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GewaltdebatteRevolutionäre Entglasung

Ganz ohne Not hat sich der Sprecher des Schanzenfests, Andreas Blechschmidt, mit dem Angriff auf die Polizeiwache in der Stresemannstraße solidarisiert.

Nach dem Angriff auf die Lerchenwache räumte die Polizei die Schanze mit Wasserwerfern leer. Bild: dpa

Immer noch ist nicht bekannt, wer die Vermummten waren, die in der Nacht zum Sonntag das Polizeirevier in der Stresemannstraße mit Steinen bewarfen. Doch ihre Aktion hat im Schanzenviertel eine Diskussion über eine Frage ausgelöst, die schon lang nicht mehr auf irgendeiner Tagesordnung stand. Die Frage lautet: Wie halten wir es mit der Gewalt?

Bei dem Angriff gingen Fensterscheiben zu Bruch, Personen kamen nicht zu Schaden. Doch das bis dahin weitgehend friedliche Schanzenfest war zu Ende - die auf dem nahen Heiliggeistfeld wartenden Hundertschaften der Polizei nahmen den Vorfall zum Anlass, das Fest mit Wasserwerfern zu räumen.

Es sei "politisch falsch", die Täter bloß als "Krawallkids" zu bezeichnen, hatte der Sprecher des Schanzenfests, Andreas Blechschmidt, in der Hamburg-1-Sendung "Schalthoff live" gesagt, und am Donnerstag im Hamburger Abendblatt nachgelegt: Dort bezeichnete er die Steinwürfe als "legitim". Die Wache sei ein Symbol der repressiven Polizeistrategie von Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU).

Bereits am Montag nach dem Übergriff auf die Polizeiwache war auf indymedia.org ein Manifest der Schanzenfest-Veranstalter erschienen, das gegen die Klage über die "erlebnisorientierten Jugendlichen" polemisiert, die angeblich aus den Hamburger Vororten anreisten, um das friedliche Schanzenfest zu stören. "Waren es früher die Halbstarken, später die Langhaarigen, dann die Punker, die das Bild des Friedens störten, sind es heute die ,Erlebnisorientierten', heißt es in dem Manifest.

Ob es wirklich die ominösen "erlebnisorientierten Jugendlichen" waren, die das Polizeirevier angriffen, ist allerdings nicht klar. Peter Haß vom Schanzenbuchladen sagt, dass während des Festes "blöde Sachen" vorgefallen seien: Das Spielzeug des Jesus-live-Ladens sei verbrannt worden, in einem Hinterhof wurde ein Auto angezündet. "Das waren Vorstadtkiddies, die die Sau rauslassen wollten."

Beim Angriff auf die Polizeiwache dagegen habe sich eine Menschenmenge Richtung Pferdemarkt in Bewegung gesetzt, in der er viele "politisch aktive Leute" gesichtet hätte. Die Wut im Viertel nach den Polizeiübergriffen bei den vergangenen Schanzenfesten sei groß.

Der Fotograf André Lenthe, der bei dem Angriff auf die Wache vor Ort war, kann sich dagegen nicht vorstellen, dass es Schanzenbewohner waren. Autonome, Flora-Leute und Antifa seien zu dem Zeitpunkt längst "Richtung Kiez" gezogen. Die Steinewerfer, erzählt er, hätten auf ihn gezielt, als er Fotos machte.

Auf indymedia.org gibt es inzwischen Einträge, deren Autoren unumwunden zugeben, Wut zu empfinden - gegen die Steinwerfer: "Traurigerweise war es nicht die Wut über die Bullen, die an mir nagte, im Gegenteil, mein Hass war getrieben von den lachenden, vergnügten Augen der Vermummten, die aus allen Richtungen an mir vorbei eilten." Im Abendblatt-Interview sagt Schanzenfest-Sprecher Blechschmidt, es gebe "durchaus Unzufriedenheit innerhalb des Viertels wegen des Angriffs": "Damit werden wir uns jetzt auseinandersetzen müssen."

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4 Kommentare

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  • A
    AstraFan

    Das die Leute die die Scheiben eingescmissen haben in Richtung Achidi-John-Platz laufen ist inzwischen durch ein Tonband widerlegt...

  • WS
    W. S. Geht

    Sehr sehr schade , genauso wie ersichtlich, wie empört sich die Polizei jedwedem diskurs, selbst dem über Überrektionen und allgemeine Polizeibrutalität entzieht.

    Dies Ritual auf dem Achidi-John-Platz hat sie anscheinend weder

    politisch noch menschlich zu verstehen versucht.

    Die laute Mehrzahl der Gesetzeshüter distanzieren sich unnötig und unaufgefordert weitest möglich sogar von eigentlich common sense Inhalten sofern sie daheim , mit denen, irgendwo im backround annecken könnten.

    Viele alternative vergessen und verdrängen dagegen

    den Schupo der ihnen den Fahrradführerschein ausgehändigt hat, und der somit ein lokaler Bezugspunkt mit celebrity status representierte.(unaufgefordert) Soweit diese Alternative Bewegung sich weniger aus-und-eingrenzt wird sie auch besser erkennen wann sie was, wie "kommuniziert" um intellektuell nicht marginalisiert zu werden, und um die verlangte bessere lebensqualität die eingefordert wird auch

    ausleben zu können. z.B.: wer nach ner karaokemaschine schreit und sie bekommt, der sollte dann auch GEFÄLLIGST damit umgehen können.

    p.s.: ich weiss...!

  • D
    DrWalter

    Das September-Schanzenfest polarisiert – und hier zeigt sich mehr als nur der übliche Schanzenkonflikt. Ich glaube, hier zeigte sich erstmals richtig, dass es bei den Menschen, zum Beispiel im Schanzenviertel, wie auch den politischen Ausrichtungen einen gravierenden Wandel gibt.

     

    Dieser Wandel betrifft nicht nur die Alt- und Neu-Parteien in Berlin. Er zeigt sich auch in der Sichtweise lokaler Stadtteil-Bewohner und Aktiver, in den Unterschieden der Herangehensweise oder Kommunikation von Missständen oder alternativen Gesellschafts- und Zukunftsmodellen.

     

    Beispiel Schanze und Schanzenfest-Nachspielkrawall. Das Dilemma: Sehr viele Stimmen, auch meine in der Schanze lebenden oder arbeitenden Freunde, Bekannten und Kollegen, sind sämtlich grundsätzlich positiv gegenüber einer Stadtteilkultur-Mischung aus Clubs, Flora und einzelnen Initiativen eingestellt. Niemand hatte jedoch Verständnis für den Angriff einer Polizeiwache nebst Flucht zurück zum friedlichen Fest – natürlich mit der Polizei auf den Fersen, die somit erst in die Schanze geholt wurde…

     

    Es scheint vielen so, als ob grade die Aktiven aus dem Flora-Umfeld ihren Draht zum Viertel und den Leuten, die hier wohnen und/oder leben, verloren haben. Ich wohne seit 14 Jahren hier, sehe den Wandel, finde auch nicht durchweg alles toll, was da an Tourismus-Kultur (von Reisebus- bis Hau-drauf-Agro-Touristen) entstanden ist – andererseits habe ich den Eindruck, dass grade die gemeinsam erarbeiteten Wege die Schanze gestaltet haben und weiterhin gestalten werden. Die Schanze ist und wird nicht Eppendorf oder dergleichen werden – solange man gemeinsam _miteinander_ gestaltet und nicht ein Teil der Schanzenviertel-Aktiven sich an den Rand stellt und sagt „ihr seid alle doof“.

     

    Leider scheint sich ein Großteil der Rote-Flora-Aktiven darauf zurückzuziehen, dass alle Menschen annähernd genauso radikale politische Ansichten haben sollen – dabei zeigt sich, dass die direkte kommunikative politische Auseinandersetzung oft wesentlich effektiver als reines Krieg-Spielen und Nicht-miteinander-reden-wollen.

     

    Und leider verliert dadurch diese politisch und gesellschaftlich aktive und engagierte Gruppe ihren politischen wie auch gesellschaftlichen Rückhalt.

     

    Man sieht es daran, dass beispielsweise Teile des ehemals von der Flora veranstalteten kulturellen Programms vom Haus73 übernommen wurden – und wie es scheint, machen die im Haus73 das sogar besser und das obwohl die Pferdestall-GmbH als Betreiber mit einem recht großen Mitarbeitertrupp manchmal sympathisch chaotisch ihre Lokationen betreibt.

     

    Man sieht es daran, dass den Rote-Flora-Sympathisanten anscheinend der Aggressions-Abbau wichtiger ist als der Schutz des eigenen Viertels, wenn zum Beispiel für die im Viertel lebenden Kinder gesammeltes Spielzeug aus dem verbrannt oder zerstört wird, wofür sogar ein verschlossener Container aufgebrochen wurde.

     

    Ich frage mich, wo denn da die politischen Ideale der Rote-Flora-Sympathisanten geblieben sind?

     

    Von sozial bis politisch links bis kommunistisch – alle diese politischen Ideale beinhalten den Aufbau und Erhalt eines gemeinsamen Zusammenlebens, das die positiven Werte jeder/s Einzelnen schützt und toleriert. Das ist sogar in den Begriffen Sozial und Kommune=Gemeinschaft enthalten. Und das geht nur, wenn man miteinander redet und sich auf einen gemeinsamen Lebensbereich einigt, in dem jeder seine Freiräume hat aber auch jeder die Grenzen des anderen akzeptiert.

     

    Klar ist glaube ich allen: Die wirtschaftlichen Zeiten werden härter. Grade dann ist es wichtig, dass wir Menschen, zum Beispiel Bewohner und Nutzer eines Viertels wie der Schanze, zusammenhalten und Gegenbeispiele setzen – und der von außen empfundenen globalen sozialen oder wirtschaftlichen Härte und Aggression intelligente und positive Gegenmodelle bieten, die neues aufbauen statt einfach nur Altes kaputtzumachen und danach ein Trümmerfeld zu hinterlassen.

     

    Wenn man Steine wirft, vergrößert man die Mauern.

     

    Wenn man eine Welt schaffen will, in der alle miteinander auskommen, braucht man nicht Steine sondern Wege zueinander und gemeinsame Gespräche.

     

    Gehen wir mit guten Beispielen nach vorn. Schaffen wir unsere solidarische Gemeinschaft _gemeinsam_ und nicht gegeneinander. Nur gemeinsam können wir wirklich effizient an den Missständen in unserer Welt arbeiten – und sie durch positive Modelle ersetzen. Sowie man aktiv neues Positives aufbaut, wird sich das Alte automatisch ändern müssen, weil das neue besser funktioniert.

     

    Wir Menschen sind als Gemeinschaft gefordert, wenn wir eine Welt haben wollen, die wir alle auch gemeinsam nutzen können.

  • DT
    Detlef Tiburg

    Es ist Wahlkampf, und es waren ganze vier Scheiben. Aber die HH-Medien und geifernde Politiker haben etwas, über das sie sich ereifern können. Das dass Polizeikonzept für genügend Aufregung sorgte, ist ja unbestritten. Deshalb gab es ein zweites Fest mit viel Beteiligung. Und es gab auch Menschen, die sich nicht alles gefallen lassen. Gut so