Nobelpreisträger Hänsch: Ein Anruf für ein neues Leben

Anfang Oktober verkündet das Nobelkomitee die Gewinner des Jahres. Preisträger Theodor Hänsch weiß bereits wie sich das anfühlt, dieser berühmte Anruf aus Stockholm.

Nobelpreisträger Hänsch hatte vor vier Jahren Grund zum Jubeln. Bild: dpa

BERLIN taz | Am Tag, als bei Theodor Hänsch das Telefon klingelte, war Gabriele Gschwendtner auf ihrem Platz. Sie hat den Anruf entgegengenommen. "This is a very important message", hieß es auf der anderen Seite. Sie solle zu Theodor Hänsch durchstellen und sichergehen, dass er auch die nächsten zwanzig Minuten zu erreichen sei. Gschwendtner wusste sofort, was los war. "

An dem Tag und zu dieser Zeit konnte das nur eines sein." Es war der 4. Oktober 2005, 11.55 Uhr. Der Anruf kam aus Stockholm. Sie stellte durch, er ging ran, sprach, legte auf, umarmte Gschwendtner und bestellte Sekt für seine Mitarbeiter. Theodor Hänsch hatte in diesem Moment erfahren, dass er den Nobelpreis für Physik erhalten wird.

"Seither leben wir wie in einem Traum", erzählt Gabriele Gschwendtner, die seit 17 Jahren Sekretärin von Theodor Hänsch ist. Innerhalb von dreißig Minuten waren sie alle da: Reporter, Fotografen, Kameraleute, der Präsident der Universität, Mitarbeiter und Studenten. Der Flur der Ludwig-Maximilians-Universität in München wurde zum roten Teppich - im Mittelpunkt stand ein 64-jähriger, weißhaariger Mann, der nach Worten suchte, schüchtern an seinem Glas Sekt nippte und sich geduldig fotografieren ließ. Gschwendtner ist auf keinem der Bilder zu sehen. Sie hat telefoniert, abgewimmelt, E-Mails beantwortet. Versucht, ihm den Rücken frei zu halten.

Hänsch ist nicht gewohnt, der Star zu sein. Der heute 67-Jährige liebt es, im Labor zu stehen, zu experimentieren und Messinstrumente zu erfinden. Physik ist für ihn wie Kunst, er ist fasziniert vom Versuch, die Natur etwas besser zu verstehen. Den Nobelpreis erhielt er für die Erfindung des Frequenzkamms: ein Werkzeug, das durch ultrakurze Lichtblitze die Zahl der Lichtschwingungen bis auf die 18. Dezimalstelle genau berechnet. Außer ihm verstehen wohl nur einige hundert Menschen auf der Welt genau, was er tut.

Gabriele Gschwendtner weiß, woran er forscht. Ungefähr. "Natürlich nicht bis ins Detail", sagt sie, "schließlich habe nicht ich in Stanford studiert." Sie ist technische Übersetzerin, mit Fachhochschulabschluss. Die 41-Jährige könnte eine höhere Stelle haben. Sie will aber bei Hänsch bleiben. "So einen Chef gibt es kein zweites Mal", sagt sie. Sie verehrt den Physiker für seine Genialität. Dafür, dass er sich nie im Ton vergreift und Dinge genau auf den Punkt bringt.

Der scheue Forscher musste erst lernen, berühmt zu sein. Jede Woche kommen etliche Einladungen. Letzte Woche hat er eine Universität in Saudi-Arabien eingeweiht, diese Woche ist er in Zürich. Er wünscht sich oft mehr Zeit für seine Forschung. Doch die neue Prominenz hat auch Vorteile: "Seit ich den Nobelpreis erhalten habe", erzählt Hänsch erfreut, "musste ich bestimmt zehnmal so häufig erklären, was ich mache, wie vorher." Doch das Schönste am Nobelpreis ist für ihn, dass er jetzt noch länger arbeiten darf. Für Beamte wäre in Deutschland sonst mit spätestens 68 Jahren Schluss.

"Er ist extrovertierter geworden", erzählt Gschwendtner über den neuen Theodor Hänsch, "kantiger. Früher war er sehr zurückgezogen." Er sehe jetzt sogar besser aus, meint sie.

Gschwendtner selbst ist laut und selbstsicher. Sie kann auch ruppig werden und drängelnde Journalisten energisch abweisen. Genau deswegen sei sie absolut wesentlich für ihn, meint ihr Chef. Vor einigen Jahren sollte ihr befristeter Vertrag gekündigt werden. Hänsch schrieb einen Brief an den Präsidenten der Universität. "Ohne ihre Effizienz kann ich hier nicht mehr weiterarbeiten" stand da. Gschwendtner blieb.

Sie fährt mit auf Konferenzen, sucht ihm Anzug und Krawatte aus, schiebt ihm zwischendurch Essen unter. "Manchmal muss ich da etwas bestimmt werden."

Am Tag des Anrufes der Schwedischen Akademie musste Hänsch noch in die USA fliegen. Er war nervös, hatte seinen Koffer noch nicht gepackt. Erst im Flugzeug realisierte der künftige Preisträger, was passiert war. Gschwendtner blieb zu Hause, plante die Reise zur Verleihung in Stockholm. Fünfzehn Freunde und Mitarbeiter durfte der Forscher mitbringen, sie selbst war auch eingeladen.

Auf dem Nobelbankett herrscht Frackpflicht für die Männer, die Frauen haben in einem bodenlangen Kleid zu erscheinen. Gschwendtner schickte Hänschs Maße nach Stockholm, der Schneider der Nobelstiftung kam in sein Hotel, um den Frack genau anzupassen. Sie selbst kaufte sich am Abend vorher für fünfzig Euro ein Kleid in einem indischen Laden in Stockholm. Es ist schwarz, bodenlang, schlicht. "Ich wollte nicht zu sehr auffallen", erzählt Gschwendtner, "schließlich gewinne nicht ich den Nobelpreis, sondern der Herr Hänsch."

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