Optimistische New Economy: Neustart in Zeiten der Krise
In Berlins Start-up-Szene hält sich die Angst vor der Krise in Grenzen. Die Branche der kleinen Internet-Firmen, die mit ihren Laptops die Cafés bevölkern, hat aus alten Crashs gelernt.
Sie haben sich dann für "Less than Ed" entschieden. Es sollte ein bisschen anders klingen. Nichts auf -oo, kein Yahoo, Mahoo, Pointoo oder Ohoo. Ihr Slogan heißt jetzt: "As easy as paper and pencil". So einfach wie Papier und Bleistift. Das steht auf Markus Pohls Visitenkarte, unter dem Namen Less than Ed. Sie sind ein Start-up in einer Zeit, die für Starts nicht gerade einfach ist. Andererseits sagen manche, dass es gar nicht schadet, sich antizyklisch zu verhalten. Was Neues aufmachen, während die Konjunktur in die Knie geht. Markus Pohl sagt, dass er rational betrachtet eine total dumme Entscheidung getroffen hat.
Er hat einen ziemlich guten Job in einer Agentur für Marketing und Branding aufgegeben - für eine Idee. Jetzt arbeitet er in seinem Büro am Zionskirchplatz an dem, was ein "Online Collaboration Tool" werden soll, eine Möglichkeit für Kreative, im Netz zusammenzuarbeiten. An einem Logo beispielsweise. Ohne Dateien hin- und dann wieder herzuschicken. Virtuelle Gruppenarbeit, sagt Pohl. Er hofft, dass die Alpha-Version bald fertig ist. Dann werden sie Investoren suchen. Neun Monate lang bekommt er einen staatlichen Gründerzuschuss. "Wenn wir kein Risikokapital kriegen, sind wir am Ende", sagt Pohl. Aber er lächelt dabei, gar nicht zynisch, eher zuversichtlich.
Er passt damit an diesem Morgen ganz gut ins Café St. Oberholz, wo an jedem dritten Freitag eine Veranstaltung namens Likemind stattfindet. Die Internet-Kreativen aus Mitte treffen sich zum Kaffeetrinken. Es sind viele Freiberufler, Programmierer, Marketingmenschen, Strategieberater. Leute, die es sich leisten können, um 9.30 Uhr erst mal ein bisschen zu smalltalken, bevor sie mit der Arbeit anfangen.
Likemind ist eine gute Gelegenheit, etwas darüber herauszufinden, wie die Krise Berlins IT-Mitte trifft. Als vor fast zehn Jahren die New-Economy-Blase geplatzt ist, hat es viele Start-ups in den Straßen, um den Rosenthaler Platz herum richtiggehend zerbröselt. Das war zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Im Jahre 2009 scheint das anders auszusehen. Zwischen 2006 und 2008 sind 128 Start-ups in Berlin gegründet worden. So viele wie in keiner anderen deutschen Stadt. Danach folgt München, mit 118 Gründungen, Platz drei belegt Frankfurt. Die "spektakulären Ausfälle", bei denen vermeintlich viel versprechende Projekte insolvent gegangen sind, seien nicht in der Hauptstadt verzeichnet worden, sagt Alexander Hüsing, der als Betreiber des Portals deutsche-startups.de regelmäßig Statistiken herausgibt. Man hat gelernt.
So richtig schlimm, sagen viele im Erdgeschoss des St. Oberholz, trifft es vor allem große Werbeagenturen, die für Autofirmen arbeiten oder für andere Großkonzerne. Die würden aber gar nicht so sehr in Berlin-Mitte sitzen, sondern eher in Düsseldorf. Die Start-up-Kultur dagegen, das beobachten auch viele, habe sich geändert. Dass es für eine gute Idee von einem Investor einfach mal ein paar Millionen Euro gibt, um zu sehen, was daraus wird, sei ohnehin längst nicht mehr der Fall. "Es wird weiterhin gegründet, wenn auch seit 2008 etwas weniger", sagt Hüsing. "Dafür sind die Konzepte durchdachter."
Die Krise, glaubt auch David Noël, wirke jetzt wie ein Filter. Nur die wirklich guten Sachen kommen durch. Noël, 30 Jahre alt, breite Baseballcap, weiß-blau-gestreiftes Hemd, hat für das Videoportal Hobnox gearbeitet und berät jetzt eine Firma, die Videowerbung vermarktet. Viele würden auf Bootstrapping setzen, sagt er. Ihren normalen Job machen, programmieren etwa, und nebenher ein eigenes Produkt entwickeln. Man hat dann etwas Konkretes in der Hand, was man verkaufen kann, nicht nur einen Einfall, für den man einen Haufen Geld verlangt. Noel sagt, dass er von der Krise nichts mitbekommt. "Es ist diesmal auch nicht unsere Krise." Damals war es eine Dotcom-Blase, die geplatzt ist. Den aktuellen Abschwung hat der Immobilienmarkt ausgelöst. Das hatte mit dem Internet höchstens indirekt zu tun.
Neben Noël am Tresen steht Gernot Poetsch, selbst Bootstrapper, wenn man so will. Er programmiert Mac-Anwendungen, fürs iPhone unter anderem. Poetsch macht nicht nur Aufträge, sondern entwickelt auch eigene Idee, die er dann verkauft. Sein wichtigstes Arbeitswerkzeug ist sein Macbook. Das sieht er gerade jetzt als Vorteil. Ein Kunststofftechniker könne sich nicht so einfach selbständig machen. "Wenn du Armaturenbretter für Opel bauen willst, brauchst du eine Armaturenbretterspritzmaschine", sagt Poetsch. "Ich brauch n Laptop." In gewisser Weise lässt sich das auch auf die Stadt übertragen. "Berlin ist immer noch günstiger, viele Sachen lassen sich hier einfacher machen", sagt Alexander Hüsing von deutscher-startups.de. Auch deshalb leidet die Start-up-Kultur der Stadt weniger. In München etwa fänden manche gar keine Praktikanten - weil das Leben dort so teuer ist.
Poetschs Kollege kommt ins St. Oberholz, Hornbrille vor den Augen, ein Longboard unterm Arm. Sie seien ein Verbund zweier unabhängiger Freelancer, sagt Poetsch. Darum herum ein Büro aufzubauen, mit einer Sekretärin womöglich, hält er für unsinnig. Er teilt sich zurzeit einen Raum mit einem der Vorzeigeprojekte der Branche. Im Postfuhramt in Mitte, über einem Club, hat die Firma Soundcloud ihr Büro. Es gibt ein paar Schreibtische, einige Computer, mittlerweile auch eine Kaffeemaschine und vor allem eine Dachterrasse, auf die nachmittags die Sonne scheint, wenn sie scheint.
Alexander Ljung blinzelt, er ist Ende zwanzig, trägt einen blauen V-Neck-Pullover, enge Jeans und Chucks. Er und sein Partner kommen aus Schweden. Sie haben für Soundcloud gerade wieder eine neue Finanzierung bekommen. Der Sänger der Nine Inch Nails hat sie empfohlen, auch kein ganz Unbekannter. In Mitte sagen fast alle, dass Soundcloud alles richtig machen, was man so richtig machen kann. Das hat auch mit der Krise zu tun, mit dem Crash von damals. Sie wollten keine Fehler wiederholen, sagt Ljung. Er hat zusammen mit seinem Kompagnon Eric Wahlforss studiert. Sie waren vor ein paar Jahren eine Weile in San Francisco, um ein Buch zu recherchieren.
Es handelte vom Vertrauen in Online-Beziehungen. Sie haben es vor allem gemacht, um die Start-up-Kultur in Kalifornien kennen zu lernen. Irgendwie kamen sie dann nach Berlin, hingen mit ihren Rechnern in einem Büro von Freunden herum, dann im St. Oberholz, bis sie die Räume im Postfuhramt fanden. Anfangs hatten sie keine Möbel, später haben sie irgendwo ein paar gefunden. Sie wohnten zwischenzeitlich mit einer Handvoll anderen Schweden in einer Zweizimmerwohnung. In dieser Zeit ist Soundcloud nicht ganz geordnet, aber zügig gewachsen.
Es ist ein Portal, für das sich vor allem Musiker und Plattenfirmen interessieren. Sie können dort Songs hochladen und gemeinsam daran arbeiten. Man sieht die Songs wie Herzfrequenzen auf einem Monitor und kann sie kommentieren, etwas an ganz bestimmte Stellen schreiben. Niemand muss mehr MP3-Dateien aufwendig von einem Mail-Account zum anderen verschicken. Ljung und Wahlforss sind in der Electro-Szene unterwegs, sie haben geahnt, dass einige mit ihrer Erfindung etwas anfangen können. Dass es so viele werden würden, wussten sie nicht. Die Nutzerzahl ist längst auf über 100.000 gestiegen. Sie verlangen für bestimmte Dienste Geld. Es läuft mehr als ordentlich. Berlin scheint ihnen immer noch die richtige Stadt. Die Leute kommen aus aller Welt, um Start-ups zu gründen, sagt eine amerikanische Technik-Journalistin, die dazu recherchiert hat. "Berlin ist eine gute Stadt für Geeks", würden die sagen. Für Menschen, die große Brillen tragen und mit dicken Kopfhörern an Macbooks Programmcodes zusammentippen.
Sie hätten einfach angefangen, sagt Ljung. Viele andere würden den Fehler machen und sich in Vorvorbereitungen verzetteln. Stattdessen wollten die Soundcloud-Gründer so bald wie möglich eine Seite vorweisen können. "Wir haben superschnell was zusammenprogrammiert", sagt Ljung, "weil wir das gemeinsam mit den Nutzern entwickeln wollten." Sie haben von Anfang an auf die Reaktionen der Leute reagiert, versucht Wünsche umzusetzen, Anregungen aufzunehmen. Andere würden stattdessen viel zu lange alleine vor sich hin entwickeln, sagt Ljung, um dann irgendwann das Ergebnis zu präsentieren, das sie für perfekt halten - mit dem andere aber manchmal gar nichts anfangen können. Sie wollten auch nicht um jeden Preis wachsen, wie manche sozialen Netzwerke, deren Geschäftsmodell auf immer mehr neuen Nutzern basiert, mit denen sich dann irgendwann vielleicht etwas machen lässt.
Ljung und Wahlforss sind mit Soundcloud im Oktober 2008 richtig gestartet, mitten in die Krise hinein. Vorher hatten nur eingeladene Nutzer mitgemacht. Es war ein guter Start. Aber sie hätten aus Angst vor der Krise auch unglaublich viel schneller gearbeitet, sagt Ljung. Tag und Nacht. Er hat in dieser Zeit oft müde Menschen getroffen. Sie wollten ihre Start-up-Projekte alle so weit wie möglich vorantreiben, um irgendwie noch an Risikokapital zu kommen. "Das ist im Augenblick ungeheuer schwierig", sagt Ljung. "Natürlich werden einige eingehen." Er kennt auch welche, die umstrukturieren mussten, Abstriche machen. Die Krise, stellt er fest, hat eine Vermehrung der Pro-Accounts bewirkt. Auf einmal versuchen doch viele, für bestimmte Services Geld zu nehmen.
Beim Likemind-Treffen im St. Oberholz halten auch das einige für eine heilsame Entwicklung. Wenn Leute tatsächlich für Dienste bezahlen, zeige das schließlich, dass sie gebraucht werden. Wie bei Soundcloud. Über die Erfolgsstory schütteln sie dann die Köpfe, erstaunt und fasziniert. Es ist ein Beispiel, das Hoffnung macht, auch Markus Pohl und Less than Ed. Im Grunde sagt Pohl, gelte nach wie vor, was einem der Papa früher gesagt habe: Wenn du wirklich gut bist und willst, dann wird das schon. In der IT-Mitte wie auch überall sonst.
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