berliner szenen Nützliche Sprache

Der Selbstversorger

Seit unser Sohn sprechen kann, sparen wir eine Menge Geld. Denn nun begrüßt er alles, was er mit einem Wort benennen kann: Hunde, Katzen, Männer und Frauen, aber auch Windschutzscheiben, Türklinken oder Laubbäume. Er ist ein äußerst kontaktfreudiger kleiner Kerl. Und am liebsten begrüßt er Verkäufer und Verkäuferinnen.

„Hallo, Metzger!“, kräht er zum Beispiel in den Raum, kaum dass wir durch die Tür und an den Tresen getreten sind. Während ich die Auslage und die Angebotstafeln an der Wand studiere und überlege, ob ich Schweine- oder lieber Putenschnitzel kaufen soll, bekommt er vom Metzger ein Strahlen und eine Scheibe Mortadella in die Hand gedrückt. Beim Obst- und Gemüsehändler ist es dasselbe, nur dass es hier ein runder roter Herbstapfel, eine Birne oder eine Karotte ist. „Zu Hause essen“, sagt er zum Obst-und-Gemüse-Mann und steckt das Obst oder die Karotte in seine Hosentasche.

Er weiß, dass wir als Nächstes zum Bäcker gehen. Und beim Bäcker gibt es für ihn ein Kinderschweineohr. Jedes Mal, wenn die Verkäuferin dieses Wort ausspricht, zucke ich zwar innerlich zusammen, weil es sich doch irgendwie leicht pervers anhört. Aber da es ein Geschenk ist, lasse ich mir nichts anmerken. In die Apotheke, wo ich nur selten etwas einkaufen muss, spaziert er ganz alleine und ohne jede Scheu hinein, während ich draußen auf ihn warte. Er lacht die Apothekerin an und kommt anschließend mit einer Hand voll Traubenzuckerbonbons wieder heraus, von denen er mir stolz eins hinstreckt.

Nur in der Buchhandlung geht er weiterhin leer aus. Aber wenn ich ihm demnächst die Worte Hemingway, Baudelaire und Tolstoi beibringe, klappt das ja vielleicht auch noch. DANIEL KLAUS