Der älteste, verheiratete Sohn der Abed Rabbos hat sich eine Mietwohnung genommen, nachdem die Hamas eine Soforthilfe von 4.000 Euro und die Palästinensische Autonomiebehörde noch mal 5.000 Euro für die Obdachlosen zahlten. Der junge Familienvater hatte Glück, preiswerten Wohnraum zu finden, denn die Mieten sind aufgrund der hohen Nachfrage um rund 50 Prozent teurer geworden, wenn es überhaupt noch leerstehende Wohnungen gibt. Manche Familien haben sich in Büros oder in Garagen einquartiert.

Kleine Mengen an Zement werden durch die Tunnels aus Ägypten in den Gazastreifen geschmuggelt und zum Zehnfachen des üblichen Preises gehandelt. Mit Spendengeldern der Islamischen Bank und des Roten Halbmondes aus Qatar sollen zunächst die Krankenhäuser repariert werden. Nur: "Eisen kann nicht geschmuggelt werden", sagt Ahmad Shayyah, ein großer Bauunternehmer.

Rund ein Viertel der nötigen Steine könne aus der Wiederaufbereitung der Trümmer gewonnen werden, was bei Eisen nicht funktioniert, weil "es an Tragfähigkeit verlieren würde", erklärt der Bauunternehmer. "Der Mangel an Eisen und Zement ist unser größtes Problem." Shayyah gibt der Hamas die Schuld. Seit die Extremisten die Macht im Gazastreifen übernommen haben, unterbindet Israel die Lieferung der Rohstoffe. "Solange die Hamas regiert, wird sich hier nichts ändern." Offenbar denken immer mehr Leute wie er. Seit Anfang des Jahres sank, laut einer diese Woche veröffentlichten Umfrage, die Popularität der extremistischen Bewegung von 27,7 auf unter 19 Prozent.

Suad fischt ein paar Brote aus einer Tüte, schneidet Tomaten auf und legt saure Gurken und Oliven in eine Schale. Das Haus ihres Schwagers ist unversehrt geblieben. Die Abed Rabbos können dort Küche und Badezimmer benutzen. "Wo bleibt der Tee?", brummt Mohammed mürrisch in sein Handy. Kaum drei Minuten später kommt einer seiner Neffen mit dem heißen, nach Minze duftenden Getränk. "Mein Haus war wie eine Vase", schwärmt Mohammed. "Viele unserer Freunde haben bei uns ihre Hochzeiten gefeiert, weil es so schön war."

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