Neuer Gangsterfilm "Public Enemies": Der Staatsfeind als Volksheld
Michael Mann setzt dem Bankräuber und Medienstar John Dillinger mit "Public Enemies" ein digitales Denkmal. Johnny Depp mimt den ruhigen und eleganten Celebrity-Kriminellen.
Wir sind es längst gewohnt, über das Freizeitverhalten der Stars aus Sport und Showgeschäft genauso umfassend informiert zu sein wie über den Stand ihrer Karrieren. Publikum und Promi führen eine parasitäre Koexistenz: Der gesteigerte Informationsbedarf der Öffentlichkeit geht einher mit einem ungebremsten Zwang zur Selbstdarstellung. Sichtbarkeit ist für den Star eine Frage des Marktwerts.
Die Öffentlichkeit hingegen erfindet immer neue, schnellere Überwachungs- und Einverleibungsmechanismen zur Befriedigung ihrer Promi-Obsession: Mithilfe von Blogs, YouTube und Twitter ist die Gleichzeitigkeit von Ereignis und Nachricht, unabhängig vom Informationswert, gewährleistet.
Da ist es nur konsequent, dass Michael Mann sein Gangsterepos "Public Enemies" über Amerikas ersten Celebrity-Kriminellen John Dillinger mit hochauflösenden Digitalkameras gedreht hat. Mann gehörte in Hollywood zu den frühen Anhängern digitaler Technik. Mit "Collateral" und "Miami Vice" hat der Technokrat unter den Großstadtfilmern die Neonästhetik seiner Achtzigerjahre-Arbeiten bruchlos in eine Tonalität fein ausdifferenzierter Finsternis überführt. Manns Nacht besaß einen Detailreichtum, wie man ihn im Kino bis dato nicht gesehen hatte.
In "Public Enemies" ist von dieser Pracht wenig geblieben. Das Auge braucht eine Weile, bis es sich an die saturierten Farben gewöhnt hat, die zu den Rändern hin so hässlich ausbrennen, wie man es von alten Videoaufnahmen kennt. Die Bilder von "Public Enemies" allerdings sind gestochen scharf. So scharf sogar, dass sich bei manchen Nahaufnahmen der Blick unwillkürlich auf die hypernaturalistisch ausgeleuchteten Hautporen Johnny Depps richtet, die den Einstellungen eine fast abstrakte Nuance verleihen.
Mann ist in den vergangenen Jahren für den Look seiner digital gedrehten Filme oft gelobt worden. Das analoge 35-mm-Filmbild mit seiner körnigen Ästhetik und seinem hohen Kontrastumfang, der eine natürliche Räumlichkeit des Bildes herstellt, galt in der Entwicklung von digitalen Filmkameras stets als Referenzgröße. Umso erstaunlicher, dass der Regisseur heute, zu einem Zeitpunkt, wo mit der Red-One-Kamera oder Panasonics Genesis die Illusion des warmen Analogfilmbildes endlich auch digital zufriedenstellend gelöst ist, das Interesse an der filmischen Qualität seiner Bilder verliert.
"Public Enemies" strahlt nicht mehr die markante gravitätische Ruhe aus, die auch bei schnellen Schnitten noch die räumliche und zeitliche Einheit seiner Einstellungen wahrte. Die Bilder wirken flüchtig, manchmal auch hektisch, als versuche ein Paparazzo, der Gangsterlegende John Dillinger habhaft zu werden.
John Dillinger wurde bereits als Medienstar gefeiert, als die Menschen noch auf Nachrichten aus dem Kino oder dem Radio angewiesen waren. Dass er zunächst in den dünn besiedelten Regionen des amerikanischen Mittelwestens sein Unwesen trieb, tat seiner wachsenden Popularität keinen Abbruch. Während der Großen Depression hatten Tausende von Farmern ihren Besitz an die Banken verloren; John Dillinger wurde ihr Volksheld.
Ein Bankräuber zwar, aber einer, der sich das Geld von den Reichen nahm - und es manchmal sogar an die Mittellosen zurückgab. Der den Mumm besaß, es mit der verhassten Obrigkeit aufzunehmen. Diese Form der Sozialromantik ist uns heute, trotz aktueller Finanzkrise, nahezu fremd. Für die Legendenbildung um Dillinger war sie jedoch konstitutiv.
Ernst zu nehmende Gegner hatte er nicht zu fürchten. Das FBI bestand in den frühen Dreißigerjahren aus einem losen Netzwerk von lokalen Büros: eine Behörde ohne wirkliche Befugnisse. Weil es keine föderale Gesetzgebung gab, konnten Dillinger und seine Gang der Polizei durch Flucht in einen benachbarten Bundesstaat entkommen. Zwei Gefängnisausbrüche, einer davon mithilfe eines Holzrevolvers, sicherten Dillinger schließlich Legendenstatus.
1934 erklärte ihn das FBI zum ersten amerikanischen Staatsfeind. Seine eigentliche Karriere freilich währte gerade 14 Monate und damit nur unwesentlich länger als die Popularität eines x-beliebigen Talentshow-Siegers oder Containerbewohners. Am 22. Juli 1934 wurde Dillinger in Chicago nach einem Kinobesuch vom FBI erschossen.
"Public Enemies" ist, abgesehen vom "Letzten Mohikaner", Manns erster historischer Film, doch es besteht von Beginn an kein Zweifel daran, dass Zeitkolorit für ihn eine rein technische Kategorie darstellt. Etwas, was logistisch mit größter Akkuratesse rekonstruiert werden muss, ohne die nostalgische Patina der Depressionsjahre zu reproduzieren.
Tatsächlich sieht "Public Enemy" aus wie kein Gangsterfilm zuvor. Allerdings sah John Dillinger auch noch nie so gut aus wie bei Mann. Johnny Depp verkörpert ihn mit einer Ruhe und Eleganz (seine Geschmeidigkeit brachte dem echten Dillinger den Spitznamen "The Jackrabbit" ein), wie es seinen Vorgängern Lawrence Tierney und Warren Oates, von der Erscheinung her eher knorrige Gangster-Archetypen, nie möglich gewesen wäre.
Depps Dillinger ist ein Dandy und Charmeur, der sich unter das einfache Landvolk genauso unauffällig mischt wie in High-Society-Kreise. Zwei Szenen in "Public Enemies" spielen ironisch mit dieser öffentlichen Person Dillingers. Einmal sitzt Depp in einem vollbesetzten Kino, als während einer Wochenschau sein Konterfei groß auf der Leinwand erscheint. Eine Stimme bittet jeden Zuschauer, sich seine Sitznachbarn links und rechts genau anzusehen.
Doch niemand im Saal erkennt ihn. Am Ende dann spaziert Depp von der Straße in das Chicago-Hauptquartier des FBI, wo er seelenruhig durch die Büroräume der "John Dillinger Spezialeinheit" wandert. Sein Blick streift alte Fotos an den Wänden: Bilder von gefallenen Mitstreitern, von Überfällen und getöteten Polizisten. Eine Vorahnung seines eigenen Todes. Die FBIler, die gerade mit einem Baseballspiel im Radio beschäftigt sind, erkennen ihn nicht. Die Phantombilder und Zeichnungen des Staatsfeinds Nummer eins waren nie in Deckung zu bringen mit dem Dandy Dillinger. Diese Diskrepanz versucht Mann mit "Public Enemies" aufzulösen.
Depps Charisma ist der Schlüssel zu diesem John Dillinger, wie Mann ihn sich ausmalt. "Public Enemies" widmet der Mechanik der Banküberfälle, deren Vorbereitung und den Rückzugsgefechten der Gangster viel Aufmerksamkeit. Darin wird auch Dillinger zu einem für den Regisseur so typischen Zwangscharakter: ein Profi durch und durch, prinzipienfest, effizient. Doch genauso fasziniert Mann der Mensch hinter dem Staatsfeind; und hier beginnt "Public Enemies" an Konzentration zu verlieren.
Dillingers romantische Beziehung zu Billie Frechette (Marion Cotillard) nimmt in der Geschichte viel Platz ein, ohne dass die Figuren an Tiefe gewinnen. Mann ist immer dann in seinem Element, wenn er Männer unter sich porträtiert. Frauenfiguren gehören nicht zu seinen Stärken - es sei denn, sie verfügen über männlich definierte Qualitäten.
"Public Enemies" ist dann auch zu sehr dem Glamour Dillingers verhaftet, als dass er der historischen Tragweite der Geschichte gerecht werden könnte. In seinem Buch "Public Enemies: Americas Greatest Crime Wave and the Birth of the FBI, 1933-34", auf dem Manns Film basiert, beschreibt Bryan Burrough, wie die kurze Ära der Staatsfeinde (Dillinger, Bonnie und Clyde, Baby Face Nelson, Ma Baker, Alvin Karpis) zu einer Umstrukturierung des FBI und zum Aufstieg von J. Edgar Hoover führte. Billy Crudup in der Rolle Hoovers und Christian Bale als Dillingers Nemesis Melvin Purvis (die Inspiration für die Comicfigur Dick Tracy) verkörpern diese neue Staatsgewalt mit der Verve der späteren Babyboomer. Junge, schneidige Männer, die ihren Job auch als Öffentlichkeitsarbeit verstehen. Hoovers Rücksichtslosigkeit traf dabei durchaus den Nerv der Zeit.
Doch vom Ausbau der FBI-Strukturen erzählt "Public Enemies" eher am Rande. Den selbstverliebten Hoover (Crudup in einer Paraderolle) stört vielmehr, dass Dillinger die ganze mediale Aufmerksamkeit zuteil wird.
Am Ende ist auch Mann nicht vor der Mythisierung Dillingers gefeit. Das ironische Spiel mit dessen Star-Image hat in Hollywood bereits eine gewisse Tradition. In John Milius Dillinger-Verfilmung gibt es den Running Gag, dass Warren Oates immer wieder mit Douglas Fairbanks verglichen wird. Mann kapriziert sich nun darauf, dass Dillinger Berichten zufolge vor seinem Tod "Manhattan Melodrama", einen Film um zwei alte Freunde auf unterschiedlichen Seiten des Gesetzes, gesehen haben soll. Die Rolle des Gangsters spielte Clark Gable.
In den letzten Szenen im Kino kulminiert, was Mann mit "Public Enemies" die ganze Zeit versucht hat: die Überidentifikation von Mensch (in diesem Fall Dillinger) und Star (Gable) in einer eloquenten Parallelmontage von Dillingers Leben und Hollywooddrama, während auf der Leinwand Gable zum elektrischen Stuhl geführt wird. Sein letzter Satz hätte auch von Dillinger stammen können: "Wenn ich nicht so leben kann, wie ich will, dann lasst mich wenigstens sterben, wann ich will."
"Public Enemies". Regie: Michael Mann. Mit Johnny Depp, Christian Bale u.a. USA 2009, 140 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!