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Klatschreporter Michael GraeterBaby Schimmerlos in echt

Michael Graeter war Deutschlands bekanntester Klatschreporter - bis er für Monate ins Gefängnis musste. Nun ist er zurück, mit einer Autobiografie voller schlüpfriger Enthüllungen.

Michael Graeter: "Ich wundere mich, wie die Erben auf ihren Millionen sitzen. Ich dad es krachen lassen, bei so viel Pulver, richtig brutal." Bild: dpa

"In Berlin spielt nie die Musik - never ever", sagt Michael Graeter. "Wien, das ist meine Lieblingsstadt. Allein schon die Anmut der Weiber. Wenn man gut durchblutet ist, sollte man da hin." Na Servus, der Kellner hat noch nicht einmal die Vorspeise gebracht und der Graeter denkt schon wieder an die Leidenschaft. Süßliches Aftershave wölkt über den Tisch. Im Sekundentakt hagelt es Weisheiten aus 68 Jahren Genießerleben. "Yoga bringt nichts", erklärt Graeter. "Am gesündesten ist noch immer die Körperertüchtigung zu zweit."

Ich frage mich kurz, wie es hier erst abgehen würde, säße Graeter gegenüber jemand, der ihm ins Beuteschema passte, eine Blondine mit langen Beinen etwa - und kein Journalist mit balkiger Brille. Es erstaunt mich ehrlich, wie unerschütterlich gut drauf Graeter wieder ist, nach all dem Erlebten. Noch vor einem Jahr druckte das Magazin der Süddeutschen Zeitung als Titelbild ein neckisches Foto von ihm in Häftlingskleidung hinter Gitterstäben. Da hatten sie ihn gerade rausgelassen, nach 239 Tagen Gefängnis.

Die Autobiografie

Auf dem Cover steht "Autobiografie", doch Michael Graeters Buch mit dem altbackenen Titel "Extrablatt" ist viel mehr: ein Kompendium des "Wer mit wem" der Münchener High Society.

Es enthält eine lückenlose Dokumentation aller Liebhaber von Uschi Glas, Nostalgisches mit

Brigitte Bardot und Gunter Sachs und eine vollständige Gästeliste der Berühmtheiten, die Michael Graeter im Gefängnis besucht haben (Fußballphilosoph Günter Netzer, Nasendoktor Werner Mang usw.) Erscheint im Langen-Müller Verlag München, 376 Seiten, 19,95 Euro. (bhü)

Michael Graeter war einmal Deutschlands berühmtester Klatschreporter. Als Sibylle Weischenberg noch höchstens davon träumte, mal "was mit Medien" zu machen, lieferte sich Graeter schon Verfolgungsjagden mit Steve McQueen, trank Kaffee mit Grace Kelly, wurde von Roman Polanski mit Skiern beworfen und zog mit Rainer Werner Fassbinder durch die New Yorker Clubs. Aus dem, was ihm berichtenswert erschien, machte er elegante Gesellschaftskolumnen, immer in Ichform, immer hautnah erlebt und doch würdevoll mit schnippischer Distanz aufgeschrieben.

Der Münchner Regisseur Helmut Dietl schuf angelehnt an Graeter die Figur des Klatschreporters Baby Schimmerlos und drehte "Kir Royal", die fieseste Fernsehserie der 80er. Der echte Graeter stieg auf, von der Münchner Abendzeitung zur Bild zur Bunten. Er eröffnete Cafés und Kinos. Als er erst die Sozialabgaben für seine Mitarbeiter nicht ordentlich bezahlte und sich dann gepflegt vor seinen Bewährungsauflagen drückte, kam er für Monate ins Gefängnis. Nun arbeitet er wieder für die Abendzeitung. "Ich war noch nie so preiswert wie heute", meint Graeter grinsend.

Als ich Michael Graeter treffe, in einem edel und modern designten Café gleich neben der Abendzeitung, im sonst recht tristen Münchner Bahnhofsviertel, ist Graeter obenauf wie lange nicht. Die Zeitungskästen an jeder Straßenecke verkünden seine Sensationsgeschichte vom Tage: "Caroline von Monaco und Ernst August: Alles aus?" In den Buchläden liegt seit dem Wochenende seine dicke Autobiografie.

Darin beschreibt er seine eigene Geburt, in einem Krankenwagen mitten im Krieg, so penibel, als hätte er alles im vollsten Bewusstsein miterlebt, den Ölgeruch, das Hüsteln des Motors, das spitzbübische Gesicht des Sanitäters, das Pressen der Mutter. "Dann bin ich einfach da", schreibt Graeter, so wie es nur jemand mit einem recht intakten Selbstvertrauen aufs Papier bringen kann. Große Zweifel plagen Graeter schon als Jungredakteur nicht.

In der "journalistischen Hölle", wie er es heute nennt, in der Provinz, als einziger Lokalredakteur bei der Mindelheimer Zeitung strebt er schon nach Höherem. Als eines Tages die persische Exkaiserin Soraya zum Kneippen ins örtliche Kurbad kommt, schleicht sich Graeter in einem Arztkittel an den Beckenrand und fotografiert sie unbemerkt just in dem Moment, als sie gerade ihren Rock leicht hebt. "Das Foto war scharf", meint Graeter, zweideutig wie immer. Es ist der Start einer glitzernden Karriere.

Wenig später holt ihn der legendäre Herausgeber der Abendzeitung, Werner Friedmann, nach München. Graeter wird erst Polizeireporter, dann Lokalchef - mit 22 Jahren. Als Graeter im Café sitzt und erzählt, geht gerade der aktuelle Geschäftsführer der Abendzeitung über den Hof. Er ist Mitte Dreißig. Graeter seufzt: "Der könnte mein Sohn sein."

Dem jungen Graeter wird es als Lokalchef bald langweilig. Nach einem längeren Ausflug nach Paris und einer leidenschaftlichen Beziehung mit der aufstrebenden Schauspielerin Hannelore Elsner übernimmt Graeter die Gesellschaftskolumne der Abendzeitung. Ein besseres Timing hätte er sich nicht aussuchen können. Wie schreibt er in seinen Memoiren so schön: "Es ist eine prickelnde, wilde Zeit, damals in den 60er Jahren. Schwabing lockt als Nabel der Welt. Schöne Mädchen heißen Hasen. Von Aids hat man noch nichts gehört. Vergnügen pur ist angesagt." Der heißeste Hase von Schwabing hieß damals übrigens Uschi Glas.

Vierzig Jahre haben Schwabing und Uschi nicht zwingend näher an den Nabel der Welt gebracht. Helmut Dietl arbeitet derzeit an einer Neuauflage von "Kir Royal". Die soll diesmal in Berlin spielen. München ist ihm einfach nicht mehr spannend genug für eine Fernsehserie. "Seit 1995 herrscht in München Lethargie", meint Graeter und schimpft auf den Stadtherren von der SPD: "Der Bürgermeister hat die Stadt zum Stillstand gebracht. Überall baut er Trambahnen, den Transrapid hat er verhindert. In einer Stunde nach Berlin fahren, schauen, was die Provinz so macht, das wäre traumhaft."

Asketische Milliardäre

Nicht einmal mehr ordentliche Superreiche gibt es. Der partyfreudige Milliardenerbe Friedrich Karl Flick leistete sich einst eine dekadente Luxusjacht mit 22 Mann Personal und einen Privatjet, mit dem er dann gerne mal Graeter zu Feiern auf seine Jacht einfliegen ließ. Die Münchner Milliardenerben von heute leben eher so asketisch und unauffällig wie Susanne Klatten. Graeter sagt: "Ich wundere mich, wie die Erben auf ihren Millionen sitzen. Ich dad es krachen lassen, bei so viel Pulver, richtig brutal."

Der Kellner kommt vorbei und fragt, ob die Herren noch einen Wunsch haben. "Vielleicht eine Blondine", meint Graeter breit grinsend, "für unter dem Tisch."

In solchen Momenten frage ich mich, ob mir gegenüber nicht einfach nur ein Dinosaurier sitzt, übrig geblieben aus einer Zeit, als Männer noch zotig sein mussten und Frauen zu allem bereit. Aber dann wieder formuliert er weise Gedanken zum Hier und Jetzt, wie man sie sonst nur selten hört.

Der Journalismus sei vom Aussterben bedroht, sagt Graeter, und habe das selbst zu verantworten. "Nicht das Internet ist die Gefahr für den Journalismus, sondern die Inhalte sind es." Es sei kein Wunder, dass sich das Publikum abwende, wenn in allen Zeitungen das Gleiche stünde und man nur noch von Nachrichtenagenturen abschreibe. Die Journalisten seien auch selbst schuld, dass sie die Prominenten nicht mehr so an sich ranlassen wie früher. Zu viel verbrannte Erde habe man hinterlassen und zu viele unbedeutende Gestalten zu Stars hochgeschrieben. Graeter nennt das "den Streichelzoo vor dem ultimativen Nichts". Graeter ist da eisern. Selbst über den bizarren Münchner Modemacher Rudolph Mooshammer wollte er nie viel Nettes schreiben. Er war ihm schlicht zu unbedeutend.

Als Graeter weg war, ging der Abendzeitung diese Disziplin nach und nach verloren. Heute leistet sich die Zeitung eine Gesellschaftsredakteurin namens Kimberly Hoppe. Sie ist jung und blond und irgendwie auch immer mittendrin im Geschehen. Von der Beerdigung des Plattenmanagers Monti Lüftner schickte sie im Minutentakt Twitter-Nachrichten, eine unbeholfener als die andere. "Jetzt plötzlich Totenstille! Oh Gott, wie schrecklich", meldete die AZ-Reporterin live vom Grab. Seit Graeter wieder, zumindest einmal die Woche, seine Kolumne schreibt, gibt es auf der bunten Seite mit den feiernden Prominenten darauf wieder so etwas wie Fallhöhe und Distanz. Auf einmal berichtet die AZ wieder detaillierter über das Privatleben mancher FC-Bayern-Profis, als deren Anwälten lieb ist. Ein Graeter lässt sich einfach nicht einschüchtern.

In seiner Autobiografie listet er genüsslich so ziemlich jede prominente Affäre der vergangenen vierzig Jahre auf - mit vollen Namen. Graeter war dabei, als Bill Clinton und Angelina Jolie sich in Davos sehr nahe kamen, er hat mit angesehen, wie eindeutig vertraut Franz Beckenbauer und eine bekannte Fernsehmoderatorin miteinander umgingen, und er kennt den Namen der jungen Bundestagsabgeordneten, die der wahre Grund gewesen sei, warum der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber einst nicht nach Berlin ging und damit letztendlich seine Karriere ruinierte.

Ich kenne den Namen der jungen Dame auch schon lange. Das tut fast jeder Journalist, der sich häufiger mit bayerischer Politik beschäftigt. Nur ihn zu schreiben, hat sich kein einziger von uns getraut. In Graeters Buch kann man den Namen lesen. Graeter sieht nichts Schlimmes dabei. "Wenn man die gut findet, wieso muss man die dann verstecken", fragt er unschuldig. "Ich finde es schön, wenn jemand die Jugend fördert."

Der Verlag drucke schon jetzt an einer zweiten Auflage, erzählt Graeter. Da habe er noch nachgebessert und eine weitere schockierende Enthüllung hineingeschrieben. "Das wird für viel Aufsehen sorgen." Wer mag daran zweifeln.

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2 Kommentare

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  • B
    Beobachter

    Ich beobachte bei einigen Journalisten, insbesondere Gesellschaftsjournalisten, dass sie ihre Distanz aufgeben und sich vermeintlichen Promis gemein machen. Christiansen, Riekel, Ludowig und Co: Längst sind sie Bestandteil der Möchtegern-Gesellschaft und haben ihren journalisten Anspruch aufgegeben. Keine Distanz mehr, null komma null. Ist Riekel zum Beispiel auf Barbara Beckers Hochzeit Gast, weil sie ihre Freundin ist oder als Klatschreporterin? Oder beides? Heraus kommt eine Huldigung einer Person, die nichts in ihrem Leben vorzuweisen hat als die ehemalige Frau einer Tennislegende zu sein. Solcher Gleichschaltungsjournalismus führt zu einer verzerrten, weil wirklichkeitsfremden Berichterstattung. Dann lieber ein Graeter, der schreibt, dass oder ob die Geliebte eines Politikers zum zweiten Mal schwanger ist, welcher Rennfahrer schwul ist und welche Prominentengattin früher als Professionelle in Düsseldorf gearbeitet hat.

     

    Überflüssig ist's allemal, aber wenn schon Gossip, dann richtig und ungeschminkt.

     

    Basta!

  • R
    reblek

    "In solchen Momenten frage ich mich, ob mir gegenüber nicht einfach nur ein Dinosaurier sitzt, übrig geblieben aus einer Zeit, als Männer noch zotig sein mussten..."

     

    Glücklicher Herr Hübner, wenn Sie das für dinosaurisch halten. Ich sitze, ohne es zu ahnen, regelmäßig in Männerrunden, in denen irgendwann irgendwer mir solchen Zoten anfängt und merkwürdigerweise alle um ich herum das witzig finden. Und das in Kreisen, die sich als "gehoben" betrachten.

     

    "Die Journalisten seien auch selbst schuld, dass sie die Prominenten nicht mehr so an sich ranlassen wie früher."

     

    Das ist doch vermutlich andersherum gemeint: dass die Prominenten die Journalisten nicht mehr so an sich ranlassen wie früher, oder?