Die Welt der Gesichter

SHAKESPEARE In Matías Piñeiros federleichtem Verwirrspiel „Viola“ ist ständige Transformation die Lebensgrundlage der jungen Protagonistinnen (Forum)

Eine Gruppe junger Frauen führt ein Theaterstück auf, das Shakespeares „Was Ihr wollt“ eher lose als Vorlage nimmt. Es geht jedenfalls andauernd darum, wer wen wie warum verführt hat, gerade verführt, demnächst verführen könnte. Die Frauen spielen alle Rollen, die Männer bleiben, wie eigentlich auch im restlichen Film, Zuschauer, bloße, isolierte Gesichter auf den Zuschauerrängen. Nach der Aufführung wechselt der Film in den Backstagebereich.

Dieselben Frauen in anderen Rollen. Wieder geht es um erotische Eroberungen, um hitzige und um langsam ersterbende Beziehungen und bald bemerkt man, wie sich auch in diese Dialoge Shakespeare-Zeilen einschleichen, wie sich das Gespräch über die Aufführung wieder zurückverwandelt in eine – andere – Aufführung.

Matías Piñeiros „Viola“ ist ein federleicht inszeniertes Verwirrspiel, das einem andauernd den Boden unter den Füßen wegzieht. Zum Beispiel, wenn in der Mitte dieses gerade einmal eine Stunde langen Films die titelgebende Viola auftaucht, eine weitere junge Frau, die mit dem Fahrrad durch Buenos Aires fährt und raubkopierte DVDs verkauft. Doch gerade, als der Film das Theater Theater sein zu lassen scheint und ein stabileres Verhältnis zur Welt, sogar eine gewisse sozialrealistische Dimension zu entwickeln vorgibt, kippt die Anordnung ein weiteres Mal: Viola heißt schließlich auch eine Figur aus „Was Ihr wollt“, und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Fahrradfahrerin von dem expansiv angelegten Theater-als-Leben-Projekt erfasst wird.

Nicht aus Bosheit spielt der Film einem solche Tricks vor, sondern aus einer inneren, gleichermaßen poetischen und psychologischen Notwendigkeit: Ständige Transformation ist gleichermaßen Lebensgrundlage der jungen Protagonistinnen und filmisches Formprinzip. „Viola“ besteht über weite Strecken aus Großaufnahmen sprechender Frauen und hat doch nichts Statisches. Kunstvoll orchestriert sind Piñeiros flache Einstellungen, sie gehören selten einer einzigen Frau, einem einzelnen Begehren, sind ständig im Fluss.

In einer Schlüsselszene wird in einer Kamerabewegung eine ganze Identität übertragen. Der Hintergrund bleibt zumeist unscharf, die Bilder haben keine Tiefe, in der sie die Gesichter verankern könnten. Die Gesichter – und die Dialoge – schaffen ihre eigene Welt, eine fragile, befreite Welt, die im harten Licht der sozialen Wirklichkeit in sich zusammenfallen würde, die nur im Kino eine Chance hat und da für eine kostbare Stunde ihre berückende Schönheit entfalten darf.

LUKAS FOERSTER

■ Heute, Cubix 9, 22.45 Uhr; 15. 2., CineStar 8, 11 Uhr