Der Feuerzeug-Selector

Barney Millah ist seit 20 Jahren eine zentrale Figur des Berliner Dancehall. Mit seinem Soundsystem „Concrete Jungle“ war er Vorbild für die Szene – und beobachtet seitdem, wie sie sich verändert

Barney Millah giltals Koryphäe unterden deutschenDancehall SelectorsBob Marley war auf Millahs Partys tabu: „Viele Leute haben sich beschwert“

VON KONSTANTIN RIFFLER

Wenn man sich mit Barney Millah unterhält, schaut er einem direkt in die Augen. So als wolle er ausdrücken: Was jetzt kommt, ist wichtig. Und dann erklärt er: „Wir waren vielleicht nicht das allererste Soundsystem in Berlin, aber die Generation, die den Weg für die vielen nach uns geebnet hat.“ Hin und wieder stößt er seinem Gegenüber leicht gegen die Schulter. Immer dann, wenn dessen Blick abzuschweifen beginnt und seine Konzentration nachlässt.

Gerade eben hat er noch ein schönes Lied von Lady Saw, einer der wenigen Dancehall-Sängerinnen, aufgelegt. Jetzt sitzt er am Strand des Yaam, trinkt ein Bier und erzählt von seiner über zwanzigjährigen Erfahrung als Reggae Selector – so wird der DJ im Reggae genannt. Barney Millah trägt kurze Haare und eine unauffällige grüne Jacke und seinen Berliner Akzent kann er nur schwer verbergen.

Er war einer der Ersten, die in Berlin Dancehall auflegten, und gilt als Koryphäe unter den deutschen Dancehall Selectors. „Concrete Jungle“, sein ehemaliges Soundsystem, war zumindest das erste in der Stadt, das sich nur aus Berlinern zusammensetzte. Ein Soundsystem besteht in der Regel aus dem Selector und dem MC, die ihr Equipment selber mitbringen: von den Platten über die Boxen bis zu den Plattenspielern. Zurzeit legt Barney Millah mehrmals in der Woche in Clubs in Berlin, in anderen deutschen Städten und auch im Ausland auf. Auf jeden Fall ist er einer der wenigen Berliner Dancehall Selectors, die vom Auflegen leben können.

Reggae ist nicht gleich Reggae: Es gibt den klassischen Reggae der Siebziger, der als „Roots-Reggae“ bezeichnet wird, den Dub, eine minimalistische Variante, die sich durch starken Gebrauch von Studioeffekten und fast völligem Verzicht auf Gesang auszeichnet. Und den Dancehall. Der ist hart und schnell, stark geprägt von Themen aus dem HipHop – Sex, Gewalt, das Leben im Ghetto. Die Bezeichnung Dancehall entstand Mitte der Siebzigerjahre und geht auf die jamaikanischen Tanzhallen zurück, wo Geschichten über die Party als solche im Sprechgesang vorgetragen wurden. Dancehall war bereits in den Achtzigern auf Jamaika etabliert – in Deutschland ging es mit dem Reggae-Boom erst gut ein Jahrzehnt später los.

1991 reiste Millah zum ersten Mal nach Jamaika: „Als ich das da hörte, habe ich gedacht: Das können wir auch.“ Knapp ein Jahr später trat Millah dann mit dem Soundsystem Concrete Jungle an – und verordnete den Berlinern eine erzieherische Rosskur: Die ersten zwei Jahre spielten Concrete Jungle „strictly dancehall“, Bob Marley war auf ihren Partys ein absolutes Tabu. „Eine Menge Leute haben sich beschwert“, blickt Millah zurück. Um die eingefleischten Marley-Anhänger auf die unbekannten Rhythmen einzustimmen, verteilte er damals wie ein guter Animateur Trillerpfeifen und Feuerzeuge ans Publikum.

Als 1997 der erste große Hype um Reggae begann, gewannen die harten Rhythmen aus Jamaika immer mehr Anhänger, die Partys wurden voller, die Veranstaltungsorte wie das Yaam hatten plötzlich einen stadtweiten Ruf. In dieser Zeit wurde auch das Publikum heterogener. Viele, die zuvor überhaupt nichts mit Reggae zu tun hatten, gingen auf Dancehall-Veranstaltungen, eingefleischte HipHop- oder Drum-’n’-Bass-Hörer fanden Gefallen an den harten und treibenden Dancehall-Riddims. Heute wird in den Clubs nur selten ausschließlich Dancehall aufgelegt. Die meisten Soundsystems spielen zu Beginn und zum Ausklang der Party Ruhigeres wie Dub und Roots-Reggae und zur Primetime dann den schnelleren Dancehall. Dass man Berlin immer noch nachsagt, musikalisch eher hart und dancehalllastig zu sein, kann Millah nicht mehr verstehen.

Daweed vom Soundsystem SWS lobt wie Millah die Vielfalt der Berliner Reggaeszene. Auf einer Liste hat er mal alle Soundsystems, die er auf Flyern gefunden hat, aufgelistet: Es sind über fünfzig. Mit 17 Jahren ist Daweed der wahrscheinlich jüngste Dancehall Selector. Er glaubt, dass Millah als Vorbild bei der Gründung vieler Soundsysteme eine wichtige Rolle spielte. Größen wie er und Uzzla von Supersonic haben ihn auch hin und wieder mit einer Plattenempfehlung, kleinen Tipps oder sogar einem Vinyl-Geschenk unterstützt.

Vieles hat sich in den letzten 15 Jahren verändert, vor allem durch das Internet. Platten, für die Barney Millah früher noch nach Jamaika reisen musste, können heute online bestellt werden, Kontakte zu anderen Soundsystems ergeben sich einfacher: Während Barney Millah die entscheidenden Bekanntschaften noch im Club schloss, lernte Daweed seinen Kollegen Hi-D, mit dem er das Soundsystem SWS gründete, auf der Internetseite „Dancehallmusic“ kennen. Früher mussten Soundsysteme wie Concrete Jungle darauf warten, dass Reggaegrößen wie Sizzla, Buju Banton oder Gentleman nach Deutschland kamen, um mit ihnen Dubplates aufnehmen zu können – die ewig fortgesetzte Veränderung und Nochmal-Aufnahme von bekannten Stücken, textlich immer wieder angepasst an die unterschiedlichsten Soundsystems. Mittlerweile wird auch das zum Teil übers Netz abgewickelt: Das Soundsystem schickt seine Textwünsche zu berühmten Interpreten und bekommt den fertigen Song zurück. Gegen Bares, versteht sich.

Barney Millah will auch nach über zwanzig Jahren als DJ am Puls der Zeit bleiben. Selectors, die nur einen Stil im Repertoire haben, kann er nicht verstehen: „Das wäre so, als wäre ich 30 und würde sagen: Das Leben ist vorbei, jetzt werde ich ernst.“ Deswegen spielt er mittlerweile Roots-Reggae, Rocksteady und harten Dancehall auf ein- und derselben Party. Wie vor dreizehn Jahren, als er den ignoranten Marley-Anhängern Dancehall vorsetzte, steht für Barney Millah fest: Schubladendenken funktioniert bei dieser Musik nicht, denn „Reggae ist einfach nicht abgrenzbar“.

Barney Millah legt heute im Yaam bei „Vintage Reggae“ auf, 23 Uhr, Stralauer Platz 35