Kommentar Schleswig-Holstein: Carstensens geschicktes Taktieren

Es hat sich als Fehler herausgestellt, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Carstensen zu unterschätzen. Denn nach der Wahl wird die Rechnung für die Finanzkrise präsentiert.

Nur wenige nahmen Peter Harry Carstensen seit seinem Amtsantritt ernst. Dieser behäbige Bauer aus Nordstrand schien rein zufällig als Ministerpräsident Schleswig-Holsteins zu fungieren. Doch hat es sich erneut als Fehler herausgestellt, Carstensen zu unterschätzen. Vielleicht kann er sonst nicht viel, aber das Spiel mit der Macht beherrscht er.

Weitsichtig hat Carstensen erkannt, dass es sehr nachteilig für ihn ausgehen könnte, wenn die Landtagswahl erst im nächsten Jahr stattfände. Deswegen wollte er eigentlich schon in diesem April mit der SPD brechen - aber damals fehlte noch der überzeugende Anlass. 85 Tage später hat Carstensen sein strategisches Ziel erreicht: Schleswig-Holstein wählt im September, wenn auch der Bundestag bestimmt wird.

Carstensen irrt nicht, wenn er annimmt, dass christdemokratische Ministerpräsidenten es tunlichst vermeiden sollten, in den nächsten Jahren bei Wahlen anzutreten. Denn nach der Bundestagswahl wird die Rechnung für die Finanzkrise präsentiert.

Das beginnt bei den Landesbanken: Sieben gibt es noch, vier sind schwerst angeschlagen - und alle befinden sie sich in unionsregierten Ländern. Die Lage der HSH Nordbank ist besonders desaströs. Die Bilanzsumme beträgt nur rund 200 Milliarden Euro, doch davon sind gleich 100 Milliarden in toxische Wertpapiere oder andere problematische Geschäftsfelder investiert worden. Bei der BayernLB, der WestLB oder der baden-württembergischen LBBW sieht es kaum besser aus. Nach der Bundestagswahl wird man also Bad Banks für diese maroden Landesinstitute gründen müssen. Das wird Arbeitsplätze kosten - und weitere Sanierungs-Milliarden.

Noch gravierender ist für wahlkämpfende Ministerpräsidenten allerdings, dass die Krise bald auch im Alltag fühlbar wird. Bisher erleben viele Wähler den Crash als virtuell, doch in den kommenden Monaten wird die Zahl der Erwerbslosen nach oben schießen. Viele Betriebe werden schließen, weil die Aufträge weiterhin fehlen. Wer jetzt noch Kurzarbeitergeld erhält, wird dann aufs Arbeitslosengeld I zurückgeworfen.

Diese Tristesse bietet keine erfreuliche Kulisse für Wahlkämpfe. Geschickt hat sich Carstensen vorzeitig einen bequemen Sieg gesichert - allerdings dürfte es dann unbequem werden, das krisengeplagte Schleswig-Holstein zu regieren.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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