Chemiereförmchen verabschiedet

Die europäischen Parlamentarier stimmen dem umstrittenen Chemikalienpaket Reach zu. Allerdings hat sich die Industrie mit ihren Bedenken durchgesetzt. Sie muss lediglich besonders giftige Stoffe ersetzen. Und Importeure sind ohnehin fein raus

aus Brüssel D. WEINGÄRTNER

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge blickten viele Europaparlamentarier in Straßburg gestern auf das Ergebnis der fast dreistündigen Abstimmung über die europäische Chemikaliengesetzgebung Reach. Das Regelwerk, das die Überprüfung von tausenden von Chemikalien auf ihre Verträglichkeit vorsieht, ist endlich auf dem Weg – allerdings in einer gegenüber den ursprünglichen Vorschlägen stark abgeschwächten Form. Nun müssen noch die Minister der EU-Länder zustimmen.

Der den Chemieherstellern verbundene konservative Abgeordnete Hartmut Nassauer beurteilte das Ergenis so: Die Vorschriften für die Registrierung seien „akzeptabel“. Diese waren im Laufe der Verhandlungen stark zusammengestrichen worden. Und die Regeln für die Zulassung gefährlicher Stoffe sind aus Nassauers Sicht „streng“. Doch die werde „der Rat ohnehin wieder kippen“.

Bei der Zulassung hatte das von den Grünen eingebrachte Paket eine knappe Mehrheit erhalten. Danach müssen Stoffe, die nach der Registrierung als gefährlich eingestuft werden, alle fünf Jahre bei einer neu zu gründenden Chemieagentur vorgelegt werden. Gibt es bis dahin einen Ersatzstoff, dürfen sie nicht mehr verwendet werden. Diese Regelung soll den Innovationsdruck erhöhen, gilt aber absurderweise nicht für Importe. Importeure müssen nur sehr gefährliche Stoffe für den Verbraucher kenntlich machen, müssen aber keine Ersatzstoffe entwickeln. Dadurch ist der Standortnachteil für europäische Hersteller entstanden, der vermieden werden sollte.

Der sozialistische Berichterstatter Guido Sacconi war erleichtert, „dass ich dieses Kapitel meines Lebens nun abschließen kann“. In den vergangenen Wochen sei er in die Rolle des Buhmanns gedrängt worden. Die Grünen hatten ihm übel genommen, dass er in letzter Minute bei der Frage der Registrierung eine große Koalition mit den Konservativen geschlossen hatte.

So stimmte gestern eine große Mehrheit dafür, die Gruppe von Substanzen, die registriert werden müssen, stark einzuschränken. Auch müssen erheblich weniger Daten erhoben werden, als im ursprünglichen Entwurf der Kommission geplant. In vielen Fällen hat die Industrie nun elf Jahre Zeit, Informationen bei der neuen Chemieagentur einzureichen, die sie heute schon in der Schublade hat. Die deutschen Grünen und die Sozialdemokraten aus den Nordländern warfen Sacconi vor, er habe sich damit den Wünschen der neuen Regierung in Berlin gebeugt.

Der Italiener scheint sich über das Ergebnis selbst nicht ganz klar zu sein. Auf die Frage, warum er keine strengere Chemiekontrolle bevorzugt hätte, um beispielsweise genauer zu erfahren, welche Nebenwirkungen Medikamente haben könnten, antwortete er stolz: Er lebe in der Toskana und kuriere sich mit pflanzlichen Heilmitteln. Deshalb sei sein Blut mit Sicherheit weniger belastet als das seiner Kollegen. In einer großen freiwilligen Testreihe hatte der Umweltverband WWF bei Abgeordneten PCB, Flammhemmer und Weichmacher gefunden – die stammten aber wohl weniger aus Medikamenten als vielmehr von Alltagsgegenständen wie Spielzeug oder Textilien.

Umweltkommissar Stavros Dimas wollte gestern nicht sagen, ob die Kommission das Kompromisspaket übernimmt. Er wollte sich wohl zunächst Anweisungen bei seinem mächtigen Kollegen, Industriekommissar Günter Verheugen, holen. Der Kommission kommt in den Verhandlungen mit dem Rat eine Schlüsselrolle zu. Schließt sie sich der Position des Parlaments an, kann der Rat das Paket nur einstimmig wieder kippen.