Tagung über Digitalisierung: Google, der ungeliebte Buchretter
Die Tagung "Enteignung oder Infotopia?" in Berlin beschäftigte sich mit strittigen Rechtsfragen bei der Bücherdigitalisierung - mit einem bangen Grundton.
In die Schadenfreude mischt sich Sorge. Nachdem der Vergleich über die umstrittene Google-Büchersuche vorerst gescheitert ist, fragen sich Verlage, Autoren und Bibliotheken: Ist jetzt auch die allseits erwünschte Digitalisierung alter Buchbestände bedroht? Das war jedenfalls der bange Grundton bei der Tagung der Grünen-nahen Heinrich Böll-Stiftung in Berlin "Enteignung oder Infotopia?".
Seit 2004 hat Google bereits zehn Millionen Bücher eingescannt, zwei Millionen davon in Zusammenarbeit mit 25 000 Verlagen weltweit. Bei den übrigen acht Millionen hat Google mit 30 Bibliotheken kooperiert, in Deutschland mit der Bayerischen Staatsbibliothek in München.
Umstritten ist nur das Bibliotheksprogramm, gegen das US-Autoren- und Verlegerverbände klagten, weil Google nicht die Genehmigung der Copyright-Inhaber einholte. Nach langen Verhandlungen einigten sich Google und die Kläger auf einen Vergleich. Danach müsste Google für jedes eigenmächtig eingescannte Buch 60 US-Dollar bezahlen. Außerdem will man die Buchschätze nutzen, um künftig gemeinsam Einnahmen, zum Beispiel aus Werbung, zu erzielen. Die Erlöse sollen zu 63 Prozent an Verlage und Autoren gehen, 37 Prozent würde Google behalten.
Eigentlich hätte Richter Denny Chin am Mittwoch in New York prüfen sollen, ob der Vergleich "fair, angemessen und vernünftig" ist. Aber kurz zuvor hatten US-Verleger und Autoren angekündigt, dass sie - unter dem Eindruck von hunderten Einsprüchen aus der ganzen Welt - eine Änderung des Vergleichs ("settlement") anstreben.
"Zu dieser Entwicklung hat auch die Bundesregierung mit ihrer Eingabe beigetragen", betonte Irene Pakuscher vom Justizministerium. "Es ist nicht gut für Nutzer, kulturelle Vielfalt und Wettbewerb, wenn nur ein einziges Unternehmen die Inhalte aus Büchern auffindbar macht", betonte die für Urheberrecht zuständige Spitzenbeamtin bei der Tagung.
Den "Todesstoß" für das Settlement hat aber eher der Widerspruch des US-Justizministeriums gegeben, so betonte der Frankfurter Anwalt und Google-Spezialist Nils Rauer. Die Kartell-Experten des Ministeriums empfahlen unter anderem, dass bei vergriffenen Büchern die Zustimmung der Verlage und Autoren eingeholt werden muss, bevor solche Werke gescannt und für Suchanfragen genutzt werden dürfen. Im Settlement war nur eine Widerspruchsmöglichkeit vorgesehen. Für "verwaiste" Bücher ohne greifbaren Urheber wird sogar eine gesetzliche Regelung vorgeschlagen.
Das vorläufige Scheitern des Vergleichs führte in Berlin aber nicht zu Jubel. "Eine Welt mit dem Settlement ist eine bessere Welt", sagte Jörg Pfuhl, Geschäftsführer der Verlagsgruppe Random House. "Ohne den Vergleich müsste jeder deutsche Verlag und Autor sich individuell mit Google auseinandersetzen."
Auch verdi-Anwalt Wolfgang Schimmel hofft auf die Rettung des Settlements. Denn es erlaubt der deutschen Verwertungsgesellschaft Wort, erst einmal alle deutschen Bücher bei der Google-Buchsuche zu sperren, um dann neue Lizenzen für die USA und Europa auszuhandeln.
Gabriele Beger, Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbands, bezeichnete Google als "wichtigen Partner". Es sei völlig unklar, wer sonst all die Bücher digitalisieren würde.
Nach eigenen Angaben will Google einen "hohen dreistelligen Millionenbetrag" in die Book Search investieren. Das Einscannen jedes Buches koste im Schnitt zehn bis zwölf Dollar. Als die Bayerische Staatsbibliothek per Ausschreibung ein Unternehmen suchte, das die urheberrechtsfreien Bestände kostenlos digitalisiert, meldete sich nur Google. "Wir haben nichts dagegen, wenn Bibliotheken die Digitalisate, die sie von uns erhalten, auch Mitbewerbern zur Verfügung stellen", versuchte Google-Sprecher Jan Keuchel Bedenken zu zerstreuen.
Eigentlich wäre die Rettung alter Kulturgüter eine staatliche Aufgabe. Doch auf den Staat wollte bei der Böll-Tagung niemand warten. "Das EU-finanzierte Projekt Europeana ist ein Witz", klagte der Rotterdamer Literaturwissenschaftler Florian Cramer, "Zu Franz Kafka finde ich dort nur ungarische Übersetzungen."
Als nachhaltiger Skeptiker war nur der Autor Peter Glaser eingeladen. "Ich traue Google einfach nicht mehr", grantelte der Österreicher. Bei der Digitalisierung der Bücher habe es zu viel Intransparenz und Zeitdruck gegeben. Statt auf Quantität solle man lieber auf Qualität setzen, wie etwa beim Projekt Gutenberg. Dort sind bisher 30 000 Bücher digitalisiert.
Doch Matthias Spielkamp von der mitveranstaltenden iRights-Agentur für digitales Urheberrecht warnte: "Das Unwohlsein über ein Unternehmen, das vielen von uns zu mächtig geworden ist, sollte unseren Blick nicht trüben."
Am Mittwoch wird US-Richter Chin mit den Prozessparteien das weitere Vorgehen beraten.
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