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Atomlobby in BerlinBerlin strahlt vor Freude

Berlin freut sich über Zehntausende Anti-AKW-Demonstranten. Aber nicht nur die Aktivisten fühlen sich in der Haupstadt wohl, sondern auch die Atomlobby. Zur Demo nennt die taz fünf Orte mit Ausstrahlung.

Reichstag mit Anti-Atom-Banner Bild: dpa

Das Deutsche Atomforum ist die Propagandazentrale der Atomindustrie, schrieb Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) im Mai zum 50. Geburtstag. Der Lobbyverband wendet sich offen gegen den Atomkonsens. "32 ist doch kein Alter", witzelt das Atomforum auf aktuellen Werbepostkarten. Kernaussage der Kernkraft-Fans: Atommeiler sollen nicht aus Altersgründen vom Netz gehen. In dem Verband mit Sitz am Robert-Koch-Platz 4 in Mitte sind vor allem die vier großen Energiekonzerne organisiert, die so versuchen, ihren Forderungen einen wissenschaftlichen Anstrich zu verleihen. Tatsächlich hat das Atomforum ein gespaltenes Verhältnis zu Fakten: Der Verband imaginierte im Jahr 2007, Gorleben sei ein "geeigneter Endlagerstandort - nach allen bisher gewonnenen Erkenntnissen". Diese Propagandaschlacht hat die Lobby bekanntlich noch nicht gewonnen.

Die Deutsche Bahn AG mit Sitz am Potsdamer Platz in Mitte wirbt aggressiv auf allen Kanälen mit ihrem umweltfreundlichen Image: Der Umwelt-Mobility-Check misst die Emmissionseinsparung des Fahrgasts, der auf Flugzeug und Auto verzichtet. Großkunden können mit Öko-Strom-Tickets ihre Geschäftsreisen antreten und kurze Städtetrips mit dem Zug schonen nicht nur den Geldbeutel, sondern auch die Natur. Was der Fahrgast nicht weiß: Die Bahn fährt mit Kernkraft. Im EnBW-Atomkraftwerk Neckarwestheim erzeugt einer von zwei Blöcken den Bahnstrom. Dort ist die Bahn nicht nur Großkunde, sondern sogar Gesellschafter. So fährt etwa jeder vierte DB-Zug mit dem eigens für die Bahn produzierten Atomstrom. Bis 2007 verdiente die Bahn außerdem über ein Tochterunternehmen auch an den Castortransporten mit.

"Energie braucht Impulse" lautet das Motto des Energiekonzerns EnBW - und diese Impulse strahlen von Baden-Württemberg bis in die Hauptstadt der Lobbyisten. Zwar können Berliner keinen Atomstrom des Energiebetreibers EnBW beziehen, dafür versorgt der Konzern die Hauptstadt mit Atom-Impulsen der subtilen Art: In seiner Konzernrepräsentanz am Schiffbauerdamm 1 in Mitte hat das Unternehmen nach eigenen Angaben einen "Ort der Kommunikation" geschaffen. In dem Showroom mit futuristischem Ambiente sind regelmäßig Promis wie Tim Mälzer, Uschi Glas oder Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) zu Gast. Ausstellungen, Lesungen und Diskussionen bieten das, was die Energie-Lobbyisten am meisten gebrauchen können: Das vertrauliche Gespräch am Rande. Dabei sieht der moderne Showroom gar nicht so altbacken aus wie die drei Ü40-AKWs, die der Konzern in Deutschland betreibt.

Bezeichnungen wie "Skandalreaktor" oder "Krebsmeiler" sind wohl die häufigsten Titel für die deutschen Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel - betrieben werden sie vom schwedischen Energieriesen Vattenfall, der seinen deutschen Hauptsitz in der Chausseestraße 23 in Mitte hat. Erst im Juli 2009 gab es den letzten Vorfall in einem Traforaum in Krümmel. Die AKW-Leitung überzeugte vor allem durch langsame Reaktionsbereitschaft. Obwohl es bereits 2007 im Traforaum brannte, bekam das Pannen-AKW immer wieder grünes Licht für eine Wiederinbetriebnahme. Vattenfall gilt laut Greenpeace als eines der derzeit umweltschädlichsten Unternehmen Europas. Die Pannenstatistik zeigt über 300 meldepflichtigen Ereignissen allein im Uraltreaktor Krümmel seit dessen Inkraftnahme 1983. Als Sponsor der diesjährigen Leichtathletik-Weltmeisterschaft tapezierte der Konzern die halbe Hauptstadt zu. Und auch bei der Aufklärung seiner Störfälle setzt der Konzern offenbar verstärkt auf: Hürdenlauf.

Wenn auch nicht im Reiseführer vertreten, so ist BER II eine Berliner Sehenswürdigkeit mit Ausstrahlung. Mit dem Experimentier-Reaktor, kurz BER, besitzt die Bundeshauptstadt ihre eigene Atomforschungsstätte. Die römische II verrät: Das ist nicht der erste seiner Art. Bereits 1973 wurde das Vorgängermodell am ehemaligen Hahn-Meitner-Institut, BER I, stillgelegt und in radioaktiven Abfall verwandelt. Seitdem gab es in dem Reaktor an der Glienicker Straße 101 am Wannsee insgesamt 63 meldepflichtige Vorfälle. Worüber sich pazifistische Atomkraftfreunde freuen: Inzwischen wird BER II nicht mehr mit HEU gefüttert, sondern durch bestes LEU betrieben. Im Jahr 1997 wechselte man von dem waffenfähigen "Highly Enriched Uranium" zur geringer angereicherten Variante ("Low Enriched Uranium"). Wer will da meckern?

BAB / MA / DZT / TOSI

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