Streit um uraltes Vereinslied: Fatwa auf Schalke
Das Vereinslied von Schalke 04 sorgt derzeit unter Muslimen in Deutschland für Verärgerung. Der Grund: Prophet Mohammed soll vom Fußballspielen nichts verstehen.
BERLIN taz | Seit 1963 wird vor jedem Heimspiel das Vereinslied des Gelsenkirchener Traditionsklubs Schalke 04 inbrünstig von den zehntausenden Fans gesungen. Bisher ohne Probleme.
Aber im Sommerloch hat die türkische Presse jetzt eine scheinbare Verhöhnung des muslimischen Propheten ausgegraben. In der dritten Strophe des 1924 getexteten Vereinsliedes "Blau und Weiß, wie lieb ich dich" heißt es in dem 1959 hinzugefügten Vers: "Mohammed war ein Prophet / der vom Fußballspielen nichts versteht. / Doch aus all der schönen Farbenpracht / hat er sich das Blau und Weiße ausgedacht." So weit, so gut - so fatal?
Die jetzigen Reaktionen sind so überraschend wie ein Kommentar der FAZ zur Migrationsdebatte. Bornierte Ideologen stürzen sich auf diese Beute, unterzuckert und ausgehungert. "Ihr verdammten Hurensöhne werdet euer beschissenes Lied sofort ändern! Was hat unser Prophet mit eurem ungläubigen Lied zu tun? Löscht diesen Teil oder ihr müsst die Konsequenzen tragen!" Über 120 solcher Mails sind bisher bei Schalke eingegangen, Morddrohungen sind keine dabei.
Aber wieso kommen die Proteste erst jetzt, so viele Jahre später? "Inzwischen haben sich Muslime in Deutschland ja an so manche Beleidigung und selbst Hetze auf Hofberichterstatterniveau wie auch von Politikern gewöhnt. Dass aber auch ein Bundesligaverein, der viele muslimische Fans haben dürfte, in diese Beleidigungsorgie einsteigen muss, ist traurig", schrieb Yavuz Özoguz im Juli auf muslim-markt.de.
Er ist einer der Gründer der umstrittenen und sehr beliebten Homepage. "Über das Portal wird - direkt oder indirekt - antizionistische und antiisraelische Propaganda verbreitet." So ist es im Verfassungsschutzbericht 2005 zu lesen. Auf dem Portal befindet sich eine vorformulierte E-Mail, die an den Fußballclub geschickt werden kann, und das Internet verschickt ja die banalste Nachricht voller Rasanz.
Salim Abdullah, Leiter des Zentralinstituts Islam-Archiv in Soest und selber Muslim, versteht die Aufregung nicht. "In muslimischen Ländern wären solche Proteste nicht möglich" kritisiert er. Abdullah, selbst Schalke-Fan "von Kopf bis Fuß, mit Schalke-Waschlappen und -Badelatschen", findet das Vereinslied großartig. "Die brüllen doch das, woran ich glaube - dass Mohammed ein Prophet war." Dass der laut Strophe keine Ahnung von Fußball hatte, ist für Abdullah eine historische Tatsache. "Damals gab es ja noch keinen Fußball", sagt er und fordert zu mehr Humor auf.
Jochen Hippler, Politikwissenschaftler am Institut für Entwicklung und Frieden an der Universität Duisburg-Essen, findet den Vers fragwürdig, "weil es sehr schlecht gereimt ist und das Versmaß nicht stimmt". Er warnt, die Debatte als Sommertheater zu unterschätzen.
"Die Zeile mag bedeutungslos sein, sagt Hippler der taz, "doch was wäre, wenn es in Gelsenkirchen gleichzeitig Übergriffe auf muslimische Mitbürger geben würde und die türkische Presse beide Vorgänge in Verbindung setzt?" Zuletzt habe der Fall Marwa gezeigt, wie verletzlich die Beziehungen zwischen der Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft seien. Er habe aber noch keinen Muslim erlebt, der sich über das Lied ärgere, im Gegenteil.
Eine vermeintliche oder tatsächliche Bedrohung will der Verein nicht kommentieren. Nur so viel: Man habe nun einen Islamwissenschaftler beauftragt, den Sachverhalt zu untersuchen. Bis dahin kann weiter gesungen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein