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Kolumne IdoleVom Destillat der Träume

Mr. Nobody der deutschen Literatur.

L eute, die schreiben, sind meistens unausstehlich, getrieben von Ruhmsucht und Eitelkeit, innerer Leere und Minderwertigkeitskomplexen, empfindlich wie eine Nacktschnecke und dabei der Nabel der Welt." Diesen schönen Satz hat einer geschrieben, der selbst vom Schreiben lebt: der Schriftsteller Selim Özdogan. Er hat noch ein paar andere Sätze geschrieben, deren Alltagsweisheit man mit Anfang Zwanzig schon mal religiöse Bedeutung beimessen kann: "Es ist ein besonderes Talent, zu merken, wann man glücklich ist. Merken, wann man glücklich war, kann jeder." Oder Bonmots wie: "Passen die Schuhe, vergisst man die Füße."

sandra böhme

Kirsten Reinhardt arbeitet in der Online-Redaktion der taz.

Als er 1995 mit seinem Roman "Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist" debütierte, sah es ganz so aus, als würde sich Özdogan in die junge Garde der Popliteraten hinter Stuckrad-Barre und Kracht einreihen. Doch daraus ist dann doch nichts geworden, damals. Und auch heute, sieben Romane, ein paar Bände mit Kurzgeschichten und etliche Hörbücher später, scheint Özdogan nicht wesentlich bekannter zu sein.

"In der deutschen Literaturlandschaft bin ich Mr. Nobody", sagte er mir vor zwei Jahren mit leichter Verbitterung. Ich hatte ihn in Köln für ein Interview besucht und wollte mit ihm darüber sprechen, warum dieser Autor verzweifelt nach einem neuen Verlag für seinen siebten Roman "Zwischen zwei Träumen" suchte und einfach keinen fand. Ob es daran lag, dass er sich nicht öffentlichkeitswirksam zu Migrationsfragen äußerte, sondern lieber sagte: "Nur aufgrund meines Nachnamens bin ich kein Experte für Zwangsheirat"? Mag sein. Ein guter Selbstvermarkter ist er offensichtlich nicht, was ihn ja ganz sympathisch macht.

Vor zwei Jahren hat sich der Regisseur Fatih Akin der Sache angenommen. In seinem Film "Auf der anderen Seite" wird Özdogans Anatolien-Roman "Die Tochter des Schmieds" ziemlich auffällig gelesen und empfohlen. Doch auch das hat irgendwie nicht den ersehnten Schub gebracht. Gemein, denn es ist ein schönes Buch. Es geht darin nicht, wie sonst oft bei Özdogan, um den Rausch durchtanzter Nächte oder ausformulierte Poesie des Alltags, sondern um eine Familiengeschichte in der Türkei, angefangen in den 1950er-Jahren.

Mit "Zwischen zwei Träumen" hat Özdogan wieder das Genre gewechselt. Es ist eine Art Party-Science-Fiction und erinnert stark an den Cyberpunk-Film "Strange Days" von 1995, mit Ralph Fiennes und Juliette Lewis. In "Zwischen zwei Träumen" tropfen sich die Menschen das Destillat der Träume anderer ins Auge. Statt Drogen oder Kino. Klar, dass man bei zu viel Traumgenuss auch mal den Überblick verlieren kann, in welcher Ebene man sich denn nun befindet. Eine ziemlich abgespacte Geschichte und so ziemlich das Gegenteil von der Art von Text, mit der Özdogan als Popliteratur-Anwärter begonnen hat.

Das mit meinem Interview ist damals leider nichts geworden. Ich hatte mich in dem Text verstrickt und ihn seither als schlechtes Gewissen mit mir herumgetragen. Aber eben habe ich gelesen, dass "Zwischen den Träumen" endlich erschienen ist. Özdogan hat einen Verlag gefunden und ist mit dem Roman vom Aufbau zum Lübbe Verlag gewechselt. Lübbe? Der mit den Gespenster-Heften? Ja, genau. Ziemlich uneitel, nicht wahr?

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2 Kommentare

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  • CG
    Claudio Ghin

    Ich habe die meisten Bücher von Selim gelesen, "Die Tochter des Schmieds" zwei Mal, "Trinkgeld vom Schicksal" ganze fünf Mal. Für mich hatten diese destillierten Weisheiten, eingepackt in schöne, warme Geschichten, immer etwas tröstliches und ich mochte seinen Blick auf die Welt, der so anders war das der knarzige Kokserblick eines Stuckrad-Barre.

     

    Naja, ich war jetzt dieses Jahr auf den Vattenfall Lesetagen, einzig, um Selim noch ein mal lesen zu sehen, der wirklich viele Jahre mein absolutes Idol war.

     

    Was ich dort traf, hat mich sehr enttäuscht. Einen mürrischen Autor, der scheinbar keinen Bock hatte, lamoryant ins Mirkophon fistelte und neben Passagen aus dem neuen Roman wirklich blutleere, schlechte neue Texte vorlas, die ein wenig wie das bemühte Schreiben eines Creative-Writing-Kurses hatten, der sich Pop-Literatur als Ziel gesetzt hat.

     

    Ich habe den neuen Roman, der mit einem unsäglichem Cover bei Lübbe erschienen ist, versucht zu lesen.

     

    Alles, was ich dachte, war "Junge, trink ein Bier und geh feiern".

    Das gleiche dachte ich auch nach Hamburg.

     

    Es entsteht der Eindruck, als wüsse er selber nicht mehr, worüber er schreiben soll, als habe er keine Ahnung mehr von den Dingen, die er da zu Papier bringt. Uninspiriert, verstockt, quer. So saß er auch da.

     

    Vielleicht muss er sich ja doch mal fragen, wieso er das eigentlich noch tut. Weil er sich an den Schuh gewöhnt hat?

  • ID
    IKurt David

    "Leute, die schreiben, sind meistens unausstehlich, getrieben von Ruhmsucht und Eitelkeit, innerer Leere und Minderwertigkeitskomplexen, empfindlich wie eine Nacktschnecke und dabei der Nabel der Welt." Dieses Zitat von Selim Özdogan las ich direkt im Anschluss an die Kolumne von Jan Feddersen. Irgendwie passend!