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„Die politischen Eliten sind so strohdumm, dass man es nicht für möglich hält“

DER SCHIMPFER Thomas Wieczorek schreibt über Politiker und Wirtschaftselite. In seinen Büchern wirft er ihnen Stümperhaftigkeit, Dilettantismus, Unfähigkeit, Einfallslosigkeit, Inkompetenz und Unvermögen vor. Der gebürtige Neuköllner trifft mit seinen Tiraden den Nerv der Leser und Leserinnen: Das Taschenbuch „Die verblödete Republik“ steht seit Wochen auf der „Spiegel“-Bestsellerliste

Thomas Wieczorek

Der 1953 geborene Neuköllner hat schon einiges versucht: Er war Maoist und studierte Volkswirtschaft an der Freien Universität. Nach einem Volontariat bei der Nachrichtenagentur dpa wurde er dort Politredakteur und Chef vom Dienst. Bevor er sich in den 80er-Jahren als Chefreporter bei Bild verdingte, leitete er das Baden-Württemberg-Büro der Nachrichtenagentur Reuters. 22 Jahre SPD-Mitglied war er auch.

■ Nach der Bild-Karriere begann er, Bücher zu schreiben über Politiker und anderer Macher und Macherinnen. Die Buchtitel geben den Ton vor. Sie heißen: „Die Stümper“, „Die DAX-Ritter“, „Schwarzbuch Beamte“, „Die Dilettanten“, „Die verblödete Republik“. 50-jährig promovierte er bei Peter Grottian an der FU zum Thema: „Die Normalität der politischen Korruption“.

■ Sein Buch „Die verblödete Republik“ steht derzeit auf Platz 3 der Bestsellerliste der Taschenbücher beim Spiegel.

INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB FOTOS WOLFGANG BORRS

taz: Herr Wieczorek, sind Sie ein Misanthrop, ein Menschenfeind?

Thomas Wieczorek: Nein, ich bin ein Berufsoptimist.

Ihre Bücher haben Titel wie: „Die Stümper“, „Die Dilettanten“, „Die verblödete Republik“. Das klingt nicht optimistisch.

Die menschliche Entwicklung hat bekanntermaßen auf den Bäumen angefangen, und irgendwann ist einer aus Neugier runtergestiegen. Das ist jetzt die Kurzfassung des Darwinismus. Darwinismus heißt nicht, dass sich der Stärkere durchsetzt, sondern der, der sich am besten behaupten kann. Mitunter behauptet sich der Klügere.

Bezogen auf die Politiker, Banker, Beamte, an denen Sie in Ihren Büchern kein gutes Haar lassen, heißt das jetzt was?

Dass es mir durch Klugheit gelingen soll, diese Leute aus dem Verkehr zu ziehen. Oder besser: durch Offenlegung ihrer Dummheit.

Das dürfte schwierig werden, da die schiere Zahl der Leute, die Sie aus dem Verkehr ziehen wollen, erheblich ist.

Es gab schon immer gigantische Aufgaben. Gerade weil ich die Menschen liebe, möchte ich die Idioten aus dem Verkehr ziehen.

Ihr neuestes Buch heißt „Die Dilettanten“, da rechnen Sie mit Politikern aller Parteien ab. Wer ist aus Ihrer Sicht denn der dilettantischste?

Das ist so eine Rankingfrage. Trotzdem, ich sage Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Der ist nicht in der Lage, ohne fremde Hilfe einen einzigen Satz zu formulieren. Sein Staatssekretär Jörg Assmussen flüstert ihm alles ein. Aber wie gesagt, was heißt der dilettantischste?!

Sie schreiben, dass Steinbrück zum einen noch nie eine Wahl gewonnen hat und zum anderen als Finanzminister Unsummen Geld in den Sand setzt. Da steht dann: „Nach 38 Jahren in NRW die SPD-Herrschaft an die CDU verloren zu haben ist für Steinbrück die ideale Qualifikation als Nachfolger seines hessischen Landtagswahlverliererkollegen Hans Eichel, und wie er geriert er sich als ‚brutalstmöglicher Sparer‘ ( Welt ).“ Was bewirkt diese Häme?

Was soll ich anderes schreiben über einen, der den Banken Geld hinterherwirft, die Hedgefonds zu einem Segen für unsere Volkswirtschaft erklärt, die Sozialpolitik aber für überflüssig hält?

Was für ein Bild der führenden Elite haben Sie?

Es ist schwierig, Elite zu personifizieren. Wenn diese Leute erst einmal in einem System drin sind, dann haben sie relativ wenig eigene Entscheidungsmöglichkeit. Es sei denn, sie sind so ein Typ wie Obama. In der Regel arbeiten die Politiker aber für das System, und zwar auf eine Art, wie andere für Lidl jobben.

Sie meinen, die tauchen morgens auf, tun, was ihnen aufgetragen, und wollen am Monatsende ihr Geld aufs Konto?

Ja, und wie bei Lidl müssen sie genau wissen: Was darf ich sagen, um keinen Ärger zu kriegen. Das Hauptproblem ist, dass das meiste Geld bei uns verdient wird durch leistungsloses Einkommen. Die, die die Kohle abgreifen, die arbeiten gar nicht.

Und Ihre Gesamtthese ist: Die führenden Eliten leisten nichts und werden trotzdem bezahlt?

Innerhalb ihres Systems erfüllen sie ihre Pflicht. Die Frage ist, ob das System ein richtiges ist. Ich würde jetzt nicht sagen, alle Politiker sind komplette Vollidioten.

Dann gehen Ihre Bücher aber in die falsche Richtung. Kein führender Politiker und Manager kommt darin gut weg.

Also wenn ein Ackermann, ein Zumwinkel mit einem Reinhold Messner Überlebenstraining machen – was, bitteschön, wollen Sie davon halten?

Was halten Sie davon, wenn der Deutsche-Bank-Chef und der Ex-Post-Chef mit dem bekanntesten Bergsteiger trainieren?

Dass das raffgierige Dumpfbacken sind. Und dass es nicht reicht, wenn die mir jetzt erklären wollen, um was es bei der jetzigen Krise überhaupt geht.

Um was es geht?

Jetzt kommt meine Großkotzigkeitsphase: Dem Wesen nach ist das eine Überproduktionskrise. Die ganzen Firmen sind technisch top aufgestellt, ob Pharma-, Auto- oder Metallindustrie. Eigentlich könnten die sofort liefern. Nur können nicht genug Leute kaufen, was produziert wird. In den USA hat man die Überproduktionskrise versucht zu überlisten, indem man den Leuten auf Kreditkarte weiter Geld gegeben hat. So hat die Nachfrage trotzdem bestanden, bis dieses Spiel geplatzt ist. Hätten die gesagt, wir erlassen den Kreditkartenschuldnern ihre Schulden, hätte es diese Krise gar nicht gegeben. Nur: Den kleinen Leuten die Schulden erlassen ist natürlich nicht das Wesen des Kapitalismus. Das wäre ja eine total andere Gesellschaft, wenn jemand sagen würde, ihr müsst es nicht bezahlen, ihr könnt es aber trotzdem behalten.

Wollen Sie in Ihren Büchern zeigen, dass deutsche Politiker bei den verflochtenen internationalen und ökonomischen Sachverhalten, über die sie entscheiden, gar nicht durchblicken?

Im neuen Buch beziehe ich mich auf die politischen Eliten. Die sind strohdumm in einem Ausmaß, dass man es nicht für möglich hält.

Ihre Ausführungen zum Regierenden Bürgermeister von Berlin klingen nicht so, als wäre er strohdumm. Da steht: „Wowereit hat es als erster und weit und breit einziger Spitzenpolitiker geschafft, zunächst die Berliner PDS, dann die Berliner Partei Die Linke als gewöhnlichen und folglich neoliberal stark angehauchten Karrieristenverein zu entzaubern.“ Können Dumme entzaubern?

Dass Dumme durchaus auch Demagogie betreiben können, sieht man am einstigen US-Präsident George W. Bush.

Wie recherchieren Sie?

Es steht unheimlich viel im Internet. Hört sich blöd an, aber man muss nur wissen, wie man dran kommt.

Sie finden dort viele Details und viele Meinungen anderer, mit denen Sie Ihre Verrisse stützen. Aber was erreichen Sie mit Ihren Tiraden?

Normalerweise erreicht man damit nur, dass man Geld verdient.

Und was wollen Sie mit Ihren Tiraden bewirken?

Ich möchte meine Meinung unter die Leute bringen. Ich weiß aber, dass man damit die Gesellschaft nicht verändert.

Bücher, in denen nur eine Tirade auf die nächste kommt, sind langweilig.

Ich bin nicht sauer, wenn Sie das sagen. Ich genieße Ihre Frechheit. Aber wir wollen mal festhalten: Ich hacke nicht auf den Leuten rum, sondern nur auf bestimmten Personen.

Allerdings so, dass der Eindruck entsteht, wenn Sie einmal angefangen haben zu schimpfen, hören sie nicht mehr auf.

Da könnte was Wahres dran sein.

Warum glauben Sie, landete das Buch „Die verblödete Republik“ trotzdem auf der Bestsellerliste des Spiegel?

Mittlerweile liegt die gedruckte Auflage bei 120.000 Exemplaren. Der Verlag weiß selbst nicht, wie das kommt.

Sie haben offenbar den Nerv getroffen. Im Buch geht es darum, wie Schule und Hochschule, die Medien und die dazu passende Politik zur Verdummung der Bevölkerung beitragen.

Ja. Ein Kapitel, auf das ich stolz bin: Ich habe einen Briefwechsel ausgegraben zwischen den Verfassern der Verfassung der Vereinigten Staaten. Darin geht es um die Frage, wie man verhindern kann, dass die Armen an die Macht kommen. Die Antwort der Verfasser: Brot und Spiele. Man muss dafür sorgen, dass die Armen dumm bleiben. Menschen sind die Opfer ihrer Verhältnisse. Wenn sie in einer bestimmten Mühle drin sind, können sie sich gar nicht anders verhalten.

Sind Sie eine Kassandra? Sagen Sie Wahrheiten, aus denen niemand die Konsequenzen zieht?

Ich war früher Maoist. Das heißt aber nicht, dass niemand mir zugehört hat. Nein, im Ernst, ich bin in Neukölln geboren. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere: Ich war auf dem katholischen Canisius-Kolleg, einer Eliteschule. Dort war ich mit der katholischen Soziallehre konfrontiert und mit einer Institution, die eine autoritäre Grundstruktur hat. Da merkt man als Jugendlicher schnell, dass was nicht stimmt. Das Ergebnis: Von 14 Abiturienten in meiner Klasse waren am Ende 11 Maoisten. Das ist doch eine reife Leistung.

Haben Sie dabei nicht nur eine autoritäre Grundstruktur mit einer anderen getauscht?

Da könnten Sie recht haben. Aber ein Satz aus dem Neuen Testament wie: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt, der hat bei uns eben gesessen.

Ist es eigentlich leicht, Führungsfiguren zu kritisieren?

Es ist leicht, zu jemandem zu sagen, du bist ein Idiot. Das kann jeder. Ehe ich einen Steinbrück, Wowereit, Koch oder eine Künast kritisiere, gucke ich mir die Personen sehr genau an. Was haben sie getan, was unterlassen. Ich hoffe, das kommt rüber.

Sie liefern jedenfalls viele Details. Das macht die Bücher als Nachschlagewerke brauchbar.

Das ist ja wenigstens was. Und es wäre ein Gewinn, wenn sich Leute, die im Fernsehen einen Politiker sehen, der ein 15-Sekunden-Statement abgibt, meine Bücher nähmen und mal nachschlagen würden, wer da gerade was sagt.

Werden Sie eigentlich mit Unterlassungsklagen überzogen?

Nein, ich checke, was ich schreibe, mit einem Anwalt, den ich noch aus der Zeit als Reporter bei der Bild-Zeitung kenne.

Sie waren bei der Bild?

Ich wollte mir das mal live anschauen, kurz nachdem Günter Wallraff für sein Buch „Die Aufmacher“ undercover bei der Bild gearbeitet hat. Ich habe diese Typen, die Wallraff beschrieben hat, übrigens ganz anders erlebt. Dieser Schindlbeck etwa. Wallraffs Charakterisierung: listige Augen, Blitzschach, Blitzkrieg. Ich hab ihn als liebenswürdigen Österreicher kennengelernt.

Worüber haben Sie bei Bild berichtet als ehemaliger Maoist?

„Gerade weil ich die Menschen liebe, möchte ich die Idioten aus dem Verkehr ziehen“

Ich könnte sagen, ich war der Erste, der für Bild ein Interview mit den Grünen gemacht hat.

Welche Schweinereien haben Sie gemacht?

Keine. Ich habe immer das Gegenteil gesucht. Wenn damals so Serien gemacht wurden wie „Deutschlands dümmste Hausfrau“, habe ich stattdessen „Deutschlands klügste Hausfrau“ vorgestellt. Das war genauso erfunden, aber es war zum Positiven eines Menschen gelogen.

Gibt es Politiker, die Sie positiv finden?

Ich kann Ihnen zwei nennen, die ich glaubwürdig finde: der eine ist Uwe Schummer, ein Bundestagshinterbänkler der CDU. Der legt im Internet fast täglich Rechenschaft darüber ab, was er auf Kosten des Steuerzahler so macht. Das finde ich einen guten Ansatz. Und sowieso Heiner Geißler, Exgeneralsekretär der CDU. Ich bin ein Geißler-Fan.

Haben Sie schon mal überlegt, ein Buch über die Könner zu schreiben?

Eine geile Idee, aber das wird viel schwieriger.

Schwieriger, als zu schimpfen?

Sie drängen mich in die Ecke des Schimpfers, was natürlich auch stimmt.

Ist jeder, der viel schimpft, vom Wesen her selbst eine tragische Figur?

Zyniker sind enttäuschte Romantiker.

Ihr Geschimpfe wirkt auf eine charmante Art sehr berlinerisch. Gehört Schimpfen zur Berliner Kultur?

Neukölln und Canisius-Kolleg, das war die ideale Kombination fürs Zynische. Außerdem war ich bei Tasmania 1900, dem schlechtesten aller Bundesligavereine.

Waren Sie wenigstens ein guter Spieler?

Für einmal Olympiastadion hat es gereicht.

Noch mal: Schimpfen Sie, weil Sie ein Berliner sind?

Meine Eltern kommen aus Oberschlesien. Das Schimpfen habe ich mir selbst beigebracht.

Ist es Katharsis für die Berliner?

Sie wissen doch: Das schönste Kompliment, das ein Berliner machen kann, heißt: „Da kann man nicht meckern.“

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