Verschärfter Arbeitskampf in Frankreich: Entlassene drohen Fabriksprengung an
Die geschassten Arbeiter eines Autozulieferers wollen ihren Betrieb in die Luft jagen, wenn sie nicht jeweils 30.000 Euro Abfindung erhalten. Der Fabrikchef äußert Verständnis. Experten warnen vor Nachahmern.
CHÂTELLERAULT afp | Nach der Serie von Manager-Geiselnamen in Frankreich drohen entlassene Arbeiter eines Autozulieferers jetzt sogar mit der Sprengung ihrer Fabrik. Ein Teil der 366 Mitarbeiter eines Werkes im westfranzösischen Châtellerault stellte den Autobauern Renault und PSA Peugeot Citroën ein Ultimatum bis zum 31. Juli, um jeweils 30.000 Euro Abfindung zu erhalten.
Die Arbeiter der Firma New Fabris stellten auf dem Dach eines Stromhäuschens an der Fabrikhalle neun Gasflaschen auf, die durch Drähte verbunden sind. "Wir haben einen Zünder, das kann jederzeit in die Luft fliegen", sagte Betriebsratsvertreter Guy Eyermann. "Wir werden nicht August oder September abwarten, bis PSA und Renault gelagerte Teile und Maschinen aus der Fabrik holen. Wenn wir nichts bekommen, werden sie auch nichts bekommen." Eine Großmaschine haben die Arbeiter bereits aus der Fabrikhalle geholt und in Brand gesteckt.
Der Wert der gelagerten Teile wird von den Autoherstellern auf rund zwei Millionen Euro geschätzt. Hinzu kommen laut Gewerkschaften - teils neue - Maschinen im Wert von zwei Millionen Euro, die Renault gehören. Er verstehe "die Verzweiflung" der Beschäftigten, sagte Fabrikdirektor Pierre Réau. Die meisten von ihnen wüssten, dass sie anderswo keine Arbeit mehr fänden.
Réau zufolge begannen die Schwierigkeiten im September 2008, als der Automarkt wegen der Wirtschaftskrise einbrach. "Die Hersteller haben ihre Lagerbestände abgebaut anstatt neu zu bestellen", sagte der Werksleiter. Dann sei es mit dem Unternehmen, das seit 2008 dem italienischen Werkzeugmaschinenhersteller Zen gehört, nur noch bergab gegangen - bis zur gerichtlich angeordneten Auflösung im Juni.
Laut der Zeitung Le Parisien bezweifelten örtliche Staatsvertreter am Wochenende noch, dass sich tatsächlich Gas in den Flaschen befindet. Offenbar können die Behörden das aber nicht ausschließen. Sie stationierten am Montag Feuerwehrleute vor der Fabrik, um notfalls schnell eingreifen zu können. Für Donnerstag wurde ein Treffen der Beschäftigten mit Renault angesetzt.
In Frankreich hatten Arbeiter seit Mitte März immer wieder Firmenchefs festgesetzt, in deren Unternehmen Entlassungen oder Werksschließungen verkündet wurden. Oft wurden die Bosse über Nacht in ihren Büros festgehalten, um höhere Abfindungen zu erzwingen, teilweise mit Erfolg.
Die breite Berichterstattung der Medien über solche Vorfälle könne verzweifelte Arbeiter zu immer radikaleren Aktionen treiben, warnte der Sozialexperte Bernard Vivier in der Zeitung Le Parisien. Letztlich zeige sich darin aber auch "die Schwäche der Gewerkschaften". Ihre Präsenz in den Betrieben sei in den vergangenen drei Jahrzehnten um zwei Drittel gefallen. Sie seien damit nicht mehr in der Lage, "die Revolte der Arbeiter" zu kanalisieren.
Leser*innenkommentare
Olaf
Gast
Radikalere Aktionen? Und? Das Kapital muss vor der Macht des Arbeiters erzittern!
Benjamin
Gast
Souveräner kann mal als Chef wohl nicht reagieren. "Da hab ich schon Verständnis für, dass die das Werk in die Luft sprengen wollen."
Solche mitfühlenden Bekundungen sind wohl das letzte, was die Arbeiter aus dieser Ecke hören möchten.
Dennoch finde ich die Aktion beeindruckend. Manchmal wünsche ich mir, in Deutschland wären die Leute ähnlich mutig und entschlossen sich dieser absurden Welt und ihrer pervers anmutenden Produktionsspirale und Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche zu erwehren.
Lasst Euch nicht alles gefallen!
SKLAVE
Gast
Hut ab! Vive la france, das sind nicht so ne angepassten Weicheier wie der deutsche Michel, die lassens Krachen, wenn die Ausbeuter und ihre Politknechte den Bogen überspannen. Da wird gerüttelt und zwar so lange bis sich was bewegt. Der Deutsche bringt alle Jahre mal eine Großdemo auf die Beine, auf denen dann ein wenig rumgelabert wird und dann aber weiter im Text.
Dort wird den Streikenden seitens der Polizei Erfolg gewünscht, hier würde ein Anruf genügen und die Knüppelgarde würde die eigenen Arbeitnehmer gnadenlos zusammen knüppeln.
Mindestlohn 7,50 EURO labert dieser Sommer nun schon an die Zehn Jahre rum. Das Mieten, Energie, Lebensmittel etc. ständig teurer werden merken diese Bonzen ja alle nicht mehr.
Karl Ilnyzckyj
Gast
Paris, den 13.7.2009
LE PARISIEN ist gemeinsam mit der nationalen Ausgabe AUJOURD'HUI EN FRANCE eine der grössten Boulevardzeitungen Frankreichs. Sie existiert seit 1944 und wird von seit 3 Generationen von der UMP-nahen Familie AMAURY kontrolliert.
Bernanrd Vivier ist stellvertretender Generalsekretär der katholischen Gewerkschaft CFTC.
Thomas Schöffel
Gast
Die machen was, die Franzosen. Chapeau. Unsere Heinis schaffen es nur, nachts heimlich und feige Privatautos abzufackeln.
Ullrich F.J. Mies
Gast
So weit kommt es, wenn man die Menschen bis aufs Blut aussaugt, erniedrigt, terrorisiert.