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Politik 2.0 - Parteien im NetzUnion auf Missio-hon

Böse Menschen haben keine Lieder. Fade Parteimitglieder aber haben jede Menge. Leider, denn sie sind grausig anzusehen.

"...für Freiheit und Gerechtigkeit" im schlimmsten Münchener Freiheit-Sound - Danke, JU. Bild: screenshot youtube

Jede Woche gewinnen die Piraten die Wahl neu. Zumindest auf der Wahlkampf-Statistik-Seite wahl.de: Die Piratenpartei ist in allen Wertungen vorn. Sie streut im Wahlkampf mehr Nachrichten ins Netz als jede andere Partei - und hat auch die meisten Leser. Bei der Sonntagsfrage von StudiVZ kratzen die Piraten sogar an der absoluten Mehrheit.

Die etablierten Parteien reagieren darauf zunehmend paralysiert. Entmutigt bis frustriert wirken ihre Onlinewahlkampfaktivitäten inzwischen, scheint ja alles doch keinen Sinn zu haben. Mit letzter Kraft launcht die SPD schwarz-gelb-watchblog.de - ein Blog, in dem die Ängste vor einer Union-FDP-Koalition geschürt werden, damit sich einige Wähler doch für das kleinere rote Übel entscheiden.

Und die Union macht in dieser Woche einmal mehr mit einem besonders peinlichen Youtube-Video auf sich aufmerksam: Dietrich Rudoff, stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Union Berlin, hat eine Hymne für die Jugendorganisation der CDU aufgenommen, die seit Tagen die deutsche Blogosphäre erheitert. "Die Junge Union ist unsere Missio-ho-hon, die Zukunft unseres Landes, das sind wir", heißt es da im schlimmsten Münchener Freiheit-Sound.

Übler noch sind die Fotos, mit denen der Song bebildert wird: Gruppenfotos von JUlern mit hochgestellten Polohemdkrägen. "Der Motor der Unionspartei, das werden wir für immer sein und gehen dabei unsren eignen Weg", singt wahrscheinlich Herr Rudoff selbst - dazu reckt im Video ein Oberhemd-JUler vor einer Schäublone den Daumen grinsend in eine Überwachungskamera.

Der Wahlkampfzentrale der CDU ist zu wünschen, dass sie von diesem Lied nichts gewusst hat. Doch auch sie hat Youtube-technisch ja bereits einiges auf dem Kerbholz - etwa das gestelzte Homevideo, in dem sich der aus der Telekom-Werbung bekannter Schauspieler Markus Majowski als Angela-Merkel-Fan outete. Dafür erntete die Union so viel Hohn, dass sie den Clip bereits Anfang Juli diskret aus dem Netz entfernte.

Dabei kann ein Videofehlgriff im Wahlkampf jedem passieren - selbst der sonst so Online-stilsicheren Piratenpartei: "Alle, die mit uns den Bundestag entern, müssen Piraten mit Werten sein", singt eine Quotenfrau vor ihrer piratisch verkleideten Crew, die wie wild an der Spree entlangfetzt oder sich auf einem Boot vor dem Bundestag räkelt. Diese NDW-artige Coverversion des Evergreen-Seemanns-Shantys "Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren", ebenfalls bei Youtube zu besichtigen, löst ähnliche Fremdschämreflexe aus wie der Clip der Jungen Union.

Die FDP-Twitter-Community dagegen sieht derzeit Grund zum Jubel: Ihr Onlinewahlkampf wurde von der bislang weitgehend unbekannten Produkttest-Plattform getestet.de zum besten der schlechten Web 2.0-Wahlkampfauftritte gekürt. Für die digitale Offenherzigkeit von Spitzenkandidaten Westerwelle gab es die Bestnote "ausreichend". Überraschenderweise nicht in die Wertung ein flossen die rührenden Webvideo-Perlen der Bundestagsabgeordneten Hermann Otto Solms und Otto Fricke, die sich nicht zu schade sind, ihre mäßigen schauspielerischen Talente in Gespielte-Witz-Sequenzen unter Beweis zu stellen. Anfang August buddelten sie am Strand riesige Sandlöcher, um zu demonstrieren, wie die FDP das tiefe Schuldenloch der Bundesrepublik zu lösen gedenkt. Seitdem Funkstille. Immerhin: Sie singen nicht. Das bleibt hoffentlich so.

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